Grüner Wasserstoff: Wo beste Bedingungen herrschen, soll ein Afrika-Atlas zeigen

Der "H2-Atlas Afrika" für West- und Südafrika zeigt Potenziale für Wasserstoffproduktion. Die Infrastruktur könnte auch die Energiearmut vor Ort bekämpfen.

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2 siloförmige Tanks mit Aufschrift H2

(Bild: petrmalinak/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Die Hälfte der 1,25 Milliarden Einwohner hat keinen Strom-Zugang, 900 Millionen Menschen haben keine sauberen Koch-Möglichkeiten. Und dennoch soll das subsaharische Afrika Deutschland bei der Bewältigung seiner Energiewende behilflich sein. Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger geben sich daher die Klinken in die Hand, um Länder im südlichen und westlichen Afrika für die Wasserstoff-Exportwende zu motivieren.

Flankierendes Element dieser Ambitionen ist der gerade online veröffentlichte "H2-Atlas-Afrika". Darauf soll sich erkennen lassen, wo die Produktion von Wasserstoff für den Export nach Europa in Zukunft die besten Chancen hat, wo sich aber hoffentlich auch Afrikas Energiearmut bekämpfen lässt.

Deutschland kann seinen erwarteten Bedarf an grünem Wasserstoff auf dem Weg zur Klimaneutralität nämlich höchstens zur Hälfte decken. Als Langzeit-Energiespeicher soll Wasserstoff die Schwankungen im Wind- und Sonnenstrom ausgleichen, doch der Löwenteil soll wohl einst in die Stahlproduktion und die Grundstoffchemie strömen.

Der H2-Atlas-Afrika entstand im Auftrag des Bundesministeriums Bildung und Forschung am Institut für Energie- und Klimaforschung des Helmholtz-Forschungszentrum Jülich (FZJ). Lokale Daten lieferten Wissenschaftler der beiden deutsch-afrikanischen Kompetenzzentren für Klimawandel und angepasstes Landmanagement im westlichen (WASCAL) und im südlichen Afrika (SASSCAL). Der interaktive Atlas umfasst die 31 Länder der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC).

Für die Herstellung von Wasserstoff sind zwei Dinge wichtig: Ziemlich viel Wasser und sehr viel Energie, die das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet. Für ein Kilogramm Wasserstoff braucht man 40 bis 80 Kilowattstunden Strom und rund neun Liter Wasser.

Der Atlas zeigt also nicht allein Gegenden auf, in denen sich günstig Strom aus Wind oder Sonne erzeugen lässt, sondern auch, wie man in wasserarmen Ländern trotzdem an Wasser kommt.

"Das muss aus der Meerwasserentsalzung stammen", so Detlef Stolten, der Leiter des Jülicher Instituts. Denn kostbare Trinkwasserreservoire anzuzapfen kommt für ihn nicht in Frage. "Die Kosten für die Entsalzung haben wir mit unter 0,5 Cent pro Kilowattstunde Strom berechnet", sagt Stolten. "Also in einem sehr, sehr kleinen Bereich. Und damit ist das leistbar."

Die Karte entstand unter Zuhilfenahme mathematischer Modelle und Algorithmen. "Zu den geographischen Grunddaten fügen wir die Wetterdaten hinzu und sehen im Programm zum Beispiel, wo ganz wenig Wind weht und der Strom aus Windrädern deshalb recht teuer wird." Dort, wo oft und intensiv die Sonne scheint, bevorzugt der Algorithmus dann die Solarenergie.

"Unser Ausgangspunkt ist immer die Landfläche der zu untersuchenden Regionen in Quadratkilometern", sagt Stolten. "Und da gehen wir mit knapp 30 Ausschlusskriterien heran." Dazu gehören Siedlungen, Verkehrswege, Naturschutzgebiete, Sümpfe, Wälder oder auch Gebiete mit mehr als zehn Prozent Steigung.

Küstenstandorte gibt es dann nicht mehr viele. Sei es, dass sie unter Naturschutz stehen, wie die namibische Küste, oder weil sie dicht besiedelt sind. Aber Wasserstoff-Produktionsstätten mit ihren Wind- oder den platzgreifenden Solarkraftwerken müssen auch nicht unbedingt an Meeresufern liegen. Entsalzungsanlagen sind dagegen klein und können an vielen Ufern stehen. Ausgenommen da, wo eine Meeresströmung gegen das Ufer drückt. Dort kann sich nämlich die Salzsole, die nach der Brauchwassergewinnung ins Meer zurück muss, nicht verteilen.

"Highly favorable": Einblick in einen Standort an der Elfenbeinküste. Auf Grundlage der Bewertung von sozio-ökonomischen Faktoren wäre der Staat laut H2-Atlas Afrika gut geeignet für die Einrichtung von Wasserstoff-Produktionsstätten.

(Bild: Screenshot H2-Atlas Afrika)

Für Stolten sind Pipelines eine Lösung: "Die sind verhältnismäßig billig zu bauen. Auf die Weise könnte entsalztes Seewasser zu den Produktionsorten ins wasserarme Hinterland transportiert werden. Sollten die Pipelines aber durch andere Länder hindurchführen, dann werde diese Länder sicherlich auch Durchleitungsgebühren verlangen." Nebeneffekt: Das entsalzte Wasser könnte auch für die Bewässerung von Feldern genutzt werden.

Auf der Basis der Baukosten für die Energie- und Entsalzungsanlagen oder für den Bau von Pipelines liefern die Karten-Modelle sogar Anhaltspunkte für die Kosten des Gases.

In die Beurteilung, ob eine Region für die Wasserstoffproduktion besser oder schlechter geeignet ist, fließen aber auch Indikatoren zu den sozialen, administrativen und politischen Rahmenbedingungen und zur Export- und Transport-Infrastuktur ein. Diese Daten haben Forscher der WASCAL- und SASSCAL-Initiativen vor Ort erhoben.

Aus all diesen Begrenzungen und Bedingungen errechnen Algorithmen schließlich die Potenzialkarten für die 31 Länder, auf denen sich jetzt Flecken entdecken lassen, auf denen es rein theoretisch lohnend sein könnte, Wasserstoffproduktionsanlagen mit den energieliefernden Windkraftwerken oder Solarpaneelen zu installieren. "Ob es sich von den Möglichkeiten vor Ort auch realisieren lässt, ist dann eine Frage der Entscheidung vor Ort bei den Regierungen", sagt Stolten. "Es ist ein Potenzialatlas – das ist wichtig, zu betonen."

Allerdings ist der Atlas nicht genau genug, um auch die Verteilung des Landbesitzes zu veranschaulichen. Dabei können sie sozialen Sprengstoff bergen, weil Landlose durch Kauf oder Verpachtung von Energieflächen ihre Arbeit verlieren könnten.

Wie im gesamten Afrika jenseits der Sahara hat auch in Namibia, dem derzeitigen Liebling der europäischen Wasserstoffpolitiker, die Hälfte der Einwohner keinen Anschluss an Strom. Von ihnen ist auf politischer Bühne nur selten sie Rede, wenn es um die Energie-Investitionen für den Wasserstoff-Boom geht.

Zumindest für Stolten ist aber klar: "Das muss natürlich alles parallel laufen. Die Menschen in Afrika ohne Strom müssen im Zuge des Ausbaus der Wasserstoffanlagen an Elektrizität angeschlossen werden. Es darf nicht den Ruch von Kolonialismus geben."

(jle)