Kohleausstieg geht nicht ohne China

Die derzeitige Klimapolitik wird offenbar nicht zu einem globalen Kohleausstieg führen. Das zeigt eine neue Studie.

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Kraftwerk Bremen-Hastedt

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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Ein globaler Kohleausstieg wird nicht einmal mit den ehrgeizigen Absichten gelingen, mit denen der international bedeutendste Lobbyverbund zum Kohleausstieg versucht, immer mehr Staaten und Organisationen das Versprechen abzuringen, aus der Kohleverstromung auszusteigen. Das zeigt eine neue Studie von Forschern des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der Chalmers-Universität in Göteborg.

Die Allianz "Strom nach der Kohle" (Powering Past Coal Alliance, PPCA) ist eine Initiative, die Kanada und England 2017 während der Weltklimakonferenz COP23 in Bonn vorstellten. Inzwischen besteht sie aus fast 170 Mitgliedern, darunter Regierungen von 48 Staaten. Die Mehrheit stellen aber Regionalregierungen, Unternehmen, Rentenfonds und Investment-Berater.

Die Mitglieder dieser Allianz verpflichten sich, den Übergang von Kohle zu sauberer Energie zu beschleunigen. Die Ziele sind in der PPCA-Erklärung definiert. Danach müsste der Ausstieg aus der Kohleverstromung in den OECD-Ländern und der EU bis spätestens 2030 und in der übrigen Welt bis spätestens 2040 erfolgt sein.

Die große Schwäche der Allianz ist allerdings ihre Konzentration auf Kohlestrom. Denn es reicht nicht, einfach nur Kohlekraftwerke abzuschalten. Im aktuellen Wirtschaftssystem verschwindet die Kohle nicht einfach vom Markt. Vielmehr würde sie dann in andere Industriezweige umgeleitet werden, beispielsweise in die Stahl-, Beton- oder Chemieindustrie, so die Befürchtung der drei Studienautoren.

Sie sind die ersten, die in einer Modellstudie reale politische Entscheidungen simulierten. "Unser neuer Ansatz ist der erste, der die Implementierung politischer Maßnahmen in zukünftigen Szenarien an sozio-technische Entwicklungen knüpft und in Übereinstimmung mit historischen Belegen simuliert", erklärt Jessica Jewell von der schwedischen Chalmers-Universität.

Die Modellierer nahmen dazu vor allem auch die PPCA-Initiative unter die Lupe. Sie wollten wissen, ob diese Allianz wirklich als Vorbild für andere Länder dienen könnte, sich zu entschließen, eher aus der Kohleverstromung auszusteigen.

Ihr verblüffenden Schluss aus den Rechensimulationen: Selbst, wenn mehr Länder dieser Allianz beitreten, käme es dennoch zu einem weiteren Anstieg der Kohlenutzung. Sinkt nämlich die Nachfrage in einer Region, sinken die Preise – was dann andernorts die Nachfrage erhöhen kann.

So stellt Erstautor Stephen Bi vom PIK denn auch fest: "Obwohl in unseren Simulationen die meisten Länder beschlossen, die Kohleverstromung einzustellen, hatte dies fast keine Auswirkungen auf den gesamten zukünftigen Kohleverbrauch."

Die Computersimulation der derzeitigen Klimaökonomie und -politik zeigten, dass die Chancen für einen Kohleausstieg bis Mitte des Jahrhunderts weniger als fünf Prozent beträgt. "Dies würde bedeuten, dass wir nur minimale Chancen haben, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen und schwerwiegende Klimarisiken zu begrenzen", so Bi.

Nico Bauer, ebenfalls vom PIK, sieht deshalb die größte Gefahr für den Kohleausstieg bei Trittbrettfahrern innerhalb der Allianzmitglieder. "Unregulierte Industrien können von fallenden Kohlepreisen im Inland profitieren und mehr Kohle verbrauchen."

Deshalb müsse die Debatte über den Kohleausstieg über den Energiesektor hinausgehen und auch die anderen Industriesektoren einbeziehen, schreiben die drei Forscher. "Die Bepreisung von Kohlenstoff wäre das effizienteste Instrument, um Schlupflöcher in den nationalen Vorschriften zu schließen, während Beschränkungen des Kohleabbaus und der Exporte am ehesten geeignet wären, um Trittbrettfahrer im Ausland abzuschrecken", so Bauers Schlussfolgerung.

Eine ganz besondere Rolle auf dem Pfad zum endgültigen Kohleausstieg spielt China. Immerhin fördert und verbraucht das Land aktuell mehr als die Hälfte der Kohle weltweit.

Im Jahr 2021 emittierte das Exportland China insgesamt über elf Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid. In Deutschland waren es rund 675 Millionen Tonnen. In beiden Ländern kam jeder Einwohner also auf rund acht Tonnen CO2 – wobei viele der chinesischen Emissionen eigentlich den Importländern zugerechnet werden müssten.

Aber China ist auch Weltspitze beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Das Land verfügte 2021 laut der Internationalen Agentur für erneuerbare Energie (IRENA) bereits über eine regenerative Stromkapazität von 1,02 Terawatt installierter Leistung. Zum Vergleich: In ganz Europa waren es etwas mehr als 647 Gigawatt. Bis Anfang 2023 kamen noch einmal 125 Millionen Kilowatt dazu, wie die Nationale Energiebehörde Chinas erklärte. Damit liege der Anteil der Wind- und Solarenergie am Strommix jetzt bei 50 Prozent.

Anfang 2022 hatte China erklärt, keine neuen Kohlekraftwerke zur Stromerzeugung mehr zu genehmigen. Doch seine Provinzen hielten sich nicht daran. Sie billigten nämlich die Installation von 168 neuen Strom-Kohlekraftwerken mit einer Gesamtleistung von 106 Gigawatt.

Der Global Energy Monitor sieht darin allerdings eine Reaktion auf die Stromknappheit des Sommers, als eine historische Hitzewelle und Dürre das Land heimsuchte. Denn nach wie vor ist China auf Kohlekraftwerke angewiesen, um Stromspitzen abzudecken und die Schwankungen der Nachfrage und des Angebots an sauberer Energie zu bewältigen.

"Die Computersimulation gibt China ungefähr eine fünfzig zu fünfzig Chance, der Allianz beizutreten, und das wird nur zu schaffen sein, wenn China den Bau von Kohlekraftwerken bis 2025 einstellt", erläutert Bi das Ergebnis der Simulationen.

Erst dann erst würde auch die PPCA den Ausbau von Solar- und Windenergie vorantreiben. Das wäre für China die Gelegenheit, "seine führende Rolle auf dem Markt für erneuerbare Energien zu festigen und weltweit nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten freizusetzen", ist Bi auf Grund der politisch-ökonomischen Simulationen des Forscherteams überzeugt.

(bsc)