Kann WeChat den Westen erobern?

Seite 2: Bezahldienst als Hintertür

Inhaltsverzeichnis

Heute lässt sich WeChat in China wohl am besten als Bezahldienst mit angehängter Messaging-Funktion beschreiben. Schon im vergangenen Jahr wurden in China 5,5 Billionen Dollar mobil beglichen – der Markt ist 50 Mal so groß wie in den USA. Im ersten Quartal 2017 soll WeChat Pay 40 Prozent aller mobilen Zahlungen in China ausgemacht haben. Nachdem man dem Dienst seine Bankdaten mitgeteilt hat, kann man mittels QR-Code für fast alles zahlen. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil fast jeder WeChat-Nutzer von der Einzelperson bis zum Großhändler den Dienst verwendet und anbietet.

WeChat Pay ist mittlerweile auch in Amerika verfügbar, doch nicht für den durchschnittlichen Konsumenten. Zwar lassen sich dort weChat-Accounts erstellen, doch lassen sich diese nicht mit dem Bankkonto verbinden. Genauso fehlt die Funktion als digitale Geldbörse. Immerhin: Amerikanische Verkäufer, die sich als WeChat-Händler registrieren, können nun Zahlungen von chinesischen Touristen oder Studenten annehmen.

Die Firma Citcon mit Sitz im Silicon Valley bietet dazu eine passende Hardware, eine kostenlose Softwareschnittstelle (API) sowie Kundendienst für US-Firmen an, die WeChat- oder Alipay-Zahlungen entgegen nehmen wollen. (Alipay ist neben weChat Pay beliebtestes mobiles Zahlungsmittel in China.) Ein chinesischer WeChat-Nutzer muss dann nur noch sein Handy hervorholen und den QR-Code des Händlers scannen, um zu bezahlen.

Diese langsame Expansion von WeChat Pay kann für Tencent dennoch lukrativ sein: Chinesische Nutzer müssen die Plattform nicht verlassen und die Umsätze im Touristengeschäft sind ja nicht klein. So gaben chinesische Reisende laut der Welttourismusorganisation im vergangenen Jahr mehr als 260 Milliarden Dollar aus – und im Westen gibt es Tausende chinesischer Schüler und Studenten, ausgestattet mit auskömmlichem Taschengeld. Citcon arbeitet laut eigenen Angaben bereits mit rund 300 Händlern zusammen, darunter Hotels, Flughäfen, Museen, Restaurants und Freizeitparks.

Erst im August startete die Casinokette Caesars Entertainment ein digitales Bezahlprogramm mit WeChat in Las Vegas. Seither können chinesische Besucher, WeChat Pay in Restaurants, Läden und Theaterkassen verwenden. Claire Yang, Direktorin für das internationale Marketing bei Caesars, meint, chinesische Kunden machten mittlerweile einen großen Teil des Geschäftes aus und die fehlende Möglichkeit, WeChat Pay zu akzeptieren, habe zu Verkaufsverlusten geführt. Nachdem Start des Dienstes bei dem Casinobetreiber hätten sich Kunden erfreut gezeigt, dass sie nun ihre bevorzugte Bezahlform nutzen können. Besonders populär sei der Bezahldienst zum Debüt im Buffetrestaurant Bacchanal in Las Vegas gewesen. "Leute nahmen an der Kasse ihre Handys raus und zeigten QR-Codes und sagten, ich will mit WeChat Pay bezahlen. Das fühlt sich ja fast wie in China an."

Wei Jiang, Präsident von Citcon, sagt, WeChat Pay sei auch für die Händler gut. Die Kunden müssten weder Karten in Terminals einschieben noch durchziehen, PINs werden nicht benötigt. "Es ist 50 Prozent schneller als eine Kreditkarte." Eine andere Firma, der auf Firmen spezialisierte Bezahldienstleister Stripe, hat bereits eine Zusammenarbeit mit Alipay und WeChat Pay angekündigt.

Wenn das mobile Bezahlen also so einfach ist, warum haben sich diese Systeme im Westen noch nicht durchgesetzt? Kreditkarten dürften ein wichtiger Grund sein. Wei, der selbst sieben Jahre bei Visa gearbeitet hat, betont, dass Produkte wie WeChat anfangs für China entwickelt worden seien, wo die Kreditkartendurchdringung noch relativ gering ist. In China konnte WeChat somit die Kreditkartenevolution quasi überspringen und direkt zu mobilen Zahlungen übergehen- Nun hilft der Dienst dabei, große Teile des urbanen China zu einer bargeldlosen Gesellschaft zu transformieren.

Entsprechend kann man auch noch nicht sagen, ob WeChat wirklich im Westen gescheitert ist. Selbst wenn die Amerikaner und Europäer weChat nicht auf dem Handy haben, könnte das Produkt Einfluss entwickeln. Genauso wie die Handelsplattform Alibaba versucht, westliche Firmen davon zu überzeugen, ihre Produkte in China zu verkaufen, könnte WeChat die hiesigen Konzerne mit dem gigantischen chinesischen Endkundenmarkt anlocken. Und WeChat beeinflusst US-Produkte auch auf andere Arten: Snapchat setzt mittlerweile beispielsweise verstärkt auf QR-Codes – inspiriert durch die Nutzung in China.

Die chinesischen Internetriesen haben aber deutlich größere Ambitionen. Risikokapitalgeberin Chan glaubt, dass Alibaba oder Tencent mit Facebook, Google oder Amazon verglichen werden wollen. "Sie möchten in der gleichen Unterhaltung vorkommen." Vom Börsenwert her stimmt das schon: Alibaba und Tencent sind jeweils bald 400 Milliarden Dollar schwer. "Aus dieser Perspektive haben sie das Kapital, in den Westen zu gehen und interessante Dinge zu übernehmen, in Firmen zu investieren oder weitere Experimente zu wagen."

Manchmal muss ein chinesisches Unternehmen aber auch gar nicht allzuviel Kapital mitbringen, um im Westen Eindruck zu machen. Es reicht schon, sich auf Amerika und Europa verstärkt zu konzentrieren. Eines der erfolgreichsten Beispiele hierfür ist die chinesische App Musical.ly, eine soziale Musik-App. Als das Team der Firma in China sah, wie viele US-Nutzer die App herunterladen, beschloss es, den Fokus auf diesen Markt zu legen. Die Hit-App hat mittlerweile Millionen von Nutzern weltweit. Und so werden viele junge Schülerinnen und Schüler in den USA oder Europa nicht wissen, dass die App, in die sie da hineinsingen, eigentlich aus Shanghai kommt.

Die Herausforderung für WeChat bleibt, dass die Plattform spezifisch für chinesische Bedürfnisse entwickelt wurde. Und genau hier könnte Betreiber Tencent von den Misserfolgen der US-Firmen in China lernen: Passe Deinen Dienst stets an die Zielgruppe an.

(bsc)