Glasfaserausbau: Harte Bandagen im Kampf um die Kunden​

Gefährlicher Doppelausbau oder Infrastruktur-Wettbewerb? Wie die Deutsche Telekom und ihre Wettbewerber miteinander ringen – und die Politik zuschaut.​

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Glasfaser fĂĽr einen Hausanschluss in Berlin.

(Bild: heise online/vbr)

Lesezeit: 19 Min.
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Der Glasfaserausbau in Deutschland schreitet voran. Überall in Deutschland werden Straßen aufgerissen und Lichtwellenleiter im Erdreich versenkt. Die Tage von Kupferdraht und Koaxialkabeln scheinen gezählt. Doch die Branche warnt: Der Ausbau droht weiter ausgebremst zu werden. Denn zum einen werden die Bedingungen schwieriger, zum anderen wird mit harten Bandagen gekämpft. Im Zentrum der Vorwürfe steht die Telekom.

Der Glasfaser-Ausbau ist politisch gewollt. Schnellstes Netz, überall, das ist die Hoffnung, die damit verbunden ist. Und das Land hat in den vergangenen Jahren den Ausbau deutlich beschleunigt: Stadtwerke, Netzbetreiber und mit Investorengeldern neu gegründete Anbieter verlegen Glasfaser-Infrastruktur. 2025 dürfte etwa die Hälfte aller Haushalte in der Bundesrepublik über Glasfaser bis ins Gebäude (FTTB) verfügen.

Mittelfristig soll dafür auch die Kupferdrahtverbindung weichen, die auf der "letzten Meile" in die Wohnungen noch das dominierende Medium ist. Auf der alten Teilnehmeranschlussleitung (TAL) aus dem Bundespostzeitalter ist mit Techniken wie VDSL/Vectoring und G.fast das Ende der Fahnenstange erreicht. Das Kupfernetz steht unter der Kontrolle der Deutschen Telekom. Netzbetreiber fordern schon länger eine Abschaltstrategie für das Kupfernetz. Zwar will das Bundesdigitalministerium sich damit befassen, doch sind angesichts der zu erwartenden Neuwahlen weitere Verzögerungen zu befürchten.

Vor allem institutionelle Anleger suchten in der Niedrigzinsphase nach verlässlichen Investitionsmöglichkeiten mit kalkulierbaren Renditen. Auf dem Markt herrschte Goldgräberstimmung, neue Glasfaserfirmen schossen wie Pilze aus dem Boden. Um die 1000 Euro kostet ein Hausanschluss die Anbieter laut Branchenkennern. Bei Verbraucherpreisen zwischen 30 und 100 Euro pro Monat und einer angenommenen Betriebsdauer von mindestens 20 Jahren schien das eine sichere Anlagemöglichkeit, deren Refinanzierung und Renditeerwartung gut kalkulierbar ist.

Doch mit dem rapiden Anstieg der Zinsen vor zwei Jahren verlor das an Attraktivität – Investoren hatten wieder mehr vergleichbar sichere Alternativen zum Glasfasergold, etwa Staatsanleihen, die zuvor teils bei Nullzinsniveau lagen. Dazu kommt: Auch die Glasfaserunternehmen müssen nun mehr für ihre Schulden bezahlen, mit denen sie den Ausbau vorfinanzieren. Weshalb einige Unternehmen ihre Strategie nun anpassen: Statt Gebiete nur zu erschließen ("Homes Passed") wird die Zahl der "Homes Activated" wichtig – tatsächlich erschlossene Haushalte, die auch regelmäßig für eine Dienstleistung zahlen.

Glasfaseranschlüsse sind schneller und stabiler als Anschlüsse, die auf Kupfer basieren. Doch die sogenannte "Take-Up Rate" der Kunden, die tatsächlich einen Anschluss buchen und bezahlen, bleibt hinter den Erwartungen zurück. Und auch der Ausbau in den Häusern, wenn die Strippe bis in die Wohnung gezogen wird, kostet Geld und verursacht teils enorme bürokratische Aufwände mit Wohnungswirtschaft oder Eigentümerversammlungen.

In der Niedrigzinsphase war das egal: Erst einmal ging es für die Unternehmen darum, wie am Hotelpool das "Handtuch zu werfen", wie es in der Branche genannt wird. Also möglichst viele Haushalte überhaupt mit Glasfasernetzen erreichbar zu machen. Die Reihenfolge: Planung, Ankündigung, Vermarktung, Ausbau. Ein Unternehmen plant den Ausbau, geht dann auf die möglichen Kunden zu und sobald eine bestimmte Anzahl von Anschlüssen verkauft ist, wird konkret projektiert. Anschließend rollen Bagger, werden Schlitze in Straßen gezogen und Erdraketen wühlen sich durch den Untergrund.

Mitunter wird ein Ausbau angekündigt, der sich dann über Jahre hinzieht. Um zu zeigen, dass man weiterarbeitet, geht es in Tippelschritten voran. In manchen Gebieten liegt dann die Glasfaser in der Straße, aber das Haus ist nicht angeschlossen. Woanders wird schon für den Hausanschluss gebaut, aber die Verbindung zum Netz fehlt. Ein Problem fehlender Baukapazitäten, sagen Betreiber. Nur selten wird ein Ausbau auch einmal offiziell abgesagt – denn das Handtuch auf der Landkarte ist wichtig.

Das hängt mit einer weiteren Entwicklung zusammen, die Unternehmen und Politik jetzt beschäftigt: Der sogenannte Doppelausbau oder Überbau. Während Infrastruktur wie Strom, Wasser, Gas oder Fernwärme in der Regel von Gebietsmonopolisten einmalig an die Häuser angeschlossen wird, soll laut Europarecht beim Glasfaserausbau Wettbewerb herrschen. Damit kommen marktwirtschaftliche Interessen ins Spiel.

So kommt es vor, dass in einem Ausbaugebiet zwei Unternehmen mit eigener Infrastruktur um Kunden kämpfen. Eigentlich sollte das kein Problem sein. Denn Glasfaseranschlüsse, Leitungen oder Datenverkehr können nach dem "Open Access"-Prinzip problemlos geteilt werden. Der Netzbetreiber, der ausgebaut hat, vermietet seine Anschlüsse, den Zugang oder eine separate Faser an einen anderen Anbieter.

Doch trotz aller Bekenntnisse zu Open Access kommt es immer wieder zu Problemen. Schon die AnkĂĽndigung, dass ein zweiter Anbieter ein Glasfasernetz ausbaut, kann die Kalkulation des ersten auf den Kopf stellen. Vor allem der Deutschen Telekom wird dabei vorgeworfen, das auszunutzen und einen "strategischen Ăśberbau" zu betreiben. Also gezielt dann in Ausbaugebiete oder Teile davon gehen, in denen andere Anbieter bereits mit der Vermarktung oder gar der realen ErschlieĂźung begonnen haben.

Die Bundesnetzagentur sollte herausfinden, ob das tatsächlich der Fall ist. Eine eigens eingerichtete Monitoringstelle sammelt Meldungen von Netzbetreibern, Kommunen und anderen Betroffenen. Ein Zwischenbericht vom April 2024 sorgte für Diskussionen. War die Bundesnetzagentur im Entwurfsstadium vor allem mit der Deutschen Telekom noch sehr kritisch ins Gericht gegangen, waren die Bedenken in der Endfassung deutlich reduziert. Die Branche vermutete Einmischung von ganz oben.

Der Berliner Tagesspiegel hat eine Einflussnahme des Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) über Unterlagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz nachweisen können. Doch dass diese unzulässig war, streitet das BMDV vehement ab: "Zu dem Zeitpunkt, als der erste Entwurf dieses Zwischenberichts vorlag, fehlte zum Beispiel eine ganze Reihe von Eingaben, die später nachgeholt wurden", erklärt ein Sprecher. "Im Angesicht dieser Entwicklung fanden diese Abstimmungen statt, und dementsprechend wurde beim Bericht nachgeschärft."

Bis Anfang Oktober gingen bei der Monitoringstelle 482 Meldungen ein. Einen Termin für einen weiteren Bericht gibt es noch nicht. Tatsächlich dürfte es schwer werden, den Doppelausbau ganz zu verhindern. Doch dass die Realität so für alle Beteiligten sinnvoll ist, darf bezweifelt werden, wie ein Blick in betroffene Regionen zeigt.