Hier kommt die Blockchain ins Spiel

Seite 2: Weitere Anwendungsmöglichkeiten

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Musik vergüten

Start-ups wie das Dot-Blockchain-Projekt wollen eine vergleichbare und damit fairere Vergütung von Musikern erreichen. Gründer Benji Rogers will dazu eine eigene globale Repertoire-Datenbank erstellen. Sie soll alle Eigentumsverhältnisse, Leistungsinformationen, Urheberrecht- und Nutzungsrechte enthalten und diese Informationen allen, die sie nutzen möchten, zur Verfügung stellen. Für Downloads, Streams, Remixes oder die Verwertung durch Portale lassen sich entsprechende Preise festlegen – und mit einem Smart Contract verknüpfen.

Schon fürchten die großen Labels und Musikverlage, überflüssig zu werden, und reagieren entsprechend empfindlich. Aber nicht alle ihre Gegenargumente sind von der Hand zu weisen. Damit das Blockchain-Konzept funktionieren kann, müssen Daten aus unterschiedlichsten Quellen miteinander kompatibel sein. "Das ist aber oft nicht der Fall", sagt Peter Tschmuck, Musikökonomie-Experte an der Universität Wien. "Das beginnt schon damit, dass die Titel ein und desselben Songs in den Datenbanken in unterschiedlichen Schreibweisen auftauchen." Diese Daten müssten also erst einmal vereinheitlicht werden.

Wer nicht so lange warten will, muss sich von den Labels lossagen und die Werke direkt den Fans zum Download anbieten. Das etwa macht die britische Songwriterin Imogen Heap. Ihr Song "Tiny Human" kann online erworben oder lizenziert werden. Die Zahlungen gehen dabei direkt an die beteiligten Künstler. Mehr noch: Innerhalb festgelegter Richtlinien kann jeder den Titel für neue Geschäftsmodelle, Apps oder auch Dienstleistungen verwenden – und somit sich und den Künstler bereichern.

Wetten abschließen

Bleibt Angela Merkel ewig Bundeskanzlerin? Welcher Verein gewinnt die Champions League? Bisher werden Prognosen dieser Art von Wahlforschern abgegeben oder auf teils dubiosen Wettbörsen gehandelt. Einige amerikanische Start-ups wie Augur oder Gnosis versuchen nun Alternativen per Blockchain zu schaffen. Denn die bestehenden Börsen haben Nachteile: Die Gebühren sind hoch, die Themenauswahl ist beschränkt, und manche Anbieter sind finanziell nicht solide. Dazu kommt: Zentrale Server können im entscheidenden Moment abstürzen oder manipuliert werden – und viel Geld vernichten.

Die neuen Angebote haben keine zentrale Instanz. Stattdessen, so die Idee dahinter, kann jeder Nutzer Wetten platzieren und direkt mit anderen ins Geschäft kommen. Dafür kauft man einen Anteil am vermuteten Ausgang eines Ereignisses, etwa dem Wahlsieg von Kanzlerkandidat Schulz. Gewinnt der SPD-Chef, steigt der Wert des Anteils auf einen Dollar; verliert er, sinkt der Wert auf null. Vor der Wahl können Nutzer ihre Anteile handeln. So wird der Preis eines Anteils zum Gradmesser für die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses. Über die Blockchain sind die Wetten abgesichert. Sobald der Ausgang eines Ereignisses bekannt wird, löst ein Algorithmus automatisch die Zahlungen aus. Niemand moderiert, alles ist programmiert.

Um das Ergebnis zu verifizieren, hat sich Augur ebenfalls einen Automatismus überlegt: Tausende ausgewählte Nutzer melden, ob ein Ereignis eingetreten ist oder nicht. Dabei verdienen sie Geld, wenn sie den gleichen Ausgang angeben wie die Mehrheit der "Richter". Das soll verhindern, dass die ausgewählten Nutzer lügen und sich so bereichern.

Schäden ersetzen

Die Teilnehmer der Messe InsurTech im Mai dieses Jahres in Köln waren bestens abgesichert: In den Veranstaltungsräumen waren Sensoren angebracht, die permanent die Luftqualität gemessen und fälschungssicher in einer Blockchain abgespeichert haben. Wurde die Luft zu schlecht, bekamen die Teilnehmer direkt einen Geldbetrag als Entschädigung überwiesen.

Das Kölner Start-up ubirch, verantwortlich für diesen Test, kann sich eine solche Blockchain-Versicherung zum Beispiel in der Landwirtschaft vorstellen. So könnte ein Bauer Sensoren auf seinem Acker platzieren, die Niederschlag messen. Regnet es über einen bestimmten Zeitraum zu wenig oder deutlich zu viel, bekommt der Landwirt automatisch Geld von der Versicherung. Stephan Zimprich vom Internetverband eco merkt aber an: "Da könnte man ja theoretisch auch mit der Gießkanne hingehen." Denn anders als die Blockchain selbst ließen sich die dazugehörigen Sensoren eben sehr wohl manipulieren.

Die Versicherer Aegon, Allianz, Munich Re, Swiss Re und Zurich sehen dennoch Potenzial. Im Oktober vergangenen Jahres gründeten sie eine gemeinsame Initiative für Blockchain-Technik. Sie testen, ob und wie die neue Technologie Aufwand und Kosten bei der Verwaltung von Verträgen reduzieren kann. Andernorts kommt die Blockchain in der Praxis bereits zum Einsatz. Der indische Anbieter Bajaj Allianz, ein Joint Venture der deutschen Allianz und Bajaj Finserv Limited, hat kürzlich die erste Kfz-Versicherung auf Blockchain-Basis eingeführt. "Normalerweise dauert es fünf Tage, um Unfallanzeigen abzuwickeln, selbst wenn es nur um Schäden von etwa 20000 Rupien (ca. 260 Euro) geht", sagte IT-Chef Sourabh Chatterjee dem indischen Portal BusinessLine. Mithilfe der Blockchain-Technologie reichten nun 20 Minuten.

Verwalten und wählen

Estland hat 2016 begonnen, die Gesundheitsdaten seiner Bürger digital zu speichern – und damit die Basis für eine Nutzung der Blockchain für Patientenakten geschaffen. Bisher fällt Kliniken, Apotheken und Versicherungsunternehmen der Austausch über Kundendaten schwer. Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist eine zentrale Speicherung kaum möglich, oder die Daten des Senders sind beim Empfänger nicht lesbar. "Durch die Blockchain-Architektur einer dezentralen Datenbank und kryptografische Funktionen ist ein sicherer Datenaustausch gewährleistet, ohne komplex einzurichtende Punkt-zu-Punkt Verbindungen aufzubauen", so die Unternehmensberatung Deloitte. Smarte Verträge in der Blockchain schafften zudem eine konsistente Methode für den Zugriff auf Patientendaten, für die Teilnehmer eine Genehmigung erhalten können. Das estnische Gesundheitsamt arbeitet daher mittlerweile mit der auf Blockchain spezialisierten IT-Firma Guardtime zusammen.

Noch Größeres verfolgen Initiativen wie Follow my Vote oder die Democracy Earth Foundation: Sie wollen Wahlen digitalisieren und die fälschungssichere Blockchain nutzen, um etwaige Sicherheitsbedenken aus dem Weg zu räumen. Denn normalerweise, so das Argument der Befürworter, sehe man nicht die einzelnen Stimmen, sondern nur das Gesamtergebnis – und das könne theoretisch manipuliert sein. Das digitale Szenario könnte dann wie folgt aussehen: Der Wahlleiter versendet einmalig nutzbare Tokens an alle Wahlberechtigten, per Mail, Post oder Smartphone-App. Nach der Wahl sieht jeder Nutzer, wie alle anderen abgestimmt haben – natürlich unter verschlüsselten Namen. "Der Mangel an Transparenz und der Mangel an Sicherheit unserer Wahlsysteme", wie ihn beispielsweise die Initiative Follow my Vote kritisiert, wäre so aufgehoben.

"Aus technologischer Sicht eignet sich die Blockchain sehr gut für solche Anwendungen", sagt Zimprich. "Noch ist das eher eine Frage des politischen Willens." Immerhin: Die ersten Tests laufen schon. Die amerikanische Börse Nasdaq hat kürzlich eine Onlinewahl für Investoren an der estnischen Börse über die Blockchain abgewickelt. Und das EU-Parlament lässt diese technologischen Möglichkeiten zumindest prüfen.

(bsc)