Handy im Ohr

Ob mit Draht oder ohne – Ohrhörer waren bisher eine eher unsmarte Erweiterung des Smartphones. Doch jetzt emanzipieren sie sich und schaffen eine neue Geräteklasse: die "Hearables".

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Handy im Ohr

(Bild: Google)

Lesezeit: 3 Min.
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Sie spielen weiterhin Musik ab und sitzen in den Ohren. Das ist allerdings schon alles, was klassische Kopfhörer mit modernen "Hearables" gemein haben. Per Sprachsteuerung lassen sich beispielsweise fast beliebig komplexe Dienste aus der Cloud anzapfen.

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Die Pilot-Ohrhörer von Waverly Labs und Googles Pixel Buds nutzen die Cloud für Übersetzungen, und Vi von LifeBeam für einen Fitnesscoach, der über die eingebauten Sensoren den Laufrhythmus analysiert und selbstständig einen Takt vorgibt.

Anfänglich haben zwar viele Geräte ihre Nutzer enttäuscht, vor allem die Funkverbindung über Bluetooth machte Probleme. Doch spätestens Apples AirPods zeigten, dass dieses Hindernis bewältigt ist. Auch die Anbindung an die Cloud bremste die Freude an den Geräten.

Denn bis Daten dorthin geschickt, berechnet und von dort wieder zurück sind, vergeht für Echtzeitanwendungen zu viel Zeit – von Fragen des Datenschutzes ganz abgesehen. Die neue Generation hat eigene Prozessoren und Sensoren an Bord und ist deshalb nicht mehr zwingend auf die Cloud angewiesen, und oft nicht einmal auf ein Smartphone.

Nun wagen erste Entwickler sogar den Schritt hin zu ernsthaften Medizinprodukten. "Personal Sound Amplification Products" etwa sollen das Hören im Alltag verbessern: Die Nuheara IQbuds blenden im Flugmodus Fluggeräusche aus, im Restaurant dämpfen sie Umgebungslärm und heben die Sprache des Gegenübers an.

Auch Vorträge aus größerer Entfernung sind so besser zu verstehen, wenn auch etwas blechern. Mit Reglern in der dazugehörigen App kann man das Verhältnis zwischen Welt und Sprache frei einstellen. Die Berliner Audiospezialisten von Mimi Hearing Technologies gehen noch weiter: Sie passen alle Sounds automatisch an das persönliche Hörprofil jedes einzelnen Hörers an, egal ob von digitalen Quellen oder aus der Umgebung.

Denn Menschen hören nicht über alle Tonfrequenzen hinweg gleich gut. Auf Basis eines sechsminütigen Hörtests per App passt das Hearable bestimmte Frequenzen gezielt an, um den Klang beim Musikhören zu verbessern. Die Software reagiert in Echtzeit auf die jeweilige Musik. Das hat den Nebeneffekt, dass man den Ton bei gleichbleibender Qualität leiser drehen kann, was das Gehör schont. Die Technik von Mimi läuft bereits auf dem Hi-Fi-Kopfhörer Beyerdynamic Aventho Wireless.

Künftig dürften noch einige andere Ideen hinzukommen, denn das Münchner Start-up Bragi, ein Vorreiter bei Hearables und Entwicklungspartner von Mimi, hat seine Softwareplattform kürzlich als Entwicklungsumgebung freigegeben.

Drittanbieter können darauf nun Anwendungen für die gängigen Chips und Sensoren schreiben. So könnte die Bragi-Plattform zur Heimat für ein ganzes Hearable-Ökosystem werden. Sollen die Geräte als allgegenwärtige Assistenten dienen, müssen sie logischerweise dauernd im Ohr bleiben.

Genau für diesen Zweck hat Sony den Ohrhörer Xperia Ear Duo entwickelt. Die Stöpsel blenden die Umgebungsgeräusche nicht aus, sondern mischen sie elektronisch mit dem Audiosignal. Außerdem ist das Gerät vollständig ohne Hände bedienbar, nur durch Gesten wie Nicken oder Kopfwackeln. Bis zu fünf Headsets lassen sich zu einer Gruppe verbinden.

Ein Nicken aktiviert das Mikrofon, und man spricht in einen gemeinsamen Chatraum, wie bei einem Walkie-Talkie. So kann man beispielsweise bei einer Radtour den Mitfahrern eine Routenänderung durchgeben, ohne die Hände vom Lenker zu nehmen.

(grh)