Kann WeChat den Westen erobern?

In China geht ohne den Kommunikationsdienst des Internetriesen Tencent fast nichts mehr. In Europa und den USA ist WeChat dagegen fast unbekannt.

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Von
  • Emily Parker
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Einige der größten amerikanischen Internetfirmen haben sich an China die Zähne ausgebissen. Egal ob für Google, Uber oder Amazon – im Riesenreich läuft es für die Superhelden des Webs gerne etwas anders. Schuld daran ist nicht nur die kommunistische Regierung, die mit der Zensurkeule droht. Der Markt hat ganz eigene Regeln.

Allerdings geht es auch manchen chinesischen Unternehmen im Westen nicht anders. Das aktuelle Paradebeispiel: WeChat, der Kommunikationsdienst des Portalgiganten Tencent, der in China mittlerweile das Leben zahlloser Nutzer prägt. Die Plattform, die auch einen mobilen Bezahldienst integriert, hat über 900 Millionen aktive Nutzer im Monat. Ausländer, die China besuchen, sind beeindruckt von der enormen Dominanz dieser "Super-App", die für fast alles verwendet werden kann – vom Chat über das Rufen eines Taxis bis hin zum Kauf von Immobilien.

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Lesen Sie dazu auch den China-Fokus in der September-Ausgabe von Technology Review. Kleine Einblicke ins Heft:

Millionen verifizierter offizieller Accounts gibt es – darunter bekannte Marken, Prominente und sogar Krankenhäuser. Seinen Einkauf oder seine Arztrechnung kann man per WeChat bezahlen. Der Dienst ist eine digitale Geldbörse und zentrales Kommunikationsmittel in China – und ein Leben ohne WeChat ist für viele Menschen nicht mehr vorstellbar.

Entsprechend optimistisch war Tencent bezüglich der Einführung des Dienstes in den westlichen Ländern. So wurde schon 2013 ein eigenes Büro in den Vereinigten Staaten eröffnet, um WeChat nach Amerika zu bringen. Nach dem großen Erfolg in der Heimat war die Internationalisierung der natürliche nächste Schritt. Die Firma sah es auch als Chance. Es gab zwar bereits diverse Messaging-Dienste im US-Markt, doch keiner hatte das Land wirklich derart überrollt wie das WeChat in seiner Heimat gelungen war.

Vier Jahre später müssen die Versuche Tencents als gescheitert gelten. Fragt man einen durchschnittlichen Amerikaner oder Europäer danach, was WeChat ist, bekommt man oft nur ratlose Gesichter zu sehen. Eine Art WhatsApp vielleicht?

Gegenüber Technology Review wollte sich Tencent nicht zur weiteren internationalen Expansion von WeChat äußern, doch ein "Global Player" ist die Firma noch lange nicht. 2013 engagierte Tencent den Fußballstar Lionel Messi für Fernsehwerbung. Auch in Schwellenländern wie Indonesien, Indien oder Brasilien klappte der Push nur teilweise. Nur in Malaysia scheint sich WeChat mittlerweile bei den Messagingdiensten eine Spitzenposition erobert zu haben. In anderen Ländern wird der Dienst vor allem von Menschen mit chinesischer Herkunft verwendet. In einem Bericht der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua heißt es, Tencent-Gründer Pony Ma habe die Schwierigkeiten im Ausland eingeräumt. Und laut der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg ist WeChat nicht unter den Top-5-Apps fürs iPhone in Indonesien, Indien, Brasilien und anderen zentralen Märkten.

Es ist kein Geheimnis, dass das Internet in China stark zensiert wird und das auch WeChat selbst ein stark zensiertes Produkt ist. Das kann die internationale Expansion für den Nutzer verwirrend machen: "Sensible" internationale Inhalte sind in China selbst blockiert. Doch diese Zensur ist nicht das zentrale Problem, dass WeChat davon abhält, im Westen einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Stattdessen leidet der Dienst an genau jenem Netzwerkeffekt, der ihm in China so viele Nutzer verschafft hat. Hast Du viele Nutzer, bekommst Du noch mehr – hast Du wenig Nutzer, motivierst Du auch keine neuen, weil die ja mit irgendjemandem kommunizieren müssen.

Facebook ist in China derzeit gesperrt, ein Faktor, der sicherlich zu WeChats Erfolg beigetragen hat. Würde Facebook nun ins Land gelassen, müsste die Firma dagegen ankämpfen, dass fast jeder schon bei WeChat ist. Natürlich sind die beiden Produkte anders, doch WeChat funktioniert so gut in China, weil eben so viele Chinesen den Dienst nutzen. Die Lieblingsmarken und Lieblingspromis sind hier, die Freunde, die Familie, die Arbeitskollegen. Für Facebook wäre es fast ein Ding der Unmöglichkeit, dieses Netzwerk nachzubilden.

Doch Netzwerkeffekte sind nur ein Teil dieser Geschichte. WeChat wurde expliziert für den chinesischen Markt entwickelt. Connie Chan, Partnerin beim prominenten Risikokapitalgeber Andreessen Horowitz, hat 2015 den wohl wichtigsten Artikel über den Dienst für ein westliches Publikum verfasst: "Wenn eine App alles beherrscht", hieß er. Als WeChat im Jahr 2011 an den Start ging, hatten die Chinesen keine universelle Methode, miteinander zu kommunizieren. Die E-Mail-Verbreitung war eher gering, SMS- und Sprachpakete relativ teuer, unerwünschte SMS-Werbenachrichten zudem ein allgemeines Problem. Die Instant-Messaging-Plattform QQ von Tencent war populär, aber sie war noch für das Web entwickelt worden – in einer Zeit, als sich Smartphones durchzusetzen begannen.

Mittlerweile hat sich das Internet mobilisiert. Ende 2015 war mehr als die Hälfte der chinesischen Bevölkerung online und 90 Prozent bedienen das Web auf dem Handy. Als WeChat um 2013 herum versuchte, in Amerika zu landen, hatten die Menschen bereits Facebook, WhatsApp und iMessage – E-Mail sowieso. Die Auswahl an Kommunikationsmitteln war groß. "Es gab ein geringeres Bedürfnis dafür, eine einheitliche Plattform für alle zu haben."