Grüner Wasserstoff aus Namibia

Namibia wird zum forschen Mitspieler im aufstrebenden, grünen Wasserstoffmarkt: Maßgeblich beteiligt ist auch eine Firma aus Deutschland.

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Wasserstoff-Projekt in Namibia

Wasserstoff-Projekt in Namibia.

(Bild: Enertrag)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

In dem beschaulichen 15.000-Einwohner-Städtchen Lüderitz an der südlichen Atlantikküste Namibias wird sich das Leben wohl schon bald sehr ändern. Nämlich dann, wenn sich während der vierjährigen Bauphase des größten Wasserstoffprojekts des Landes die Einwohnerzahl verdoppelt.

Denn für den vier Jahre dauernden Bau einer gigantischen Produktionsanlage für grünen Wasserstoff rechnet das Unternehmen Hyphen Hydrogen Energy mit 15.000 neuen Arbeitskräften, 90 Prozent von ihnen Namibier. Für den späteren Betrieb reichen dann 3.000 Menschen.

Am 24. Mai 2023 unterzeichneten die Regierung Namibias und Hyphen Hydrogen Energy, kurz Hyphen, ein Durchführbarkeits- und Umsetzungsabkommen über das 10-Milliarden-US-Dollar-Projekt – so viel, wie das Bruttoinlandsprodukt des Landes. Hyphen ist ein Joint Venture der deutschen Enertrag aus Dauerthal in der Uckermark, einem Pionier bei den Erneuerbaren, und Nicholas Holdings, einem Investor und Projektentwickler von den Virgin Islands.

Auch der namibische Staat plant, mit 24 Prozent in das Vorhaben einzusteigen, um so neben Einnahmen aus Steuern, Lizenzen und Umweltgebühren auch am Gewinn beteiligt zu sein. Schließlich braucht Namibia viel Geld, um besonders seinen jungen Menschen bessere Lebensperspektiven, Bildung und ein gutes Gesundheitssystem zu bieten. Von ihnen waren 2020 offiziell 38 Prozent arbeitslos, nach Corona könnten es jetzt aber 70 Prozent sein.

Auf mehr als einem Fünftel des fast 22.000 Quadratkilometer großen Tsau/Khaeb-Nationalparks entstehen bis 2029 südlich von Lüderitz Solar- und Windparks mit einer Kapazität von sieben Gigawatt.

Die Hälfte des Stroms werden die Elektrolyseure zur Wasserstoffgewinnung aus Meerwasser brauchen, die andere Hälfte schlucken Meerwasserentsalzung und die Umwandlung zu Ammoniak, der sich leichter transportieren lässt.

Außerdem soll auch Strom für die Bevölkerung übrig bleiben. Doch dafür müssen erst einmal Stromleitungen gebaut werden. Einen Stromanschluss hat auf dem Lande derzeit überhaupt nur ein Drittel der Menschen.

Am Ende will Hyphen dann 350.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr produzieren und in zwei Millionen Tonnen Ammoniak umwandeln, vorwiegend für den Export, aber auch für die inländische Wasserstoffindustrie, die sich entwickeln soll.

Trotz des großen Interesses, das deutsche Politiker neuerdings an Namibia zeigen: Deutschland steht als Exportmarkt nicht unbedingt im Fokus, auch wenn RWE schon eine Vereinbarung über 300.000 Tonnen Ammoniak pro Jahr ab 2027 unterzeichnet hat. 250.000 Tonnen pro Jahr will nämlich auch das südkoreanische Unternehmen Approtium abnehmen. Zudem steht ein namentlich nicht genanntes europäisches Unternehmen auf der Liste – und Partnerschaften mit japanischen Firmen sind im Gespräch.

Doch es gibt auch Kritik. Anscheinend hat die Regierung die Bevölkerung kaum in die Planungen einbezogen, beispielsweise in Form von Konsultationen oder Gesprächen vor Ort.

Im Parlament prangerte der Abgeordnete der Partei "Bewegung der Landlosen Menschen" (LPM), Henny Seibeb, die Geheimniskrämerei um das grüne Wasserstoffprojekt an, weil die lokale Bevölkerung nur aus den Medien und vom Hörensagen von dem Projekt erfahren habe. Er sprach sogar von "Neokolonialismus durch Deutschland", wie der private, deutschsprachige Radiosender Hitradio in Windhoek berichtete.

Heftige Reaktionen von Juristen provozierte eine Drohung von Präsident Hage Gottfried Geingob Ende Mai: Die Menschen in der Region dürften sich nicht in das grüne Wasserstoffprojekt einmischen, zitierte ihn The Namibian, die größte Tageszeitung des Landes.

"Die Warnung des Präsidenten ist eine abschreckende und besorgniserregende Botschaft an diejenigen, die Bedenken hinsichtlich der Umweltauswirkungen des Projekts haben oder das Gefühl, dass ihre Stimmen nicht gehört werden", erboste sich Tony Hancox, die Direktorin des Rechtshilfezentrums LAC. Geingobs Äußerungen ließen darauf schließen, dass er bereit sei, die Werte einer demokratischen Nation zu missachten, um ein umstrittenes Projekt durchzusetzen.

Doch im Großen und Ganzen halten Experten der Heinrich-Böll-Stiftung und auch Joachim Fünfgelt von "Brot für die Welt" das Projekt für recht vorbildlich – jedenfalls auf dem Papier, wie Fünfgelt betont. Er führte in den letzten Wochen Gespräche mit Enertrag-Vertretern und mit James Mnyupe, dem Wirtschaftsberater des namibischen Präsidenten und Leiter der Planungskommission.

Die namibische Wasserstoffstrategie ist bereits seit Jahren in staatlichen Entwicklungsplänen verankert, lange vor Corona und dem russischen Angriff auf die Ukraine. Namibia ist also inzwischen ein Akteur, schmiedet sein eigenes Schicksal, und verfolgt aus eigenem Antrieb die Chancen der Produktion von grünem Wasserstoff.

Allerdings ist vieles noch unklar und die Zukunft wird zeigen, ob das, was in den Papieren steht, auch wirklich umgesetzt wird. So werden Naturschutzgutachten erst in zwei Jahren zeigen, wie sich die Anlage auf das Wüstenökosystem auswirkt. Selbst bei technischen Fragen – wie der Einleitung der Entsalzungssole ins Meer und deren Verdünnung vor der Küste – bleiben die Pläne vage. Auch könnten immer noch Widerstände in der Bevölkerung auftreten, wie die Unternehmensberatung Ernst & Young in einer Studie befürchtet.

(bsc)