Grippe-Saison: Rollt eine gewaltige Welle auf uns zu?

Seite 2: 2009, das Pandemie-Jahr der Grippe

Inhaltsverzeichnis

Eine beispiellos hohe Zahl an infizierten und toten Vögeln bedeutet ein deutlich größeres Risiko, dass sich infizierte Vögel und Menschen so nahe kommen, dass das Virus auf den Menschen überspringen kann. Dort wo Zugvögel ihre Sammelgebiete haben – beispielsweise in Ägypten – ist die Vogelgrippe seit Jahrzehnten eine reale Bedrohung für die Bevölkerung. In Asien, wo Mensch und Tier traditionell eng zusammen leben, gibt es immer wieder Virusübergänge. Seit 2003 wurden insgesamt über 800 Infektionen von Menschen mit H5N1 bestätigt.

Blicken wir ein paar Jahre zurück: 2009 bezeichnet das Robert-Koch-Institut als Pandemie-Jahr. In dem Jahr trat erstmals die "Schweinegrippe" unter Menschen auf. Der Begriff Schweinegrippe ist missverständlich. Er meint nicht eine normalerweise unter Schweinen grassierende Influenza, sondern ein Mischvirus, das es nicht nur geschafft hat, von Schweinen auf Menschen überzuspringen, sondern sich auch unter Menschen zu verbreiten. Unter Menschen kursieren normalerweise die saisonalen Viren vom Subtyp H3N2 und H1N1. Sie gehören zu den so genannten Influenza-A-Viren. Es gibt außerdem noch Influenza-B-Viren, die kommen jedoch nur bei Menschen vor – sind also für den Artübertritt von Tieren auf Menschen uninteressant.

Auch unter Schweinen kursieren die Subtypen H3N2 und H1N1, sie unterscheiden sich jedoch deutlich von den menschlichen Versionen. Allerdings sind Schweine ganz besondere Influenza-Wirte: Sie können sich nicht nur mit der artspezifischen Schweinegrippe, sondern auch mit menschlichen und aviären – aus der Vogelwelt stammenden – Influenza-Viren infizieren. Und das sogar gleichzeitig. In den Atemwegen der Schweine haben die Viren unterschiedlichen Ursprungs also beste Voraussetzungen, sich miteinander zu vermischen.

Die 2009 auf diesem Weg entstandene "Schweinegrippe" ist ein H1N1-Virus, das einen eigenen Namenszusatz bekommen hat: A(H1N1)pdm09. Sie ist seit 2009 fester Bestandteil der unter Menschen zirkulierenden saisonalen Grippeerreger und direkt verwandt mit dem Erreger der Spanischen Grippe H1N1. Allerdings gibt es schon einen bedeutsamen Unterschied zu den klassischen humanen Varianten – A(H1N1)pdm09 kann auch sonst eher ungefährdeten jüngeren Erwachsenen und Kindern gefährlich werden.

Die Grippe-Saison 2017/2018 war die bisher schwerste seit über 30 Jahren, wie Lothar Wieler, Präsident des RKI nach der Auswertung im September 2019 verkündete. Über 25.000 Menschen sind an der Influenza in der Saison allein in Deutschland gestorben. Nun sind an den Influenza-Infektionen in einer Welle immer mehrere Virentypen beteiligt, aber in der Saison 2017/2018 waren es zu einem knappen Drittel die A(H1N1)pdm09-Viren. Und auch im Folgejahr 2018/2019 kursierte das Virus deutlich in Deutschland.

Für die Vogelgrippe mit ihren Virusmerkmalen sind wir nur wenig empfänglich. Bislang kommt es vor allem dort zu Infektionen von Menschen mit Vogelgrippe, wo Vögel und Menschen besonders dicht aufeinander treffen. Auch sind Menschen derzeit noch eine Sackgasse für Vogelviren. Sie können – zum Teil schwer und sogar tödlich – erkranken, geben das Virus aber nicht an andere Menschen weiter. Deswegen werden die Vogelgrippe-Saison und die Grippe-Saison unter Menschen bislang weitgehend getrennt voneinander betrachtet.

Aber wenn die Wellen anfangen sich zu verschieben, verdichten sich auch die Berührungspunkte zwischen den einzelnen Influenza-Wirten. So ist die Vogelgrippe keine Welle mehr, sondern seit längerem permanent präsent. Und bei Menschen tritt RSV im Sommer auf, die Grippe schwingt sich im Mai zur Welle auf und eine nur schwer erklärbare Hepatitis-Häufung fällt bei Kindern auf. In dieser Zeit der Verdichtung beobachten Forschende beispielsweise in Südchina, dass Schweine gleichzeitig das hochinfektiöse Vogelgrippe-Virus H5N1 und den menschlichen Grippe-Erreger H3N2 in sich tragen. Das Risiko, dass sich das Erbgut der Viren vermischt, wie es bei A(H1N1)pdm09 geschehen ist, steigt damit deutlich an.

Neue Influenza-Viren, die so entstehen können, treffen auf eine Bevölkerung, die zwei Jahre lang kaum mit Influenza in Berührung gekommen ist. Die letzte Grippesaison ist im Schlepptau von SARS-CoV-2 schlicht – bis auf einzelne Fälle – ausgefallen. Damit haben unsere Immunsysteme zwei Jahre lang keine Influenza-Viren gesehen und konnten den Umgang mit ihnen nicht trainieren. Kommt ein moderater COVID-Winter auf uns zu, der uns nicht wieder in die Maskenpflicht und Isolation zwingt, werden wir uns vermutlich mit der Influenza auseinander setzen müssen – und das könnte eine böse, mit etwas Pech sogar pandemische, Überraschung werden.

(jsc)