Japan: Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen
Die ostasiatische Exportnation setzte schon früh auf Wasserstoff als Energiespeicher. Allerdings will Japan ihn aus Kohle und Gas abspalten.
- Martin Kölling
In Europa steht Wasserstoff derzeit hoch im Kurs. Besonders die Produktion von "grünem" Wasserstoff wird gefördert, also Wasserstoff, der ohne Kohlendioxidemissionen mit Strom von erneuerbaren Energiequellen aus Wasser gewonnen wird. Doch ausgerechnet der globale Pionier der Wasserstoffwirtschaft, Japan, geht einen anderen Weg: Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt setzt auf "blauen" Wasserstoff, also Wasserstoff, der aus fossilen Brennstoffen abgespalten wird und dann erst durch das Speichern der entstehenden Emissionen in einen klimaschonenden Energiespeicher verwandelt wird.
Klimaschutz keine Priorität?
Selbst in Japan ist der japanische Wasserstoffweg hochumstritten. Mika Ohbayashi, Direktorin des Instituts für erneuerbare Energien (REI), meint zwar: "Es ist lobenswert, dass Japan 2017 seine Wasserstoff-Vision enthüllte, die weltweit Aufmerksamkeit erregt hat." Aber die Energieexpertin kritisiert: "Allerdings hinken wir einen Schritt hinterher, wenn es um die Nutzung von Wasserstoff zur 'Dekarbonisierung' der Wirtschaft geht." Besonders stößt sie sich an der Fixierung auf blauen Wasserstoff.
Zum einen glaubt sie, dass die Welt in den kommenden Jahren schnell die Treibhausgasemissionen senken wird – und daher vor allem auf erneuerbare Energien setzen muss, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Zum anderen weist sie darauf hin, dass die von Japan angedachten Technologien zur Kohlendioxidabscheidung, -speicherung und -verwendung nicht im großen Maßstab existieren und teuer sind. Doch die Regierung verfolgt eine andere Logik, erklärt Jun Arima, ehemaliger Chefunterhändler Japans bei Klimaverhandlungen.
Übereinstimmung herrscht dabei in der Bedeutung von Wasserstoff für den Klimaschutz. "Nicht nur der Stromsektor muss dekarbonisiert werden, sondern auch alle anderen Sektoren", sagt Arima, der derzeit am Graduiertenkolleg für Politikwissenschaft an der Universität Tokio lehrt. "Dazu brauchen wir Wasserstoff als übertragbaren Energiespeicher von fluktuierenden erneuerbaren Energiequellen."
Ein Export- und Investitionsgeschäft
Aber er schätzt an Japans Energie- und Klimastrategie, dass das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie seine Vorschläge "als Industriepolitik und nicht nur als Umweltpolitik" definiert. Denn ein weiterer Aspekt der Wasserstoffstrategie ist für ihn das Exportgeschäft: "Die japanische Industrie hat große Anstrengungen unternommen, wasserstoffbezogene Technologien zu entwickeln und zu verbessern", so Arima. "Wenn Wasserstoff nicht nur in Japan, sondern auch in anderen Ländern eingesetzt wird, können wir diese Technologien exportieren."
Dieser Ansatz erklärt für ihn auch, dass Japan zuerst auf blauen Wasserstoff setzt. Japan sähe mittel- bis langfristig auch grünen Wasserstoff vor, erklärt Arima. Aber um schneller einen großen Markt zu entwickeln und damit die Kosten zu senken und das Innovationstempo zu erhöhen, dürfe man zu Anfang nicht wählerisch in der Wahl der Wasserstoffquellen sein. "Der Ansatz der Europäischen Union ist unserer Meinung nach zu puritanisch."
Als weiteres Argument führt er die Interessen von Rohstoffexporteuren und Entwicklungsländern an. Mit blauem Wasserstoff hätten für Arima kohle-, gas- und ölexportierende Länder einen Anreiz, massiv in die Wasserstoffproduktion zu investieren. Viele Entwicklungsländer bauen derweil ihre Stromproduktion vor allem mit Kohle- und Gaskraftwerken aus. Für diese Länder sei blauer oder gar grauer Wasserstoff praktischer.
Grüner oder blauer Wasserstoff?
Noch ist offen, ob sich das Lager "grüner Wasserstoff zuerst" oder "blauer Wasserstoff zuerst" als erfolgreicher erweisen wird. Wahrscheinlich werden ungeachtet aller Kritik von Klimaschützern vorerst beide Ansätze wachsen. Dies deuten schon die Aktivitäten japanischer Unternehmen an.
Der Technikkonzern Toshiba hat beispielsweise in der Nähe des havarierten Atomkraftwerks Fukushima 1 die erste Großanlage für grünen Wasserstoff in Betrieb genommen. Andere Unternehmen investieren global in derartige Projekte. Auf der anderen Seite gibt es große Konsortien, die Lieferketten für "blauen" Wasserstoff aus Australien und dem Sultanat Brunei demonstrieren.
Doch gerade die Lieferkettenprojekte können sich auch für die Verbreitung von grünem Wasserstoff bezahlt machen. Schließlich muss auch der oft über weite Strecken in die Industrieländer produziert werden. Denn eines ist jetzt schon klar: Die Industrieländer können ihren Energiehunger nicht mit Wasserstoff aus heimischer Produktion decken, sondern werden auf Lieferungen aus sonnenreichen Ländern angewiesen sein. (bsc)