Interview: Microsoft wollte nichts von Linux und Open-Source-Software wissen

Seite 3: Skeptiker und harte Nüsse

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c’t: Was für Interoperatibilitätsprobleme hatten die Produkt-Teams und wie konnte das Labor helfen?

Hilf: Der Linux-Desktop war damals eher weniger verbreitet, es ging hauptsächlich um Server-Aufgaben. Windows-Desktop-PCs mussten mit Linux-Servern arbeiten, ohne das irgendwas schiefläuft. Wir haben viel an Datei- und Print-Servern gearbeitet, ebenso wie an DNS- und DHCP-Servern. Nicht wirklich sexy. Manch einer mag stutzig werden, weil DNS und DHCP offene Protokolle sind, aber es kommt darauf an, wie diese Protokolle von allen beteiligten Systemen implementiert sind.

Es gab auch einige harte Nüsse. Wir haben analysiert, ob es eine Möglichkeit gibt, Exchange oder Microsoft SQL-Server unter Linux auszuführen, aber sind zu dem Schluss gekommen, dass das Problem der Interoperabilität auf anderer Ebene gelöst werden muss. Eine wichtige Software, die wir auf Windows Server zum Laufen gebracht haben, war der Java-Anwendungsserver JBoss. Ich war nicht direkt in den Port involviert, aber habe eng mit dem JBoss-Projekt kooperiert. Wahrscheinlich war der Anteil von JBoss-Instanzen, die schließlich produktiv unter Windows Server betrieben wurden, verschwindend gering. Ich konnte es aber als einen Beweis vorbringen, dass es möglich ist.

c’t: Gab es auch Skepsis oder Widerstände gegen das Labor?

Hilf: Die meisten Leute, mit denen ich zu tun hatte, waren neugierig und offen für Neues. Es gab aber auch Teams, die sich herausgefordert sahen. Die Entwickler des NT-Kernels waren eher unbeeindruckt. Für sie hinkte der Linux-Kernel hinterher. Es hat seine Zeit gebraucht, bis sie verstanden hatten, dass es in der Auseinandersetzung mit diesen Dingen auch viel zu lernen gibt. Mit der Desktop-Sparte hatte ich weniger Kontakt. Ich habe ihnen 2005 Linux-Desktops gezeigt und das war spannend, aber sie waren überzeugt, dass der Windows-Desktop ihm überlegen ist und damit behielten sie recht.

Die größte Überschneidung gab es mit dem Windows-Server-Team, die hatten am meisten Interesse. Die beobachteten, wie Linux UNIX auf Servern den Rang abläuft und welche Kompatibilitätsprobleme daraus für ihr eigenes Produkt resultieren. Interoperabilität wurde für sie zum handfesten Geschäftsinteresse.

Installierte Betriebssysteme im Linux- und Open-Source-Labor¹, Stand: 2006
Betriebssystem Version / Distribution
Windows Windows 2000 Server, Windows Server 2003 Enterprise, Windows Vista, Windows XP
Linux  Arch Linux, Ark Linux, Asianux, Crux Linux, Debian, Fedora Core, Foresight Linux, Freedows, Linux From Scratch, Gentoo, Libranet, Mandrake Linux, Mandriva, Mepis, Novell Open Enterprise Server, Red Hat Enterprise Linux, Red Hat Linux, Rocks, Slackware, SUSE Linux Enterprise Server, SUSE Linux Standard Server, SUSE Pro, Tinysofa, TurboLinux, Vector Linux, Vida Linux, Ubuntu
Unix AIX5L, FreeBSD, OpenBSD, NetBSD, Solaris, Java Desktop System
andere macOS
¹ Quelle: Bill Hilf, Open Source Jahrbuch 2006

c’t: Sie haben vom Effekt des Labors innerhalb von Microsoft erzählt. Wie wurden die Open-Source-Bemühungen außerhalb des Unternehmens wahrgenommen?

Hilf: Das war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Als ich angefangen habe, auf Open-Source-Konferenzen zu sprechen, bekam ich ziemlich ruppiges Feedback. Während der Keynote auf der Linux-World 2006 in São Paulo buhte das Publikum. Ich war nicht willkommen. Ich konnte nachvollziehen, warum die Leute so reagierten und suchte nach einem Weg, eine Brücke zu schlagen. Also entschied ich mich dazu, mir einen Spaß daraus zu machen.

Als Jeremy Allison vom Samba-Projekt mich zur Linux-World nach San Francisco eingeladen hat, habe ich ihn gefragt, ob ich als Sturmtruppler aus Star Wars auf die Bühne kommen kann, mit dem "Imperialen Marsch" als Hintergrundmusik. Das PR-Team von Microsoft war total verängstigt und hat mich gewarnt, dass die Aktion mich meinen Job kosten könnte. Ich habe es aber durchgezogen und es ist gut angekommen. Die Leute haben gelacht und die Spannungen haben sich gelöst.

Nach dem Erfolg mit dem JBoss-Port wollten wir mehr Feedback aus der Open-Source-Community und haben die Webseite Port25 ins Leben gerufen, um ins Gespräch zu kommen und über unsere Anstrengungen bezüglich Interoperabilität zu informieren. Ich wurde danach General Manager für Windows Server und Sam Ramji löste mich als Leiter des Linux- und Open Source Labors ab. Er war klasse und hat sich sehr für Open Source eingesetzt.

c’t: Nach Ihrer Zeit im Lab und als Produktmanager haben Sie sich Microsoft Azure gewidmet. Microsoft arbeitete zu der Zeit mit Linux-Distributoren zusammen, entwickelte Treiber für Hyper-V und trug zum Linux-Kernel bei. CEO Satya Nadella wird mit den Worten "Microsoft liebt Linux" zitiert. Welche Rolle hat Azure gespielt, um Linux in die erste Reihe zu verhelfen?

Hilf: Noch vor Azure haben ein Kollege und ich eine Gruppe namens "Technical Computing" gegründet. Wir konnten den Vorstand überzeugen, das Projekt zu fördern, und eine Reihe von Talenten einstellen. Die meisten hochperformanten Systeme haben ebenfalls den Wechsel von UNIX zu Linux vollzogen, deswegen kamen viele dieser neuen Mitarbeiter aus der Open-Source-Welt.

Zusammen haben wir die Infrastrukturbausteine für verteiltes High-Performance-Computing entwickelt. Das Projekt ist jedoch daran gescheitert, dass wir der Sales-Abteilung nicht erklären konnten, wie man das Produkt verkauft. Die waren daran gewöhnt, Windows- und Office-Produkte zu verkaufen, aber hatten keinen Draht zu Datenwissenschaftlern und anderen Nutzern, die eine Verwendung für High-Performance-Computing haben.

Satya Nadella hat mich informiert, dass das Projekt eingestampft wird, bat mich aber, das Produktmanagement von Azure zu leiten. Viele Komponenten, die wir für High-Performance-Computing entwickelt hatten, leben in Azure weiter, beispielsweise unsere Arbeit an Shared Memory oder wie wir verteilte Systeme verwalten und Ressourcen zuweisen. Satya Nadella war überzeugt von Open-Source-Prinzipien und Scott Guthrie, der .NET mitbegründet hat, hatte viel Verständnis für die Bedürfnisse von Entwicklern und wurde zu der Zeit der Azure-Programmmanager. Beim Start von Azure waren Linux- und Open-Source von Anfang an präsent. Es würde diesmal kein Add-On werden, das später ergänzt wird. Das lag aber nicht nur an den beteiligten Entscheidern.

c’t: Wenn es nicht nur an den Entscheidern lag, woran dann?

Hilf: Es lag daran, dass es keine Rolle spielt, wie Cloud-Computing Einkommen erwirtschaftet. Im Jahr 2003 war es wichtig, wie sich Geld mit Windows verdienen lässt. Mit der Cloud ist nur wichtig, dass Kunden Rechenzeit mieten. Was sie damit anstellen, interessiert dich nicht. Unsere ersten Kunden waren Open-Source-Startups, das war bei Amazon Web Services auch so. Die haben Infrastruktur-Aufgaben in VMs oder Container ausgelagert. Darüber hinaus nutzen Kunden deine Serviceangebote und zapfen APIs an.

Die Cloud verhalf Open Source bei Microsoft zum Durchbruch. Im Labor stellten wir uns vielen Herausforderungen und haben wichtige Vorarbeit geleistet, aber die Cloud eröffnete neue Möglichkeiten, wie Microsoft als Unternehmen operieren konnte. Und zwar nicht nur Microsoft, sondern jeder. Alle Unternehmen, die mit kommerzieller Software handeln, mussten umdenken. Heute ist es egal, welches Betriebssystem du benutzt. Die ganze IT-Community hat sich weiterentwickelt. (ndi)