Interview: Aleph Alpha fordert vertrauenswürdige KI mit europäischen Werten

Seite 2: Diskussion darf nicht jahrelang dauern

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Verstehe ich Sie richtig, dass Sie für offene allgemeine Regeln mit einem gesellschaftlichen Leitbild plädieren?

Ob sie offen sind oder nicht, sie müssen definiert sein. Ich glaube nicht, dass es unsere Aufgabe ist, die gesellschaftlichen Leitplanken zu definieren. Das müssen andere tun. Das Schlimmste in der Diskussion um den AI Act sind nicht die einzelnen technischen Details. Darüber kann man immer diskutieren. Das Schlimmste ist die derzeitige Verunsicherung, sodass wir uns mit spekulativen Themen beschäftigen müssen, statt Innovationen zu schaffen. Die Diskussion darf nicht jahrelang dauern. Die großen Modelle gibt es seit fünf Jahren und seit über der Hälfte dieser Zeit diskutieren wir vor allem über Risiken. Das hemmt viele Unternehmen, eine Entscheidung zu treffen.

Die amerikanischen IT-Riesen haben für viele überraschend gegen den AI Act der EU wenig einzuwenden. Wie erklären Sie sich das?

Die US-Konzerne verfügen über fast unendliche finanzielle Mittel, um sich mit kommenden juristischen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Diese Möglichkeit haben viele Start-ups – vor allem in Europa – nicht. Den US-Konzernen ist jede Regel recht, die die Eintrittsbarriere für Dritte höher legt. Derzeit warten alle auf Europa, auch bezüglich einer KI-Regulierung in den USA.

Sind die finanziellen Mittel der Bundesregierung zur KI-Förderung ausreichend? Ihr Gründer und CEO Jonas Andrulis sagte: "Wir haben deutlich weniger Geld als OpenAI, also 30 Millionen Euro gegen 20 Milliarden Dollar."

Wir haben überhaupt kein Geld aus öffentlicher Förderung. Wir sind privat finanziert und das ist auch richtig so. Wir stehen im Wettbewerb mit deutlich geringeren Mitteln. Daher müssen wir uns stärker auf Themen konzentrieren, die uns wichtig sind. Gleichzeitig müssen wir die Technologie vorantreiben und Kategorie-definierende Forschungsergebnisse wie kürzlich AtMan (Attention Manipulation) oder vor eineinhalb Jahren MAGMA erstellen.

Sie rufen also nicht nach mehr Millionen von der Bundesregierung?

Ich bin ein großer Freund des Wettbewerbs und weiß nicht, ob staatliche Förderung immer so hilfreich ist, Innovation zu treiben. Sicher wäre es angenehm, wenn es Geld regnen würde, aber das ist nicht realistisch.

OpenAI hat Milliarden Dollar von Microsoft als strategische Beteiligung erhalten. Können Sie zum Plan von SAP Stellung nehmen, sich bei Aleph Alpha zu beteiligen?

Jonas Andrulis war auf der SAP Sapphire in den USA vor ein paar Wochen und SAP wünscht sich eine Zusammenarbeit mit Aleph Alpha – auch als Gegengewicht zu OpenAI. Die SAP möchte nicht von einem einzigen Anbieter in diesem Wachstumsmarkt abhängig sein.

Trotz all der öffentlichen Aufmerksamkeit für KI derzeit: Gibt es Aspekte oder Themen, die zu wenig beachtet werden?

Ein Riesenthema ist für mich Bildung. Als ich zur Schule ging, durfte man keine programmierbaren Taschenrechner verwenden. Heute überlegen viele Universitäten, wie sie damit umgehen, dass man die Technologien für Hausarbeiten verwenden kann. ChatGPT hat beispielsweise bereits ein Anwaltsexamen in den USA bestanden. Die Technologie ermöglicht uns einen grundsätzlich anderen Umgang mit Informationen. Das müssen wir reflektieren, indem wir unser Bildungssystem umgestalten.

Wir müssen weitere Kompetenzen erwerben, zum Beispiel: Wie unterscheide ich, wenn ich solch ein Tool nutze, ob das Ergebnis richtig oder nicht so richtig ist? Zurzeit wird versucht, den Einsatz von generativer KI in den Schulnetzwerken durch IP-Blocking zu verhindern. Ich glaube, das ist der falsche Weg. Wir müssen mehr darüber nachdenken, wie wir es positiv nutzen können und welche Verbesserungen es bringt. Das kann uns auf dem Weg zu einer mündigeren Gesellschaft voranbringen. Das wäre für mich eine große Herzensangelegenheit.

Das Interview führte Ulrich Hottelet, Freier Journalist aus Berlin (@UlrichHottelet bei Twitter).

(tiw)