KI, schreib meine Thesis! Welchen Einfluss ChatGPT auf die Bildung haben könnte

Experten fürchten den massenhaften Einsatz von ChatGPT in Schulen und Unis. Das Sprachmodell bietet aber auch Chancen für die Lehre.

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Künstliche Intelligenz als Hilfswissenschaftler: KI revolutioniert die Forschung

(Bild: Phonlamai Photo/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Während die einen darüber diskutieren, ob die aufgebohrte Version des Sprachmodells GPT-3 namens ChatGPT nun ein großer Fortschritt oder eher ein nettes Spielzeug ist, machen sich Lehrende an Hochschulen bereits Gedanken über die Frage, ob Hausarbeiten, Bachelor- oder Master-Arbeiten künftig überhaupt noch einen Wert haben. Denn große Sprachmodelle können Texte erstellen, zusammenfassen und Fragen beantworten, aber auch Passagen so umformulieren, dass ein einfacher Abgleich mit bekannten Quellen nicht mehr ausreicht, um Plagiate zu erkennen.

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Doris Weßels von der Fachhochschule Kiel, Mitbegründerin und Leiterin des Virtuellen Kompetenzzentrums Schreiben Lehren und Lernen mit KI, beschäftigt sich seit 2019 mit den Chancen und Risiken großer Sprachmodelle in der Lehre. "Wir drohen in eine Situation zu schlittern, in der die Lernenden schneller die Tools benutzen als die Lehrenden", sagt Weßels. "Das ist eine disruptive Änderung des Schreibprozesses. Etablierte Prozesse werden zerstört und etwas Neues entsteht. Aber wir müssen dafür sorgen, dass das etwas ist, was von beiden Seiten – Lehrenden und Lernenden – als zielführend und sinnstiftend erkannt wird."

Weßels plädiert für einen proaktiven Umgang mit den neuen generativen Textwerkzeugen und führt deshalb mit ihren Studierenden "KI-Schreibwerkstätten" durch. "Ich ermuntere sie dabei, eine Aufgabenstellung mit minimal wenig Eigenarbeit zu erledigen", sagt Weßels. "Dabei bekommen sie in der Regel ein eloquent formuliertes Ergebnis, das hanebüchenen Unsinn enthalten kann."

Tatsächlich ist gerade ChatGPT dafür bekannt, gerne mal Fakten zu erfinden und zum Beispiel frei erfundende Quellen in einen wissenschaftlich klingenden Text einzufügen – eine Fähigkeit, mit der bereits ChatGPTs Vorgänger aufgefallen ist. "Das muss man selbst mal erlebt haben", sagt Weßels. "Es reicht nicht, nur darüber zu lesen. Man muss persönlich erleben und lernen, dass man am Schluss immer noch für den Text verantwortlich ist, auch wenn die Maschine als Co-Autor beteiligt war. Man veröffentlicht den Text ja unter seinem eigenen Namen."

Die Fähigkeit großer Sprachmodelle, Texte zusammenzufassen und neu zu formulieren, ließe sich zudem nicht nur für Schummeleien, sondern auch für aktives Lernen und besseres Verstehen nutzen. Schon GPT-3 präsentierte auf den Prompt "Erklär mir das wie einem Schulkind" möglichst einfache Zusammenfassungen. Das Allen Institute hat auf dieser Basis jetzt ein mehrstufiges Sprachmodell veröffentlicht, das wissenschaftliche Konzepte auf mehrere verschiedene Arten erklären kann. In der ersten Stufe extrahiert das Modell SciBERT Kontextphrasen aus dem Eingabe-Text, die ein Zielkonzept in Bezug auf ein Referenzkonzept erklären. Dieser Input wird dann in GPT-3 eingegeben, das aus den extrahierten Kontexten eine verdichtete Form von in sich geschlossenen Beschreibungen erzeugt.

Der Einsatz von generativen Textwerkzeugen in akademischen Arbeiten ließe sich nicht verhindern, sagt Weßels und plädiert für einen neuen Ansatz bei Prüfungsleistungen in Form schriftlicher Haus- und Abschlussarbeiten. Während Studierende bisher in einer Erklärung versichern müssen, ihre Arbeit ohne fremde Hilfe formuliert zu haben, sollten sie jetzt die verwendeten KI-Hilfsmittel explizit mit anführen. Bewertet wird dann nicht mehr nur das Endprodukt – die geschriebene Arbeit –, sondern der "gesamte Prozess der Entstehung", sagt Weßels. "Wie ist der methodische Ansatz? Sind Werkzeuge verwendet worden, die für diese Fragestellung angemessen sind?" All das müsste in einer Art Protokoll zur Entstehung der Arbeit angegeben werden, das in die Bewertung mit einfließt.

Ein Ansatz, den so ähnlich auch Robert Lepenis, Präsident der privaten Karlshochschule in einem Interview mit der "Zeit" unterstützt.

Natürlich könnten auch die Hochschulen selbst künftig zu KI-Werkzeugen greifen, um im Rahmen eines "Automated Essay Scoring" Arbeiten automatisiert zu bewerten. Diese potenzielle Entwicklung bewertet Weßels als gefährlich. "Man muss das weiterdenken", sagt sie. "Im Extremfall optimiert die generierende KI die Texte darauf, dass sie maximal gut bewertet werden. Dann haben wir das System ad absurdum geführt."

Ein Essay von ChatGPT

wst: Schreibe mir einen kurzen Essay über die Wasserknappheit in Europa.

ChatGPT: In Europa ist die Wasserknappheit ein wachsendes Problem. Der Klimawandel und die zunehmende Bevölkerung sorgen dafür, dass immer mehr Gebiete unter Wassermangel leiden.

wst: Die Bevölkerung in Europa wächst nicht, sondern schrumpft. Bitte korrigiere deine Antwort.

ChatGPT: In Europa ist die Wasserknappheit ein wachsendes Problem. Der Klimawandel und die Schrumpfung der Bevölkerung sorgen dafür, dass immer mehr Gebiete unter Wassermangel leiden.

wst: Wieso entsteht Wassermangel, wenn die Bevölkerung schrumpft? Weniger Menschen sollten doch weniger Wasser verbrauchen, oder? Bitte korrigiere Deine Antwort.

ChatGPT: Die Ursachen für Wassermangel in Europa sind vielfältig und nicht nur auf die Bevölkerungsentwicklung zurückzuführen. In Europa ist die Wasserknappheit ein wachsendes Problem. Der Klimawandel und die zunehmende Bevölkerung sorgen dafür, dass immer mehr Gebiete unter Wassermangel leiden.

(jle)