Gentechnik: Leben neu buchstabiert
Biologen entwerfen künstliche Chromosomen und erweitern den genetischen Code. So entsteht eine Biomaschinerie, die Mensch und Umwelt dienen soll.
- Christian J. Meier
Organismen sind das Ergebnis von Milliarden Jahren Evolution. Doch Menschen können sie verbessern, glaubt Floyd Romesberg vom Scripps Research Institute im kalifornischen San Diego. Den Beweis will der Chemiker mit zwei Buchstaben antreten: X und Y. Die beiden Lettern – sie stehen für chemische Informationsträger – hat Romesberg dem Erbgut von Bakterien hinzugefügt. Die so erweiterten Mikroorganismen haben nicht nur weitergelebt, sondern die künstlichen Gene auch an ihre Nachkommen vererbt. Die vermeintlich vollkommene und unbegreiflich komplexe Maschinerie des Lebens lasse sich mit vom Menschen erdachten Bauteilen erweitern, ohne ins Stocken zu geraten, schließt Romesberg daraus.
Noch sind seine Arbeiten Grundlagenforschung, ein konkreter Nutzen fehlt. Aber allein die Tatsache, dass sich der Code des Lebens um völlig neue Buchstaben erweitern lässt, zeigt, wohin die Reise der synthetischen Biologie geht. Forscher wie Romesberg wollen lebenden Zellen Eigenschaften und Funktionen verpassen, die es in der Natur zuvor nicht gab. Und sie sind erstaunlich erfolgreich darin. Schon heute deutet sich eine Art biologischer Maschinenpark an: Biosensoren melden Umweltgifte und bauen sie sogleich ab, in Reagenzgläsern imitieren Forscher die pflanzliche Photosynthese, um aus Kohlendioxid Rohstoffe herzustellen. Künftig sollen neu zusammengesetzte Proteine im Körper gezielte Reparaturen ausführen und Organismen resistent gegen alle Viren machen. "Mit künstlichen Proteinen können wir die Medizin revolutionieren", sagt Romesberg.
Die Revolution lieferte bereits einen ersten Paukenschlag: Ein internationales Konsortium hat sich den Neuaufbau des Genoms der Bäckerhefe vorgenommen. Sein Erbgut besteht aus mehr als zwölf Millionen Buchstaben, arrangiert zu mehr als 6000 Genen und verteilt auf 16 Chromosomen. Schritt für Schritt arbeiten sich die Forscher vor, sie stellen Häppchen von 50000 Gen-Buchstaben her und bauen die Stücke in die Hefe ein. Durch dieses Vorantasten filtern sie nicht lebenswichtige Gene heraus. Das Vorhaben ist auf Jahre angelegt, trotz der Größe des Forscherverbunds Sc2.0 ("Sc" von Saccharomyces cerevisiae), dem Universitäten aus den USA, China, Großbritannien, Australien und Singapur angehören. Dennoch sind erste Wegmarken erreicht: Vor drei Jahren hatte Jef Boeke von der New York University das erste Chromosom neu "geschrieben". Jüngst teilte das Konsortium Sc2.0 die Herstellung von fünf weiteren Designer-Chromosomen mit.
Die Forscher haben das Genom der Bäckerhefe allerdings nicht einfach nur kopiert, sondern auch umcodiert. Das Erbgut unterscheidet sich nun von dem des natürlichen Lebewesens.
Um zu verstehen, wie das möglich ist, zunächst ein kurzer Ausflug in die Zellbiologie: Gen-Informationen dienen der Zellmaschinerie als eine Art Bauplan, aus denen sie Proteine und andere Stoffe herstellt, die für den Stoffwechsel notwendig sind. Bestimmte Stoppsequenzen markieren das Ende eines Gens. In der Regel existieren mehrere Varianten dieser Sequenz, aber alle haben die gleiche Funktion. Das nutzten die Forscher: Sie zweckentfremdeten ein Stoppsignal. Aus der Codeabfolge TAG machten sie TAA. So schufen sie die Möglichkeit für Proteinbaupläne, die es in der Natur nicht gibt.
Was konkret mit künstlichen Proteinen machbar ist, zeigt Arne Skerra von der Technischen Universität München. "Natürliche Proteine erkennen Zuckermoleküle nur schwer", erklärt der Biochemiker. Dabei wäre genau diese Fähigkeit wichtig, um beispielsweise Krebserkrankungen anhand spezifischer Zuckerstrukturen auf den Tumorzellen zu identifizieren. Skerras Team hat daher an einer genau definierten Stelle eines Proteins eine nicht natürliche Aminosäure eingebaut, die Zucker gut bindet. So entstand eine Art künstliche Greifhand für Zuckermoleküle. Das Prinzip ließe sich auch auf andere Krankheiten übertragen. Die Hoffnung sind Medikamente mit weniger Nebenwirkungen. Weil sich Arzneimittel spezifisch auf krank machende Stoffe oder fehlfunktionierende Zellen zuschneiden lassen, würden gesunde Zellen nicht angegriffen. Eine weitere Hoffnung: Neue Antibiotika aus künstlichen Proteinen könnten die wachsende Gefahr multiresistenter Keime eindämmen.
Experimente von George Church von der Harvard University in Boston zeigen das enorme Potenzial – aber auch die unheimliche Dimension. Die Vision des Molekularbiologen ist ein Zoo aus künstlichen Tieren, die resistent gegen alle Viren sind. Auch menschliche Stammzellen sollen universelle Immunität erhalten. Eine Etappe zu diesem Ziel hat das Team des Molekularbiologen bereits erfolgreich hinter sich gebracht: Im Darmbakterium E.coli haben die Bostoner 62000 Buchstaben des Erbguts ausgetauscht – so viele wie keine andere Gruppe vor ihnen.
So entstanden sieben neue Codierungen. Ihnen könnten die Forscher in einem nächsten Schritt nun künstliche Aminosäuren zuweisen, die Bausteine der Proteine. Dann wäre der Mikroorganismus in der Lage, eine ganze Reihe unterschiedlicher Designerproteine herzustellen. Damit wäre der Mikroorganismus so stark der Natur entfremdet, dass ein Virus sich in seinem Innern nicht vermehren könnte. Die Proteine des Erregers wären so missgebildet, dass daraus kein neuer Virus entstehen könnte.
Dass die Designermikroben in der Natur nicht vorkommen, wäre auch bei der industriellen Nutzung vorteilhaft: Bisherige Industriebakterien können von Viren befallen werden. Dann drohen Millionen-Euro-Verluste, da mitunter ganze Produktionen ausfallen. Bei Kunstorganismen ist dieses Risiko ausgeschlossen. "Die Viren benötigen ihnen bekannte Zellstrukturen, um sich reproduzieren zu können, wenn es die nicht mehr gibt, funktioniert ihr System nicht mehr", sagt Torsten Waldminghaus, Mikrobiologe an der Philipps-Universität Marburg. Noch mehr Möglichkeiten bieten sich mit dem erweiterten Code von Floyd Romesberg. Denn damit stehen nicht nur vier Buchstaben zur Verfügung, um Proteine zu codieren, sondern sechs. Ganze 152 neue Eiweißbausteine wären theoretisch möglich.