Ionenstrahl gegen Krebs

Kaltes Plasma kann Krebszellen schädigen und das körpereigene Immunsystem ­aktivieren. Das Verfahren beweist sich derzeit in ersten klinischen Studien.

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Ionenstrahl gegen Krebs

Sander Bekeschus untersucht unter dem Mikroskop die Wirkung von Immunzellen (rot) auf die Tumorzellen (grün).

(Bild: Henning Kraudzun / INP Greifswald)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Dirk Eidemüller

Die Diagnose schwarzer Hautkrebs ist niederschmetternd. Es ist die bösartigste Form von Hautkrebs, und jedes Jahr erkranken allein in Deutschland über 20.000 Menschen daran. Entscheidend für die Prognose ist, den Tumor so schnell wie möglich zu entfernen. Wissenschaftler arbeiten daran, diese und auch andere Hautkrebsarten besonders schonend und einfach zu behandeln – ohne Operation, mit kaltem Gas-Plasma. Nach den jüngsten Ergebnissen lassen sich nicht nur die Tumore damit bekämpfen, sondern die Therapie scheint zudem die gefürchtete Metastasenbildung zu unterdrücken, indem sie die Stoffwechselaktivität der behandelten Zellen herabsetzt (DOI: 10.3390/cancers11091237).

TR 4/2020

Die Idee hinter der Plasmatherapie ist sozusagen „radikal“: In einem Plasma bilden sich aus Bestandteilen der Luft hochreaktive Substanzen, etwa atomarer Sauerstoff, Singulett-Sauerstoff, Ozon, Stickstoffmonoxid und Hydroxylradikale. Trifft der Plasmastrahl auf krankes Gewebe, reichert er es stark mit diesen reaktionsfreudigen Molekülen an. Einige sind sehr kurzlebig, andere können über längere Zeit ihre Wirkung entfalten – unter anderem da Körperzellen selbst diese Stoffe als Signalmoleküle verwenden. „Letztlich imitieren wir mit den freien Radikalen die Leistung des körpereigenen Abwehrsystems“, erklärt Sander Bekeschus vom Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie in Greifswald, der an dieser neuen Technik forscht. „Auch die Fresszellen unseres Immunsystems pumpen eine Mischung aus freien Radikalen auf Zellen, die sie als feindlich erkannt haben.“ Dabei ist das Plasma mit 25 bis 45 Grad Celsius vergleichsweise kühl und verbrennt dadurch kein gesundes Gewebe.

Bislang setzen Mediziner Plasma für die Wundheilung ein, dafür ist das Verfahren seit 2013 zugelassen. Sie nutzen dabei, dass die Plasmatherapie körpereigene Zellen zum Wachstum anregt. „Bei der Krebsheilung wäre das jedoch fatal“, sagt Bekeschus. Aber das Plasma hat ein zweites Gesicht. So wie Medikamente in niedriger Dosis heilend wirken können und in großen Mengen toxisch, ist es auch hier: Lange Behandlungszeiten regen die Krebszellen nicht zum Wachstum an, sondern überfordern ihr Abwehrsystem und lassen sie absterben. Die dabei frei werdenden Membranteile rufen die Immunabwehr auf den Plan. Sie beginnt, die Krebszellen zu bekämpfen. „Da hier keine Mikroorganismen beteiligt sind, spricht man auch von einer ‚sterilen Entzündung‘“, sagt Bekeschus. Die setzt sich auch in tieferliegenden Schichten des Tumors fort – der Plasmastrahl selbst dringt nur wenige Dutzend Mikrometer in das Gewebe ein. Wie wirkungsvoll sich das Immunsystem gegen Krebs zur Wehr setzen kann, zeigt der Medizin-Nobelpreis 2018, den James P. Allison und Tasuku Honjo für ihre Erforschung an Krebs-Immuntherapien erhielten.

„Wir überlegen derzeit, wie wir die Plasmabehandlung auch bei Tumoren innerhalb des Körpers zum Einsatz bringen können“, sagt Bekeschus. So wäre es möglich, den freien Kanal bei Endoskopen für einen miniaturisierten Plasmastrahl zu nutzen. Dann könnte sich diese Technologie als vielseitige Waffe im Kampf gegen den Krebs erweisen. Ein Team der Universitätsfrauenklinik Tübingen und des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart ist diesen nächsten Schritt in den Körper bereits gegangen. Sie behandeln in einer klinischen Studie Vorstufen des gefährlichen Gebärmutterhalskrebses, sogenannte intraepitheliale Neoplasien. „Damit gehören wir weltweit zu den Ersten“, sagt Martin Weiß, Juniorprofessor für Molekulare Gynäkologie an der Universitätsfrauenklinik Tübingen.

Diese Neoplasien können sich zwar von allein wieder zurückbilden, aber nur bei etwa der Hälfte der Patientinnen. Daher schneiden die Ärzte die betroffenen Partien des Gebärmutterhalses üblicherweise vorsorglich großflächig heraus. Das ist ein schwerer operativer Eingriff mit Risiken für nachfolgende Schwangerschaften und teilweise langwierigen Folgen für die Gesundheit der betroffenen Patientinnen. Die Behandlung mit dem kalten Plasma sorgt aber dafür, dass bei den meisten Patientinnen die Krebs-Vorstufen wieder verschwinden. „Diese Behandlung können wir ohne Narkose und innerhalb weniger Minuten ambulant durchführen“, erklärt Weiß. Auch für die eigentliche Tumorbekämpfung sieht er in Zukunft viele Möglichkeiten.

Erste Versuche dazu machten die Forscher um Bekeschus bereits mit Krebszellen der Bauchspeicheldrüse. Das Pankreaskarzinom ist besonders aggressiv und weltweit die fünfthäufigste Todesursache durch Krebs. Die Behandlung mit kaltem Plasma ließ die entarteten Pankreaszellen tatsächlich absterben. Die Versuche zeigten zudem, dass eine große Befürchtung bei dieser Therapie wohl unbegründet ist: Dass der Plasmastrahl Krebszellen so stark aktiviert, dass sie sich aus dem Tumor abspalten, in den Blutkreislauf gespült werden und die Bildung von Metastasen beschleunigen. Das Gegenteil ist der Fall: Das Plasma hat in vier Pankreaskarzinom-Linien sogar die Aktivität der Tumorzellen herabgesetzt. So spricht viel dafür, dass Plasma Einzug in die Krebstherapie hält – entweder allein oder in Kombination mit Chemo- oder Strahlentherapie.

(bsc)