Klickbare Realität

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PER SATELLIT ZUM SCHAUFENSTER

Und die Information fließt bereits in beide Richtungen: Nutzer können auch ihre eigenen Texte, Fotos und andere Daten ins Internet laden und den entsprechenden Längen- und Breitengraden zuordnen. "Früher waren Karten ein ‚read-only‘- Medium", sagt Schuyler Erle, Chefingenieur bei Locative Technologies und Mitautor des Buches "Mapping Hacks". "Aber dank Moore's Law haben viele Leute jetzt genügend Rechenkraft auf dem Schreibtisch stehen, um selbst mit den riesigen Datenmengen umgehen zu können, die man für digitale Kartografie braucht. So werden Karten immer stärker zum ‚readwrite‘- Medium. Das verändert die Art, wie wir damit umgehen und welche Rolle sie in unserem Leben spielen können."

Viele Details des neuen Geo-Webs sind noch ungeklärt. Noch weiß niemand, welche Ortsdienste beim Nutzer am besten ankommen und für welche Technologien sich Mobilfunkanbieter und Gerätehersteller entscheiden werden. Nur wenige der Mobilfunker in den USA bieten bislang Telefone mit GPS-Chips an - und nur ein einziger, Nextel, gibt auch freien Entwicklern Zugriff auf die GPS-Funktionalität der Geräte. In manchen Gegenden der Welt könnte die Kartenrevolution länger dauern, weil die dortigen Regierungen Kartendaten strikt kontrollieren oder hohe Gebühren dafür nehmen. Keines dieser Probleme jedoch kann den Geo-Enthusiasmus unter Web-Entwicklern und E-Commerce-Managern stoppen. In diesem Juni trafen sich 500 von ihnen auf der Konferenz Where 2.0 in San Francisco. Zwei Tage lang bewunderten sie die jeweils neuesten Kartenkreationen und grübelten darüber nach, wie man über Geo-Informationen aus dem Web echte Transaktionen erzeugen kann - vom Klick auf eine Anzeige bis zum Kauf eines Hauses.

Aber wie sind die mächtigen Kartenwerkzeuge überhaupt in die Hand gewöhnlicher Nutzer gekommen? Die kurze Antwort beginnt mit dem Start der ersten GPS-Satelliten im Jahr 1978. Ein GPS-Empfänger stellt fest, wie lange ein Zeitsignal von mehreren Satelliten bis zur Ankunft braucht und kann auf dieser Grundlage die eigene Position auf wenige Meter genau berechnen. Ursprünglich sollte das System U-Booten des US-Militärs dabei helfen, nach dem Auftauchen schnell die Position zu bestimmen - die Information wurde vom Leitsystem ihrer Interkontinentalraketen gebraucht. Seit der Präsidentschaft von Ronald Reagan können auch Zivilisten GPS benutzen -- zunächst aber nur in verschlechterter Form auf etwa 100 Meter genau. Am 1. Mai 2000 dann ließ Bill Clinton diese absichtliche Verschlechterung abschalten.

Die ebenso plötzliche wie dramatische Erhöhung der Genauigkeit bereitete das Feld für all die Online-Karteninnovationen, die seitdem entstanden sind. Verschiedene Gruppen, darunter Wanderer, Hacker und Stadtplaner, entwickelten Interesse für webbasierte Karten, auf denen sie die geografischen Daten aus ihren GPS-Geräten veröffentlichen konnten. Schließlich konnten selbst einfache Geräte auf einmal eine Straßenseite von der anderen unterscheiden oder erkennen, an welchem Schaufenster der Nutzer gerade vorbeiläuft - oder auch jemanden zu einem "geocache" führen, einen über Längen- und Breitengrad definierten Ort, wo ein anderer Hobbyist ein bestimmtes Objekt versteckt hatte.