Impfen mit Nanopartikeln: "Potenzial der sehr schnellen Bekämpfung"

Die Vakzinforscher Thomas Ebensen und Kai Schulze vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung erklären im TR-Interview die mRNA-Wirkstoffe gegen Corona.

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Bei der Impfung sind noch einige Detailfragen zu klären.

(Bild: NCI / Unsplash)

Lesezeit: 7 Min.

Thomas Ebensen und Kai Schulze sind Senior Scientists am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und beschäftigen sich unter anderem mit der Entwicklung neuer Wirkmechanismen für Impfstoffe. Im Interview erklären sie die mRNA-Wirkstoffe gegen Corona

Technology Review: Herr Ebensen, Herr Schulze, was ist das Faszinierende an Lipid-Nanopartikeln?

Thomas Ebensen: Lipid-Nanopartikel, sogenannte LNPs, bestehen aus bestimmten Fetten, den Lipiden, und haben sich als hocheffiziente Antigen-Anlieferungssysteme erwiesen. LNPs verkapseln das Antigen in kleine Vesikel und schützen dabei einen möglichen empfindlichen Wirkstoff, wie etwa Messenger-RNA-(mRNA)-basierte Impfstoffe gegen Corona. Darüber hinaus ermöglichen LNPs den gerichteten Transport zu den Zielzellen und die Aufnahme des Impfstoffes in die Zellen des menschlichen Körpers.

Orientiert sich das Verfahren an der Funktionsweise von Viren?

Kai Schulze: Im Prinzip könnte man das so sagen. Das in LNPs verpackte Antigen kann effizient in die Körperzellen transportiert werden. Dort werden verschiedene Reaktionen in Gang gesetzt, an deren Ende eine Immunisierung gegen das SARS-CoV-2-Virus stehen kann. Auf dem mRNA-Antigen befinden sich die Erbinformationen des Antigens, das später als körperfremder Stoff beziehungsweise als Krankheitserreger identifiziert werden kann.

Gelangt die mRNA des SARS-CoV-2-Virus mit Unterstützung der Lipid-Nanopartikel in einige Zellen, können dort mit ihrer Hilfe die Viren-Antigene vom Körper selbst produziert werden. Im Anschluss wird daraufhin das körpereigene Immunsystem angeregt, Antikörper zu produzieren, mit denen die Viren gezielt bekämpft werden können.

mRNA-Impfstoffe sind technisch sehr komplex – von der Produktion über die Lagerung bis hin zur Wirkweise. Ist deren Anwendung bei SARS-CoV-2 nicht eigentlich Overkill, wo es doch einfachere Methoden wie Vektorviren oder Protein-Impfstoffe gibt?

Ebensen: Würde zurzeit keine weltweite Pandemie ablaufen, könnte man das so sagen. Allerdings muss man festhalten, dass die Entwicklung von Impfstoffen normalerweise Jahre bis Jahrzehnte dauert, ehe ein wirksames Vakzin zur Verfügung steht. In dieser Sondersituation ist es nicht entscheidend, ob die Herstellung eher komplex ist, da nur die Induktion einer protektiven Immunantwort wichtig erscheint.

Forscher Kai Schulze (links) und Thomas Ebensen.

(Bild: Copyright HZI)

Die mRNA-Impfstoffe vereinen den minimalistischen Aufbau von Untereinheitenimpfstoffen, die in der Regel nur für Bestandteile eines Krankheitserregers kodieren, mit der vielversprechenden T-Zell-Induktionskapazität von lebend-attenuierten Impfstoffen. Durch die schnelle, flexible und verhältnismäßig günstige Produktion haben mRNA-basierte Impfstoffe das Potenzial, zukünftige pandemische Infektionskrankheiten effizient zu bekämpfen.

Andererseits scheint die aktuelle Pandemie auch deutlich zu machen, dass eine breitere Impfstoffwirkung, die eben nicht nur gegen eine Untereinheit des SARS-CoV-2-Virus – in diesem Fall Spike 1 – gerichtet ist, sondern mehrere Angriffspunkte für das Immunsystem bietet, von Vorteil wäre, um so der Entwicklung sogenannter "escape"-Mutationen entgegenzutreten bzw. auch eine protektive Wirkung gegen verschiedene SARS-Mutanten (z.B. B1.1.7) zu erzeugen.

TR: Wo wird die mRNA-Technik sonst noch angewendet? Gibt es bereits reguläre therapeutische Ansätze, etwa im Bereich der Krebsbekämpfung?

Schulze: Seit einigen Jahren repräsentieren Nukleinsäure-basierte Impfstoffe – wie virale Vektoren, Plasmid-DNA (pDNA) und mRNA – vielversprechende Alternativen zu konventionellen Impfstoffen. Gerade in der Krebsforschung stellen mRNA-basierte Impfstoffe schon seit Jahrzehnten einen Schwerpunkt dar und sollen künftig eine individualisierte Krebstherapie ermöglichen.

Die individualisierte Krebsimmuntherapie zielt dabei darauf ab, die Mutationen in einem Tumor zu identifizieren, ihren Bauplan zu entschlĂĽsseln und einen fĂĽr diesen Tumor und damit fĂĽr den Patienten maĂźgeschneiderten Impfstoff herzustellen. Bisher wurde in diesem Bereich aber noch kein mRNA-basierter Impfstoff zugelassen, es befinden sich zurzeit jedoch verschiedene mRNA-basierte Impfstoffe in der klinischen PrĂĽfung.

Wie experimentell sind die Verfahren noch? Böswillige Kritiker werfen schon mal den Begriff "Menschenversuch" in den Raum.

Ebensen: Es gibt eine zunehmende Zahl an präklinischen Studien, die ein schützendes Potenzial von mRNA-basierten Impfstoffen gegen viele gefährliche virale Krankheitserreger gezeigt haben, wie zum Beispiel das Influenza-Virus, das Tollwut-Virus, das Zika-Virus oder das Ebola-Virus. Neben viralen Erkrankungen können diese Vakzine aber auch einen Schutz gegen bakterielle und parasitäre Infektionen (z.B. Streptokokken und Malaria) aufbauen.

Es ist zu beachten, dass fĂĽr die SARS-CoV-2-Impfstoffe bereits eine sehr hohe Zahl von Probanden getestet wurden und kaum vermehrte Nebenwirkungen, als die schon beschriebenen beobachtet wurden.

Natürlich fragt sich ein kritischer Beobachter, wie es denn sein kann, dass innerhalb so kurzer Zeit mehrere SARS-CoV-2-Impfstoffe zur Verfügung stehen, wohingegen nach über 20 Jahren kein Impfstoff z.B. gegen HIV zur Verfügung steht. Allerdings konnte in diesem Fall bereits auf frühere Erkenntnisse zurückgegriffen werden. So hatte man aufgrund der Erfahrungen mit SARS-CoV-1 bereits einen guten Anhaltspunkt dafür, welche Zielstruktur des Virus als Impfstoff infrage kommen konnte. Schlussendlich muss jede Person für sich selbst entscheiden, ob man sich und andere durch eine Impfung schützt und wieder ein normaleres Leben führt – oder ob die Risiken dieser Impfstoff-Technologie noch zu groß erscheinen.

Durchs Netz geistern auch Behauptungen, dass sich die LNPs in menschlichen Organen anreichern könnten und dort für mehrere Wochen verbleiben, was wiederum oxidativen Stress auslösen und zum Zelltod führen könne. Ist da etwas dran?

Schulze: Neben den typischen Impfreaktionen wie Müdigkeit, Kopfschmerzen und Fieber gab es nur in einzelnen Fällen zum Teil heftige Nebenwirkungen nach der Impfung, etwa allergische Schocks, über die jedoch ausführlich berichtet wurde.

Insgesamt sind die bisher zugelassenen Impfstoffe nach Auffassung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), der US-Arzneimittelbehörde FDA oder der Weltgesundheitsorganisation WHO sicher – denn sonst hätten sie die Vakzine nicht zugelassen. Ob und inwieweit LNPs für einen längeren Zeitraum im Körper verbleiben, muss in den nächsten Monaten weiter untersucht werden.

Wie bewerten Sie die Sicherheitsstudien an Tieren, die es etwa von Biontech gibt?

Ebensen: Den Angaben von Skeptikern, es gebe noch keinerlei humanmedizinische Erfahrungswerte mit Gen-Impfstoffen, wie z.B. mRNA-basierten Impfstoffen, widersprach der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Professor Cichutek, kürzlich in einem Beitrag. Er wies darauf hin, dass es schon zahlreiche Erfahrungen mit mRNA-Impfstoffen beim Menschen im Rahmen klinischer Prüfungen, etwa mit einem therapeutischen Tumorimpfstoff gäbe. Dabei wurden keine besorgniserregenden Nebenwirkungen beobachtet.

Weiterhin wurden auch bei umfangreichen präklinischen Tierversuchen mit mRNA-Impfstoffen bisher keine Hinweise auf schwere Nebenwirkungen oder Schäden beobachtet, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die mRNA-basierten Impfstoffe von Biontech oder Moderna als sicher eingestuft werden können.

Durch die Mutanten gibt es auch beim Impfstoff Anpassungsdruck. Liegt hier mRNA wieder vorn?

Schulze: Ja. Der große Vorteil liegt in der schnellen, flexiblen und verhältnismäßig günstigen Produktion von mRNA-basierten Impfstoffen. Diese Vakzine haben das Potenzial, zukünftige pandemische Infektionskrankheiten sehr schnell effizient zu bekämpfen. Der einzige Wermutstropfen könnte in dem möglichen Ausbleiben einer breiteren Impfstoffwirkung liegen, die eben nicht nur gegen eine Untereinheit des SARS-CoV-2-Virus (Spike 1) gerichtet ist, sondern auch eine protektive Wirkung gegen verschiedene SARS-Varianten erzeugen.

(bsc)