Wie sich das Kino gegen die Streaming-Konkurrenz wehrt

Seite 2: Zaghafte Streaming-Versuche

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Für Studios ist das vor allem deshalb fatal, weil das Kino für sie eine unersetzliche wirtschaftliche Aufgabe erfüllt: Es veredelt den Film und sorgt dafür, dass die Zuschauer ihn überhaupt wahrnehmen. Dadurch steigert es die Absatzchancen auf anderen Auswertungskanälen. Das Einspielergebnis ist dabei oft zweitrangig; tatsächlich erzielt die Mehrzahl der Filme wegen der hohen Marketingkosten im Kino keine Gewinne.

Die Kinos wiederum brauchen Blockbuster mit Millionen von Zuschauern "als Zugpferde, weil die Kinos nur dann überleben können, wenn sie immer mal wieder richtig Geld verdienen", erklärt Rüdiger Suchsland, einer der profiliertesten deutschen Filmkritiker. In Hollywood heißen solche Filme "Tentpoles" – die Masten, die das Zirkuszelt aufrecht halten.

Doch die Pandemie machte erst so richtig sichtbar, welche Verwerfungen die digitale Transformation bereits im Filmgeschäft hinterlassen hat. Und sie brachte Produzenten zum Experimentieren: Würde sich ein Blockbuster ohne Kino, nur via Streaming etablieren lassen?

Bisher galt eine Sperrfrist zwischen Kinostart und nachfolgenden Auswertungsfenstern wie Streaming, Blu-ray und Pay-TV. Für den – fast immer subventionierten – deutschen Film diktiert etwa das Filmförderungsgesetz eine Frist von sechs Monaten. Zwar ruft selbst Christine Berg, Vorstandsvorsitzende des Hauptverbands Deutscher Filmtheater, hier nach einer flexibleren Lösung. Grundsätzlich hält sie die Sperrfrist aber für unabdingbar: "Wir glauben an die Kraft des Kinos. Trotzdem brauchen wir zusätzlich diese Regelung. Dafür kämpfen wir im Moment sehr."

Derartige Kämpfe beuteln die Branche, seit es Fernsehen und Home Video gibt. Beispielsweise drohten 2006 deutsche Kinobetreiber, allen voran der "Cinemaxx"-Gründer Hans-Joachim Flebbe, mit einem Boykott, weil Twentieth Century Fox den Film "Eragon" bereits drei Monate nach Kinostart auf DVD herausbrachte. Immerhin hatte "Eragon" bis dahin bereits 1,7 Millionen Besucher in die Kinos gelockt. In Verhandlungen einigte man sich international auf ein neues "Kinofenster" von vier Monaten, das später auf drei zusammenschrumpfte.

Doch während der Pandemie brachen einige Studios mit Filmen wie "Black Widow" das Tabu und brachten Filme gleichzeitig im Kino und per Streaming heraus. Regisseure, Schauspieler und Kinobetreiber versuchten, sich durch Appelle und Boykotte gegen dieses "Day & Date"-Modell zu wehren. Trotzdem verloren die Kinos Hans-Joachim Flebbe zufolge einen Teil ihrer Zuschauer unwiederbringlich ans Abonnement-basierte Streaming.

Der Fall: Scarlett Johansson gegen Disney+
Disney kündigt Konzernumbau an

Das Walt Disney Co. Logo ist in der New York Stock Exchange (USA) auf einem Bildschirm zu sehen. Disney passt inmitten der Corona-Krise seine Konzernstruktur an, um sich künftig stärker auf den boomenden Streaming-Markt auszurichten.

(Bild: dpa, Richard Drew/AP/dpa)

Ein Rückblick: Der exklusive Kinostart des Superheldinnen-Epos "Black Widow" war für Mai 2020 geplant. Doch nach mehreren pandemiebedingten Verschiebungen entschloss sich Distributor Disney dazu, den Marvel-Blockbuster am 9. Juli 2021 gleichzeitig in den Kinos und auf der frischgebackenen Streaming-Plattform "Disney Plus" zu zeigen – dort zu einer Premium-Gebühr von 30 Dollar. So spielte "Black Widow" 367 Millionen Dollar in den Kinos sowie 125 Millionen Dollar im Streaming ein.

Hauptdarstellerin Scarlett Johansson reichte das nicht. Sie verklagte Disney auf eine Ausgleichszahlung von 50 Millionen Dollar. Disney habe den Kinostart sabotiert, um den eigenen Streamingdienst zu promoten. Dadurch seien ihr potenzielle Boni in Millionenhöhe entgangen. Disney einigte sich daraufhin mit Johansson auf einen Vergleich und kündigte die Rückkehr zu einer 45-tägigen exklusiven Kino-Vermarktung an.

Nicht ganz unwichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die meisten großen Studios, teils über Tochterfirmen, eigene Streaming-Plattformen unterhalten. Disney etwa hatte seinen Dienst vier Monate vor der Krise gestartet, in Deutschland ging Disney+ im März 2020 an den Start. Konkurrent Warner Brothers folgte mit der eigenen Plattform "HBO Max" einer ähnlichen Strategie, fand zahlreiche Stars aber bereits im Vorfeld mit rund 200 Millionen Dollar ab.

Die Situation erinnert an Hollywoods "Goldene Ära", in der die großen Studios gleichzeitig die Kinos kontrollierten – wie auch die UFA in Deutschland. 1948 hatte der US Supreme Court diese Oligopolstellung beendet; im August 2020 allerdings schaffte die Trump-Regierung das entsprechende "Paramount-Dekret" wieder ab.

Die Plattformen der Studios mit ihren Premium-Gebühren für einzelne Filme bekommen wiederum Konkurrenz durch Netflix und andere Mediatheken mit Flatrate-Gebühren. Für dieses Segment erwartet das Beratungsunternehmen Price Waterhouse Coopers in Deutschland bis 2025 ein Volumen von zwei Milliarden Euro, mit einer jährlichen Wachstumsrate von acht Prozent. "Die Gründe sind der anhaltende Trend hin zu Abonnement-Modellen, die zu erwartenden Preissteigerungen und der Eintritt neuer Wettbewerber mit zusätzlichen Angeboten. Die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten wird voraussichtlich von 32 Millionen in 2020 auf knapp 44 Millionen in 2025 steigen."

Gleichzeitig outeten sich 2019 in einer Umfrage der US-Marktforschungsfirma "Comscore" unter Tausenden regelmäßiger Kinogänger knapp 35 Prozent als begeisterte Streaming-Kunden. Dieselbe Studie ermittelte über sieben Jahre hinweg den Anteil 18- bis 25-jähriger Kinogänger mit konstant einem Viertel – eine demografische Kohorte, die sonst häufig als "ans Streaming verloren" gilt.