Intransparenz und Betrug: Warum freiwilliger Emissionshandel nicht funktioniert

Sich den CO2-Fußabdruck mit Klimazertifikaten schön zu rechnen, ist nicht immer eine gute Idee. Denn es ist meist schwer, den Nutzen auch zu überprüfen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 39 Kommentare lesen
Reduce,Co2,Emissions,To,Limit,Climate,Change,And,Global,Warming.

(Bild: NicoElNino/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in English)

Schlechtes Gewissen oder Sorge um den guten Ruf: Flugreisende beruhigen sich, indem sie ein wenig Geld an Organisationen überweisen, die versprechen, mit Klimaprojekten in Entwicklungs- und Schwellenländern die horrenden Reise-Emissionen zu kompensieren.

Firmen, die nicht den gesetzlichen Emissionshandelssystemen unterliegen, bessern durch den Kauf freiwilliger Emissionszertifikate ihr Image auf, können damit sogar Strafzahlungen vermeiden, wenn sie mehr Treibhausgas ausstoßen, als sie dürfen.

In Europa gilt seit 2005 für besonders emissionsintensive Industrien, wie Stahlhersteller oder Kohlekraftwerke, das Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS). In Deutschland ist das nationale Emissionshandelssystem (nEHS) seit 2021 verpflichtend, das zusätzlich Emissionen aus den Sektoren Wärme und Verkehr einbezieht. Weltweit unterliegen rund 90 Prozent der klimaschädlichen Emissionen dieser Industrien ähnlichen Systemen. Das Prinzip: Handelbare Verschmutzungserlaubnisse werden im Laufe der Zeit schrittweise vom Markt genommen, wodurch die Preise der Zertifikate steigen. Dadurch soll es irgendwann profitabler sein, in echte Vermeidungsstategien oder -techniken zu investieren.

Unabhängig vom verpflichtenden Zertifikatehandel hat sich weltweit daneben auch ein CO2-Handelssystem auf freiwilliger Basis etabliert. Es funktioniert allerdings nach völlig anderen Regeln. Hier finanzieren Privatpersonen und Unternehmen vor allem Klimaschutzprojekte, die woanders eine Emissionsminderung bewirken sollen. Echte Emissionssenkungen ersetzen sie nicht.

Der freiwillige Emissionshandel ist für viele Unternehmen inzwischen ein zentraler Hebel, um – bilanziell – ihren Ausstoß an Treibhausgasen zu reduzieren oder gar (rechnerisch) klimaneutral zu werden. Solche Zertifikate sind billiger, als im eigenen Unternehmen in Emissionsvermeidung zu investieren. Die Fossilindustrie kann dadurch auch Strafzahlungen vermeiden, wenn ihr CO2-Ausstoß höher ist, als durch Pflichtzertifikate abgedeckt.

Da es aber keine einheitlichen Normen gibt, nach denen Klimaschutzprojekte zertifiziert werden, ist es schwer, den echten Nutzen von Kompensationszertifikaten wirklich zu beurteilen.

Die vier wichtigsten Standards sind der Clean Development Mechanism (CDM) der Vereinten Nationen, der im Rahmen des Kyoto-Protokolls von 1997 verhandelt wurde, die Climate Action Reserve, der Gold Standard, der auch sozial-ökologische Aspekte einbezieht, und der Verified Carbon Standard (Verra).

Dass deren Maßstäbe auch wirklich CO2 kompensieren, ist nicht unbedingt garantiert. So hat gerade ein Journalistenpool in einer groß angelegten Recherche von Guardian, Zeit und der Investigativ-Plattform Source Material zeigen können, dass 94 Prozent der Verra-Zertifikate aus Waldschutzprojekten offenbar wertlos sind. Ein Desaster für die Glaubwürdigkeit der Verra-Organisation, die sich heftig gegen die Anschuldigungen zu wehren versucht.

Dies war beileibe keine Episode. Bereits vor vier Jahren untersuchte ProPublica Wald-Kompensationsprojekte in Südamerika. Der investigative US-Nachrichtendienst stellte fest, dass viele Projekte gar nicht soviel CO2 ausgleichen konnten, wie behauptet, dass sich Projektorganisationen für den Schutz von Wäldern bezahlen ließen, die gar nicht bedroht waren, und dass sich positive Effekte dadurch aufhoben, weil neben den Projektgebieten einfach weiter Bäume gefällt wurden.

Zwischen 2019 und 2021 stand Plant for the Planet im Fokus der Kritik, weil die Organisation fragwürdige Behauptungen aufstellte, die sie nicht belegen konnte, beispielsweise dass Projekte von staatlichen Behörden überprüft seien, was nicht stimmte. Immerhin führte das offenbar zu einem Lernprozess, wie das Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke inzwischen bescheinigt.

Walderhaltungs- und Aufforstungsprojekte erleben auf dem globalen Markt der freiwilligen Zertifikate derzeit einen regelrechten Boom. Allerdings sind sie sind per se problematisch, weil sie meist die Zeitdimension übersehen: Bäume speichern den Kohlenstoff nur vorübergehend. Nach ein paar Jahrzehnten sterben sie – sei es natürlicherweise, durch Waldbrände, Schädlinge oder Krankheiten – und der Kohlenstoff entweicht wieder in die Atmosphäre. Das Verbrennen fossiler Energieträger dagegen schädigt das Klima auch noch in einigen Jahrhunderten.

Seriöse Kompensationsanbieter bieten deshalb auch keine Waldprojekte mehr an. Stattdessen konzentrieren sie sich auf so genannte NBS-Projekte, "nature based solutions". Damit ist der Schutz und die Renaturierung ganzer Ökosysteme und deren Biodiversität gemeint, also neben Wäldern auch Grasland, Feucht- und Küstengebiete. Oder sie finanzieren emissionsvermeidende Techniken, wie Solar- und Windenergie, die für Menschen in armen Regionen unerschwinglich sind.

Doch es bleibt ein intransparenter Dschungel zwischen Versprechen und Wirklichkeit. Um sich darin ein wenig orientieren zu können, stellte die Qualitätsinitiative für Emissionsgutschriften (Carbon Credit Quality Initiative CCQI) ein interaktives Bewertungsinstrument online. CCQI ist eine gemeinsame Initiative des Umweltverteidigungs-Fonds (Environmental Defense Fund EDF), des WWF und des deutschen Öko-Instituts. Damit können Kaufinteressenten von Zertifikaten oder Kompensationszahler die Qualität der verschiedenen Arten von Emissionsgutschriften abschätzen.

Aber es geht offenbar auch anders. Denn inzwischen gelangen zaghaft neue Klimazertifikate auf den Markt, die so genannten Contribution Claims. Sie helfen nicht dabei, Unternehmen klimaneutral zu machen, weil sie sich nicht auf ihre CO2-Emissionen anrechnen lassen. Allerdings kann das Land, in dem sich so zertifizierte Projekte ansiedeln, die Treibhausgasreduktion auf sein nationales CO2-Budget anrechnen lassen. Ein Unternehmen wird dadurch bilanziell nicht "klimaneutral", kann den "Beitrag zur Klimafinanzierung" dennoch für sein Image nutzen.

(jle)