"Homöopathika sind Placebos"

Seite 2: "Homöopathika sind Placebos"

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TR: Könnte man es so formulieren, dass alternative Heilmethoden die Ausnutzung unspezifischer Effekte zu einer ziemlichen Virtuosität entwickelt haben?

Ernst: Vieles spricht dafür. Alle Daten, die ich kenne, deuten in diese Richtung. Und ich glaube auch, dass die Schulmedizin – ich bevorzuge den Ausdruck "konventionelle Medizin", weil "Schulmedizin" eigentlich ein Schimpfwort vom Samuel Hahnemann [der Erfinder der Homöopathie, d. Red.] war – dass die konventionelle Medizin da eine ganze Menge lernen kann und lernen sollte.

TR: Was sind denn die Stellschrauben, mit denen konventionelle Mediziner den Placebo-Effekt optimieren können?

Ernst: Ich glaube, dass vieles auf den gesunden Menschenverstand zurückgeht. Ob ein Arzt zuhört und auf den Patienten eingeht oder sofort zum Rezeptblock greift – alle diese Dinge spielen eine Rolle. Man kommt da allerdings in eine Zwickmühle, denn was in der Komplementärmedizin getrieben wird, um unspezifische Effekte zu maximieren, würde in der konventionellen Medizin als unethisch gelten. Da werden zum Beispiel Homöopathika angepriesen, obwohl die Datenlage doch ziemlich eindeutig aufzeigt, dass das Placebos sind. Das könnte man in der konventionellen Medizin so nicht machen. Heutzutage muss man dem Patienten die Wahrheit sagen. Und das minimiert leider den Placebo-Effekt.

TR: Das heißt, die alternativen Heilmethoden haben einen gewissen Wettbewerbsvorteil beim Placeboeffekt?

Ernst: Ja, ganz genau. Das, was man den Ärzten in den 70er-Jahren angekreidet hat, dass sie paternalistisch auftreten und alles besser wissen als der Patient, wird von den naturheilkundlichen Ärzten weiterhin betrieben. Viele Patienten bevorzugen das sogar. Die wollen nicht wissen, dass da eine 70-prozentige Chance der Heilung besteht, sondern sie wollen hören: "Wenn Sie dieses Mittel nehmen, werden Sie in 14 Tagen wieder Seil hüpfen."

TR: Empfehlen Sie konventionellen Medizinern, wieder paternalistischer aufzutreten?

Ernst: Das ist eine Diskussion, die ich nicht führen möchte (lacht). Hier sind die Dinge dermaßen komplex, dass ich mich da zurückhalten möchte.

TR: Glauben Sie, dass das typische Klientel für alternative Heilmethode sich überhaupt von Ihren Ergebnissen beeindrucken lässt? Mir scheint dort eine gewisse Empiriefeindlichkeit zu herrschen.

Ernst: Das ist schwer zu sagen. Viele Patienten sind nicht nur wissenschaftsfeindlich, sondern auch völlig uninteressiert und unberührt von dem, was wir so treiben. Und dann sieht man auch wieder gewisse Erfolge. Immer mehr Leute in der Komplementärmedizin denken so wie ich und meinen, dass dieser Bereich auf lange Sicht nirgends landen wird, wenn er sich nicht den Prinzipien der Evidenz basierten Medizin anschließt.

TR: Sie haben selber eine Ausbildung in der Akupunktur und in der Homöopathie absolviert. Gab es für Sie so etwas wie ein Saulus-Paulus-Erlebnis, das Sie dazu gebracht hat, Teile Ihrer eigenen Ausbildung so systematisch zu hinterfragen?

Ernst: Von der Homöopathie war ich als Kliniker ja mal ganz beeindruckt. Und als ich dann zur Wissenschaft gewechselt bin, war das Bild für mich zunächst auch nicht schwarz oder weiß. Dann aber hat sich in den letzten zehn Jahren sehr eindeutig herausgestellt: Homöopathika sind Placebos. Für mich war das kein Aha-Erlebnis, sondern ein langer, mühsamer Weg der Erkenntnisgewinnung.

TR: Würden Sie sich selber mit Homöopathika behandeln lassen?

Ernst: Auf keinen Fall. Entweder bin ich krank, dann will ich gesund werden und brauche keine Placebos oder ich bin nicht krank, dann brauche ich auch keine Behandlung. Es gibt allerdings Zustände, wo man keine klare Diagnose stellen kann und wo es dementsprechend keine effektive konventionelle Therapie gibt. Ich denke, dass es in diesem Bereich es durchaus vertretbar ist, Homöopathika bewusst als Placebos einzusetzen.

TR: Aber nur, so lange die Patienten nicht Ihr Buch gelesen haben.

Ernst: Es kann natürlich sein, dass ich damit das Kind mit dem Bade ausschütte. Aber da sind auch wieder zwei Prinzipien im Widerstreit. Und das Prinzip der Ehrlichkeit gewinnt. Bei mir zumindest.