Haste mal ’ne Utopie?

In der zeitgenössischen Science-Fiction-Literatur dominieren düstere Visionen. Wenn sie ein Gradmesser für die gesellschaftliche Stimmung ist, stellt sich die Frage: Geht uns die Zukunft aus?

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Haste mal ‚ne Utopie
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Hach, was waren das für Zeiten: Die Zukunft war noch richtige Zukunft und verhieß fliegende Autos, servile Roboter und glänzende Raumanzüge. Alles war machbar, und was machbar war, war auch gut: Technischer Fortschritt sollte die Erde zu einem besseren Planeten und die Menschen zu einem besseren Wesen machen. So versprach es die Science-Fiction der 50er und 60er. Wenn Literatur ein Spiegel der gesellschaftlichen Stimmung ist, dann sahen die Menschen ihre Welt damals ziemlich rosig. Und heute?

Aktuelle Techno-Thriller sind gern nach einem düsteren Muster geschrieben: Künstliche Intelligenz bedroht die Menschheit, Biotech-Mafiosi unterwandern die Gesellschaft, der Klimawandel demoliert die Zivilisation.

So naiv uns der Technik-Optimismus früherer Science-Fiction heute erscheinen mag – ist der gegenwärtige lockere Umgang mit apokalyptischen Szenarien wirklich besser? Oder ist er nicht vielleicht ein Zeichen für eine gewisse Saturiertheit? Wir haben die meisten der früheren Utopien längst verwirklicht, und nun langweilen sie uns.

Wenn das so wäre, würde uns heute gewaltig etwas fehlen. Schließlich haben sich Science und Fiction immer schon gegenseitig befruchtet. Häufig zitierte Beispiele sind der Kommunikator aus „Star Trek“ als Blaupause für Klapphandys, das Metaversum in „Snow Crash“ als Vorwegnahme der virtuellen Realität und die schwebenden Bildschirme aus „Minority Report“ als Vorbild für Gestensteuerung.

Doch der wahre Einfluss klassischer Science-Fiction dürfte viel tiefer gehen als solche anekdotischen Fälle: Die literarischen Zukunftsvisionen begeisterten Generationen von Forschern für die Wissenschaft. Viele von ihnen, etwa der US-Physiker Michio Kaku, sind bekennende Science-Fiction-Fans. Suhlt sich das Genre weiterhin in Dystopien, könnten uns nicht nur neue Ideen ausgehen, sondern auch der wissenschaftliche Nachwuchs.

Oder ist alles ganz anders? Dystopien sind schließlich keine Erfindung der Gegenwart. Sie waren immer schon zentraler Bestandteil des Genres, von H. G. Wells’ „Insel des Doktor Moreau“ (1896) über Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ (1932) bis hin zu George Orwells „1984“ (1949). Und ist eine kritische Begleitung der technischen Entwicklung nicht die eigentliche Aufgabe der Literatur? Visionen herauszuposaunen, das machen andere schließlich schon zu genüge: PR-Agenturen etwa oder die Alphamännchen des Silicon Valleys. Brauchen wir Science-Fiction also als warnendes Gegengewicht dringender denn je?

Wir haben zehn der spannendsten zeitgenössischen Science-Fiction-Autoren nach ihrer Meinung gefragt. Ihre Antworten sind so vielfältig wie das ganze Genre.

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

Seite 68 - Andreas Eschbach, Die Grenzen der Technologie

Seite 70 - Cixin Liu, Rechnet mit dem Schlimmsten!

Seite 74 - Christina Dalcher, Fortschritt kann Kontrollverlust bedeuten

Seite 76 - Cory Doctorow, Science-Fiction muss inspirieren, nicht wahrsagen

Seite 78 - Marc Elsberg, Warum schlechte Nachrichten von guten Zeiten zeugen

Seite 80 - Jens Lubbadeh, Drei Dystopien, die zu einem guten Ende führen

(grh)