Kanada: Indigene kaufen Netzbetreiber für elffache Fläche Deutschlands

Seite 2: Rechnet sich das?

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Laut heise online vorliegenden Angaben aus Bankenkreisen macht NWTel etwa 275 Millionen Dollar Jahresumsatz, davon zirka 75 Millionen mit anderen Bell-Gesellschaften. Der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) liegt demnach bei ungefähr 135 Millionen Dollar, was eine EBITDA-Marge von erstaunlichen 49 Prozent ergibt. Selbst im hochpreisigen Telecom-Markt Kanada ist das für einen Festnetzbetreiber richtig stark.

Von den 31.000 Internetkunden NWTels beziehen etwa 8.500 auch Kabelfernsehen. Das (großteils bereits 2022 verkaufte) Glasfasernetz verläuft zu oder nahe bei 17.000 Gebäuden, 11.000 Haushalte nutzen noch aktiven Kupferdraht. Auch diese Daten sind nicht offiziell, kursieren aber unter Bankiers.

Unklar ist, wie so wenige Kunden den Kaufpreis von rund einer Milliarde Dollar finanzieren sollen. Der Zinsfuß dürfte bei acht bis zehn Prozent liegen. Selbst bei nur sechs Prozent Zinsen macht alleine die Zinslast 60 Millionen Dollar jährlich aus. Umgelegt auf 31.000 Internetkunden wären das 161 Dollar Zinsen pro Anschluss und Monat, die Tilgung der Schulden nicht eingerechnet.

NWTel-Schüssel in Bob Quinn Lake, Britisch-Kolumbien, Kanada. Der Weiler ist benannt nach Robert Quinn, einem Netzelektriker der Yukon Telegraph Line, einem Vorgänger Northwestels.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Gleichzeitig steigen die Kosten, denn NWTel muss Arbeitsplätze vor Ort schaffen, um bislang von Bells Konzernzentrale mitbetreute Aufgaben erledigen zu können, beispielsweise Rechts- und Finanzabteilung. Zudem haben die neuen Eigentümer vor, Ureinwohner durch Kurse und Mentorships zu Fachkräften heranzubilden, die dann bei NWTel beschäftigt werden können. Auch das kostet. Und der Einkauf, von Kugelschreibern über Netzausrüstung bis zu Softwarelizenzen, wird teurer werden, sobald die von Bell ausgehandelten Mengenrabatte wegfallen.

Nicht zuletzt versprechen die neuen Eigentümer zusätzliche Investitionen. Dazu gehören Gigabit-Anschlüsse für Haushalte (eventuell auch für Kabel-Internet), zusätzliche Infrastruktur für erdnahe Satellitennetze, sowie ein Unterseekabel im Großen Sklavensee, um Yellowknife, der Hauptstadt der Nordwestterritorien, eine zweite Glasfaseranbindung zu verschaffen. Der See ist ungefähr so groß wie Albanien, oder fast so groß wie das deutsche Bundesland Brandenburg. Durch ein Unterseekabel (zusätzlich zur bestehenden Anbindung über Land) werden die häufigen Telecom-Ausfälle aufgrund beschädigter Glasfasern, so die Hoffnung, der Vergangenheit angehören.

Trotz alledem erwarten die Ureinwohnerregierungen "langfristig stabilen Cashflow". Eine Wette mit ungewissem Ausgang. Bell jedenfalls darf sich über eine Milliarde Dollar freuen, die es zur Schuldentilgung nutzen wird. Es muss sich nicht länger mit den besonders schwierigen Bedingungen des kanadischen Nordens herumschlagen und kann Gewinn verbuchen. Der Verkaufspreis soll geschätzt beim zweieinhalbfachen Buchwert liegen.

Northwestel besteht im Yukon und den Nordwestterritorien seit 1979 und war damals eine Tochterfirma der staatlichen Canadian National Railways, die so hoch im Norden aber gar keine Schienen hatte. 1988 übernahm Bell Canada den Netzbetreiber und verschmolz ihn 1992 mit dem Bell-Betrieb im heutigen Nunavut. Mangels Konkurrenz ist NWTel der einzige Internetprovider Kanadas, dessen Endkundenpreise reguliert sind. Die schrittweise Einführung von Internet-Flatrates für Kabel- und Glasfaserkunden erfolgte ab Ende 2020, im inoffiziellen Austausch gegen Millionensubventionen für den Ausbau von Fibre to the Home (FTTH). Der günstigste Flatrate-Tarif im Yukon kostet heute 130 Dollar pro Monat netto, umgerechnet 89 Euro zuzüglich Steuer; Businesskunden zahlen mindestens 300 Dollar monatlich (205 Euro).

Die Geschichte der Telekommunikation beginnt im Norden Kanadas 1865. An regionaler Telecom-Geschichte Interessierten sei das Büchlein "In Direct Touch with the Wide World, Telecommunications in the North 1865-1992" von Dianne Green empfohlen, das Northwestel 1992 aufgelegt hat (ISBN-10: 096961280X).

(ds)