Klimasünder vor Gericht

Seite 2: Tote und ein Zusammenbruch des Stromsystems

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Forscher um Friederike Otto vom Environmental Change Institute in Oxford haben dazu das derzeit größte Klimamodell der Welt aufgebaut. Damit können sie Tausende Wetterszenarien mit unterschiedlichen Treibhausgaskonzentrationen berechnen – zum Beispiel mit aktuellen sowie historischen Werten vor Beginn der Industrialisierung. "Wenn die Wahrscheinlichkeiten eines Extremwetters in den Modellläufen unterschiedlich sind, dann können wir sagen, dass die Klimaänderung diesen Unterschied verursachte", erklärt Otto. "Dabei kann es sich um Unterschiede in der Intensität oder in der Frequenz handeln." Stürme, Regenfälle oder Hitzewellen könnten also entweder stärker sein, häufiger auftreten – oder sogar beides.

Die Simulationen laufen verteilt auf privaten PCs unzähliger Freiwilliger. Im Gegensatz zum Einsatz von Supercomputern spart das sowohl Geld als auch Zeit, denn die Rechenleistung muss nicht lange im Voraus gebucht werden. Die Forscher können spontaner auf Ereignisse reagieren.

In einer viel beachteten Studie hatte Friederike Otto mit ihren Kollegen die Ursache einer Hitzewelle untersucht, die Argentinien 2013 mit Temperaturen von bis zu 50 Grad heimsuchte. Dadurch starben viele Menschen, und das Stromsystem von Buenos Aires ging vollständig in die Knie. Bei ihren Simulationen stellten die Forscher zunächst fest, dass Hitzewellen fünfmal wahrscheinlicher wurden, wenn sie menschengemachte CO2-Emissionen in ihre Modelle einfügten. In einem nächsten Schritt erweiterten sie ihre Modelle um die CO2-Emissionen einzelner Regionen. Das Ergebnis: Hauptverursacher der argentinischen Hitzewelle war Europa, gefolgt von den USA, China und dem restlichen Asien. Argentiniens eigene Emissionen standen erst an fünfter Stelle. Der tatsächliche Beitrag der reichen Länder sei sogar noch größer, heißt es in der Veröffentlichung, denn sie konsumieren zahlreiche Produkte, die in den aufstrebenden Ländern wie China hergestellt werden.

Um derartige Erkenntnisse Juristen, Volksvertretern und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde 2014 die World Weather Attribution (WWA) ins Leben gerufen. Beteiligt ist der Forscher- und Journalistenverband Climate Central mit Klimaforschern in Oxford, Melbourne und Utrecht sowie das gemeinsame Klimazentrum von Rotem Kreuz und Rotem Halbmond. Die Initiative soll gerichtsfeste Argumente für rechtliche und politische Auseinandersetzungen liefern. 22 Studien hat die WWA bisher veröffentlicht, darunter Analysen der Rekordwärmesommer der Jahre 2014, 2015 und 2017 in Europa. 21 dieser Studien stellen klar eine Erhöhung des Risikos von Hitzewellen fest.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch das jüngste Bulletin der American Meteorological Society. Darin haben Forscher 27 Extremwettereignisse aus dem Jahr 2016 untersucht. In 21 Fällen zeichnete sich der Klimawandel klar als entscheidende Ursache ab. Das gilt besonders für Hitzewellen wie der über dem Pazifik, die das Sterben des Great Barrier Reefs beschleunigen, aber auch für die ungewöhnliche Wärme in der Arktis, in Frankreich und Asien sowie für die Trockenheit im südlichen Afrika. Keinen klaren Zusammenhang konnten die Forscher hingegen für die Trockenheit in Brasilien finden.

Schwieriger ist die Suche nach Ursache und Wirkung bei extremen Regenfällen. Sie konnten die Wissenschaftler bislang nicht eindeutig auf den Klimawandel zurückführen. Dazu gehören etwa die heftigen Niederschläge 2016 in Kalifornien und Australien. Eine WWA-Studie zu Überschwemmungen in Süddeutschland und Paris im Jahr 2013 kommt zu einem vergleichbaren Schluss: Entsprechende Regenfälle gehen statistisch gesehen alle 20 Jahre irgendwo in Süddeutschland nieder. Damit sie aber zu einer Katastrophe werden, braucht es zusätzlich politische, behördliche und ingenieurtechnische Fehlentscheidungen wie die Einengung von Wasserläufen oder die Trockenlegung von wasserspeichernden Feuchtgebieten. "Aber das heißt nicht, dass diese Ereignisse nie vom Klimawandel beeinflusst werden", sagt Friederike Otto. Der Zusammenhang sei eben nur noch nicht sicher genug nachweisbar.

Besonders schwierig gestaltet sich die Schuldzuweisung bei einzelnen Wirbelstürmen. Zwar ist Konsens, dass sie ganz allgemein zunehmen, aber um ihre Intensität auf den Klimawandel zurückzuführen, benötigen die Forscher sehr viel höher auflösende Daten vom Verlauf eines solchen Sturms. Ein neues Projekt der Nasa könnte die Lücke jedoch bald füllen: Vor einem Jahr hat die US-Raumfahrtbehörde das Cyclone Global Navigation Satellite System (CYGNSS) an Bord von acht Mikrosatelliten in den Orbit geschossen. Mit ihm lassen sich die physikalischen Vorgänge innerhalb der Wind- und Wolkenwirbel in bisher nicht gekannter Genauigkeit vermessen.

Auch wenn es noch einige Zeit dauern wird, bis das System genügend statistisch belastbare Daten gesammelt hat: Für die fossilen multinationalen Konzerne wird es immer enger.

(bsc)