KI Navigator #10: Wie KI dem Arbeitsmarkt hilft

Stellenanzeigen können viel über den Wandel des Arbeitsmarkts verraten. Künstliche Intelligenz hilft dabei, diese Daten zu interpretieren.

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(Bild: CoreDESIGN/Shutterstock)

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Von
  • Michael Stops
  • Christian Koch
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Willkommen zur zehnten Ausgabe der KI-Navigator-Kolumne der DOAG KI Community!

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Menschen finden am Arbeitsmarkt nach wie vor häufig über Stellenausschreibungen und Jobprofile zueinander. Durch den technologischen Wandel verändern sich diese Profile jedoch rasant. Neue Anforderungen und Tätigkeiten kommen hinzu, während andere wegfallen. Die Marktteilnehmer müssen die Anforderungen häufig neu einschätzen, und künftige Entwicklungen lassen sich schwerer vorhersagen. Transparenz hilft allen Akteuren, bessere Entscheidungen zu treffen.

Michael Stops
 Michael Stops

Dr. Michael Stops ist Arbeitsmarktökonom und als Senior Researcher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg tätig. Er nimmt derzeit Lehraufträge an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm in Nürnberg wahr. Michael leitet das Projekt zum "IAB-Kompetenz-Kompass" zur Extraktion von Kompetenzanforderungen aus Stellenanzeigen und forscht unter anderem zu den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf den Arbeitsmarkt im Rahmen des Projektes "ai:conomics" in Kooperation mit der Universität Maastricht.

Christian Koch
Christian Koch

Christian Koch ist Enterprise Lead Architect bei der BWI GmbH und Dozent an der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm. Seine Fachgebiete umfassen Datenarchitektur, Data Science, Machine Learning und Software Engineering. In seiner Zeit als Datenarchitekt bei der Bundesagentur für Arbeit hat er gemeinsam mit Dr. Michael Stops das Projekt "IAB-Kompetenz-Kompass" initiiert. Christian hat wissenschaftliche Arbeiten mit führenden Organisationen veröffentlicht, wie der Gesellschaft für Informatik (GI), der Association for Computing Machinery (ACM) und der IEEE Computer Society.

Um den Bedarf des Arbeitsmarkts zu verstehen, benötigt man neben allgemeinen Jobbeschreibungen detailliertere Informationen über konkret gesuchte Kompetenzen und Tätigkeitsinhalte. Bildungseinrichtungen können diese Informationen nutzen, um ihre Schulungsangebote besser am Markt auszurichten. Arbeitgeber profitieren, da sie ihre Rekrutierungs- und Weiterbildungsstrategien optimieren können. Und Beschäftigte haben die Möglichkeit, auf Grundlage der Informationen ihre persönlichen Karrierepläne zu gestalten.

Die dazu benötigten Daten finden sich in Texten von Stellenanzeigen. Diese informieren zwar nicht immer vollständig über Tätigkeitsinhalte der ausgeschriebenen Jobs, zeigen aber, welche Kompetenzen Arbeitgebern besonders wichtig sind. Data Science und künstliche Intelligenz helfen, dieses gigantische, unstrukturierte Datenmaterial zu erschließen und Transparenz am Arbeitsmarkt zu schaffen.

Im Projekt Kompetenz-Kompass des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, haben wir untersucht, wie man Kompetenzanforderungen aus Stellenanzeigen extrahiert. Rein technisch betrachtet handelt es sich beim Textmaterial von Stellenanzeigen um große unstrukturierte Datenmengen. Solche Daten sind auf dem direkten Weg für das klassische Methodenset der empirischen Datenanalyse nicht zugänglich.

Um die Inhalte der Stellenanzeigen in verwertbare Informationen zu transformieren, sind im ersten Schritt Methoden aus dem Bereich des Natural Language Processing (NLP) erforderlich. Sie helfen beim Vorverarbeiten der Texte, wandeln sie beispielsweise mit Stemming in ihre Wortstämme um und vektorisieren die Textfragmente. Künstliche Intelligenz und Machine Learning setzen anschließend auf den vorverarbeiteten Informationen auf. Im Kompetenz-Kompass kommen sie an verschiedenen Stellen der Auswertungspipeline zum Einsatz.

Unter anderem identifiziert das Projekt mit einem Klassifizierungsverfahren die Textstellen, die für die Auswertung relevant sind. Zudem nutzt es KI, um Kompetenzwörterbücher zu erstellen und zu pflegen. Word-Embedding-Verfahren schlagen dabei Erweiterungsmöglichkeiten für neue Kompetenzen oder Suchworte vor. Sie heben bisher unbekannte Begriffe hervor, die mit bekannten Begriffen in einem mehr oder weniger engen semantischen Zusammenhang stehen. Fachkräfte prüfen die Vorschläge und entscheiden, ob sie im Wörterbuch landen.

Außerdem nutzt der Kompetenz-Kompass binäre Klassifikationsverfahren, um bestimmte Stellenarten zu identifizieren. Beispiele sind Jobs der Arbeitnehmerüberlassung oder Stellen, die im Zusammenhang mit nachhaltigen Wasserstofftechnologien ausgeschrieben sind.

Grundsätzlich ist die Extraktion von Kompetenzen aus Stellenanzeigen ein Klassifikationsproblem. Wenn es um sehr granulare Auswertungen geht, ist ein rein ML-basierter Ansatz jedoch nicht immer die beste Option. Bei den über 7.000 wohldefinierten Kompetenzbegriffen in den Auswertungen fachlicher Anforderungen im Kompetenz-Kompass bietet der Weg über Wörterbücher mit zugehörigen Suchworteinträgen eine gute Alternative. KI kommt dabei indirekt beim Erstellen der Wörterbücher zum Einsatz. Anschließend extrahieren klassische Suchverfahren die Kompetenzen.

Im Vergleich dazu stehen reine ML-Ansätze vor einem Dilemma. Aufgrund der vielen Features ist das Erzeugen von Trainingsdaten mit Supervised Learning aufwendig. Die Verarbeitung mit Unsupervised Learning ist weniger aufwendig, aber weniger transparent und akkurat. Transformer wie GPT versuchen dieses Dilemma durch Self- und Semi-Supervised-Ansätze aufzulösen – mehr oder weniger erfolgreich. Halluzination ist bei solchen Modellen nach wie vor ein Problem. Für den Kompetenz-Kompass ist der Weg über Wörterbücher daher aktuell der passende Ansatz.

Für die Zukunft ergeben sich spannende Folgefragen. Hierbei muss man den zwischenzeitlichen Fortschritt im Bereich der generativen KI berücksichtigen. Kaum ein anderes Feld hat sich in den letzten Jahren so dynamisch entwickelt. Eine spannende Frage ist, wie große Sprachmodelle dabei helfen können, den Kompetenz-Kompass zu optimieren. Auch das Zusammenspiel mit menschlicher Expertise und die Erklärbarkeit der Modelle sind in diesem Kontext interessante Forschungsfragen.

Der IAB-Kompetenz-Kompass ist ein gutes Beispiel dafür, wie man KI effektiv für klar definierte Zwecke einsetzt. Die Ergebnisse des Projekts sind erklärbar und erhöhen die Transparenz des deutschen Arbeitsmarkts. Die Auswertungen zeigen, wie sich fachliche Kompetenzanforderungen in verschiedenen Berufen über die Zeit verändern. Eine erhöhte Frequenz von Technologie- oder Prozessinnovationen kann diesen Wandel laut Kompetenz-Kompass beschleunigen. Sichtbar wird das daran, dass sich Wissens- und technologieorientierte Berufe am stärksten verändern.

Darüber hinaus gibt das Projekt Aufschluss über andere Aspekte des Arbeitsmarkts. Ein Beispiel ist das Homeoffice-Angebot in Stellenanzeigen, das sich auch nach der Covid-19-Pandemie bis Ende 2022 ausgeweitet hat und weiterhin besteht. Allerdings sind davon überwiegend Jobs betroffen, die akademische oder vergleichbare Qualifikationen erfordern. Ebenfalls ermöglicht das System Analysen zu gesuchten Technik- und Sprachkenntnissen. Der Kompetenz-Kompass zeigt, dass Experimentierräume helfen, erfolgreiche Anwendungsfälle für KI zu finden.

  1. Fitzenberger, Bernd, Michael Oberfichtner & Michael Stops (2023); Neuartige Jobempfehlungssysteme können Suchprozesse am Arbeitsmarkt verbessern; In: IAB-Forum H. 18.12.2023 Nürnberg; DOI:10.48720/IAB.FOO.20231218.01
  2. Stops, Michael; EzEIDin, Asma Ahmed; Heckel, Marie-Christine; Heß, Pascal; Klevinghaus,Hauke; Malfertheiner, Verena; Metzger, Lina-Jeanette; Peede, Lennert (2025): "IAB-Kompetenzkompass: Bereitstellung von Stellentextdaten als strukturierter Datensatz", IAB-Forschungsbericht 1/2025.

(rme)