Grippe-Saison: Rollt eine gewaltige Welle auf uns zu?

Derzeit zeichnen sich weltweit die Vorzeichen für die nächste Grippe-Welle ab und sie skizzieren ein bedrohliches Bild für die jetzt startende Grippe-Saison.

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Im kommenden Herbst besser wieder Maske auf?

(Bild: narongpon chaibot/Shutterstock.com)

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Die COVID-19-Pandemie hat uns gezeigt, wie verletzlich wir sind, wenn ein neuer Krankheitserreger es schafft, die Artgrenzen zu durchbrechen und aus dem Tierreich auf Menschen überzuspringen. Sensibilisiert für die Gefahren aus dem Reich der Viren, Bakterien und Pilze, registriert die waidwunde Gesellschaft nun Epidemien, die noch vor zwei Jahren vermutlich unterhalb des Aufmerksamkeitsradar stattgefunden hätten: Affenpocken verlassen ihr Endemiegebiet Afrika, ein Adenovirus steht im Verdacht schwere Hepatiden bei Kindern auszulösen und das in Europa ausgerotten geglaubte Polio-Virus scheint ein Comeback zu erfahren.


Anlässlich der beginnenden Grippe-Saison veröffentlichen wir diesen Artikel von Jo Schilling erneut. Die Redakteurin von MIT Technology Review berichtete bereits im Juni 2022 von einer aufkommenden Grippe-Welle.


Und im vergangen Sommer füllten sich die Kinderkliniken mit kleinen RSV-Patienten. RSV, das Respiratorische Syncytial Virus, ist ein Erreger, der normalerweise im Winter Hochsaison hat. Bisher unbemerkt mischt auch die Influenza – die echte Grippe – bereits mit. Die Arbeitsgemeinschaft Influenza des Robert-Koch-Instituts hat stets die Aktivität akuter Atemwegserkrankungen in Deutschland im Blick und Ende April festgestellt, dass "die Influenza-Positivenrate seit der 17. KW 2022 eine Höhe erreicht hat, die die Definition der saisonalen Grippewelle, die sonst typischerweise im Winter auftritt, erfüllt".

Im Gegensatz zu SARS-CoV-2 sind all diese Krankheitserreger alte Bekannte. Sie sind die gleichen, wie in den letzten Jahren – von saisonalen Schwankungen wie sie etwas bei der Grippe üblich sind, einmal abgesehen. Woher kommt also diese Häufung von Infektionskrankheiten zu ungewöhnlichen Zeiten und an ungewöhnlichen Orten?

Experten haben gegenüber "Stat News", einem US-amerikanischen Online-Gesundheitsmagazin, die Vermutung geäußert, dass wir es sind, die sich verändert haben. Während zwei Jahren COVID-19-Einschränkungen habe unser Immunsystem weniger trainiert als sonst – unsere Kinder haben nicht die ganzen kleinen und großen Infekte aus Kita und Schule in die Familien getragen, die wir dann an die kinderlosen Kollegen bei der Arbeit weitergeben. So trainiert sonst eine ganze Gesellschaft ihr Immunsystem.

Solange wir maximale Vorsicht vor SARS-CoV-2 haben walten lassen, konnte uns unser traditionell gefährlichster saisonaler Gegner, die Grippe, selbst in ihrer Hauptsaison nicht viel anhaben. Masken und Hygiene schützen auch vor der ebenfalls über die Luft übertragene Grippe. Aber nun fallen die Hüllen und zeitgleich bäumt sich die Vogelgrippe weltweit zu einer gewaltigen, tödlichen Welle auf.

Die Vogelgrippe heißt zwar Vogelgrippe, weil sie eigentlich ausschließlich Vögel infiziert – so wie die Schweinegrippe auf Schweine, die Pferdegrippe auf Pferde und die Menschengrippe auf Menschen spezialisiert ist. Der Haken ist jedoch, dass diese ganzen unterschiedlichen Influenza-Viren doch im Grunde recht ähnlich sind. Je näher sich die Arten kommen, desto wahrscheinlicher wird es, dass die Viren die Artgrenzen überschreiten und sogar Mischformen bilden.

Corona-Pandemie: Neue Varianten - Erkrankung - Impfung

Nun wütet eine besonders aggressive Variante des Vogelgrippe-Virusstammes H5N1 seit Ende 2021 in Europa, Asien und Afrika. Zum Jahreswechsel wurde sie in Kanada und den USA nachgewiesen – sowohl bei Wildvögeln als auch bei Nutzgeflügel. Das Besonders an der Situation: Die Grippe zieht nicht mehr wie früher üblich mit den Wasservögeln um die Welt, sondern ist in Europa seit zwei Jahren präsent. Und das Virus ist hochgefährlich. Es kostete bislang weltweit zahllose Wildvögel das Leben und gilt inzwischen sogar als Bedrohung für ganze Arten. Seit Oktober wurden mehr als 77 Millionen Vögel weltweit gekeult, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, und weitere 400.000 Wildvögel sind bei 2.600 Ausbrüchen gestorben – doppelt so viele wie bei der letzten großen Welle 2016/17, berichtet "Nature News".

So sind zum Jahreswechsel beispielsweise etwa 5.000 Kraniche auf ihren Sammelplätzen in Israel verendet. Das Friedrich-Löffler-Institut spricht von der "bisher schwersten Geflügelpest-Epizootie". Aber nicht nur H5N1 grassiert in der Vogelwelt, auch die Varianten H5N8 und H3N8 waren im letzten Winter weit verbreitet und haben in China einen Menschen und in Deutschland Seehunde infiziert.