Kombinierte Nutzung: Wie sich Weidefläche für Photovoltaik-Anlagen nutzen lässt

Drei Ministerien einigten sich nun auf die Förderung der Agri-Photovoltaik. Solche Freiflächenanlagen können Klima- und Naturschutz miteinander verbinden.

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Wenn Solarmodule hoch genug angebracht sind, bleibt darunter genug Platz für andere Nutzer.

(Bild: SL Rack GmbH)

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Jan Berndorff
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Insektensterben? Wer an einem Sommertag auf dem Gelände des ehemaligen Kalkwerks Gersheim unterwegs ist, kann daran kaum glauben. Hier, im Biosphärenreservat Bliesgau östlich von Saarbrücken, summt und brummt es unentwegt. Auf rund zweieinhalb Hektar wachsen überall Orchideen und andere Wildblumen. Sie locken Insekten und dadurch auch Vögel an. 15 Schmetterlingsarten sind dokumentiert, von denen 14 auf der Roten Liste stehen. Und sogar die Schwarze Mörtelbiene hat sich in einer alten Betonwand der Grube angesiedelt. Sie ist in Deutschland extrem selten geworden und steht unter strengem Schutz.

Doch es ist keine reine Naturidylle. Hunderte Solarmodule mit einer gesamten Leistung von 1,85-Megawatt sind hier in langen Reihen alle fünf Meter aufgeständert. Sie scheinen weder Pflanzen noch Tiere zu stören. Im Gegenteil: „Hier wurden die Ziele des Naturschutzes und des Klimaschutzes zugleich verwirklicht“, schreiben Bernd Demuth und Alexander Maack vom Institut für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung der TU Berlin in einem Handbuch über die ökologischen Wirkungen von Photovoltaik-Freiflächenanlagen (PV-FFA).

Auch wirtschaftlich können sie punkten: Auf der letzten Ausschreibungsrunde der Bundesnetzagentur bekamen Freiflächenanlagen eine Einspeisevergütung von fünf Cent pro Kilowattstunde. Strom aus Onshore-Windparks ist etwa ein Cent teurer. Und im Vergleich zu Mais oder Zuckerrüben für Biogaskraftwerke holen PV-FFA rund 50-mal mehr Strom aus der gleichen Fläche heraus, hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) berechnet.

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Trotzdem durften sie lange nur auf sogenannten „Konversionsflächen“ gebaut werden – also etwa alten Industriebrachen, Militärgeländen und ähnlichen Arealen. Außerdem wurden gern schmale Streifen entlang von Autobahn- und Eisenbahntrassen freigegeben. Dabei zeigen Installationen wie das Biosphärenreservat Bliesgau, dass sich klimaneutrale Energiegewinnung und Naturschutz vertragen. Trotzdem haben nur wenige Bundesländer dieses Korsett in den letzten Jahren gelockert und lassen PV-Parks nun auch auf „benachteiligten Acker- und Grünflächen“ zu, auf denen viel Dünger eingesetzt werden muss, damit auf ihnen etwas wächst.

Aktuell sind in Deutschland knapp 57 Gigawatt Photovoltaik-Leistung installiert, davon entfallen gut 30 Prozent auf Freiflächenanlagen. Nicht alle sind so naturverträglich wie die im Saarland. Damit sie für die Natur Positives bewirken können, müssen sie gewisse Kriterien erfüllen. Der Naturschutzverband Nabu hat dazu kürzlich gemeinsam mit dem Bundesverband Solarwirtschaft einen entsprechenden Leitfaden veröffentlicht:

  • Naturschutzgebiete und andere schützenswerte Flächen sind tabu.
  • Betonierte Flächen werden nach Möglichkeit aufgebrochen, um Wildblumen säen zu können.
  • Die Fundamente dürfen nicht mehr als fünf Prozent der Gesamtfläche versiegeln.
  • Die Modulreihen haben mindestens drei Meter Abstand und sind mindestens 70 Zentimeter hoch, damit Pflanzen und Tiere genügend Licht und Raum bekommen.
  • Die Umzäunung lässt Amphibien und Kleinsäuger wie Hase und Igel passieren.
  • Große Anlagen bestehen also aus mehreren eingezäunten Teilen mit Durchgängen für Großsäuger wie Rotwild.
  • Die Wiese wird so gemäht, dass erwünschte Pflanzen Fruchtstände ausbilden können. Wahlweise könnten etwa auch Schafe die Wiesen beweiden.
  • Dünger und Pestizide sind ausgeschlossen.

„Der Kreativität, eine Freiflächenanlage möglichst naturfreundlich zu gestalten, sind im Prinzip keine Grenzen gesetzt“, sagt die Biologin Christina Grätz, Geschäftsführerin der brandenburgischen Firma NagolaRe, die unter anderem Solarparkbetreiber berät.

Solche Bio-Solarparks produzieren durch ihre großen Modulabstände allerdings bis zu 20 Prozent weniger Strom pro Fläche. Im Gegenzug steigern sie aber auch Artenvielfalt und damit die Akzeptanz der Bevölkerung, sagt die Landschaftsökologin Nathalie Arnold vom Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE). Denn die ist keineswegs immer gegeben: Bei den Mulkwitzer Hochkippen, eine rund 410 Hektar große ehemalige Abraumhalden im Osten Sachsens, sollten beispielsweise zwei Solarparks errichtet werden. Eine lokale Interessengemeinschaft monierte jedoch, dass sich auf dem renaturierten Gelände neue, intakte Ökosysteme gebildet hätten. Daher hält der Nabu die Flächen für nicht genehmigungsfähig.

Zwei-Megawatt-Solaranlage im saarländischen Eppelborn.

(Bild: next2sun)

Oft werden Solarparks auch einfach durch ihre technisch-künstliche Anmutung als störend empfunden. „Darum sollten Solarparks nicht auf exponierten Flächen wie Hügeln angelegt werden“, empfiehlt Tina Mieritz, Nabu-Referentin für Energiepolitik und Klimaschutz. „Darüber hinaus kann außerhalb des Zauns zum Beispiel eine Hecke Sichtschutz bieten und gleichzeitig als weiteres Biotop für Tiere dienen.“

Das allein reiche aber nicht immer, meint Nathalie Arnold. „Unabhängig vom Eingriff in den Naturhaushalt sollten Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes ausgeglichen werden, etwa durch Anlegen einer Streuobstwiese. Und die Bürger sollten von Anfang an mitgenommen, ihre Wünsche gehört und einvernehmliche Pläne gemacht werden. Eine Option ist auch, sie an den Gewinnen des Stromverkaufs zu beteiligen.“

Ein zentraler Kritikpunkt an Freiflächenanlagen ist zudem, dass sie die Pachtpreise für Ackerflächen in die Höhe treiben. Der Bauernverband bezeichnet Solarparks deshalb als „Flächenfraß“. Ein Einwand, der auf den ersten Blick gerechtfertigt ist: Die durchschnittliche Jahrespacht für Ackerland liegt in Deutschland bei etwa 430 Euro pro Hektar, bei Grünland sind es 234 Euro. Doch Grundstücke, auf denen Solaranlagen errichtet werden, erzielen 1.500 bis 3.000 Euro.

Doch wenn der Gesetzgeber richtig steuert, ließe sich diese Befürchtung zerstreuen: Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft weist darauf hin, dass nur 2,5 bis 3 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ausreichen würde, um den Strombedarf des gesamten Landes zu decken. Und dies ist nur ein kleiner Teil der Flächen, die aktuell für Energiepflanzen genutzt werden, also ohnehin nicht der Nahrungsmittelversorgung dienen.

„Das Potenzial ist enorm“, meint auch Christina von Haaren, Professorin für Landschaftsplanung und Naturschutz an der Uni Hannover. Sie hat untersucht, wie viel Fläche für erneuerbare Energien überhaupt infrage kommt. Dabei schloss sie alle Gebiete aus, deren Nutzung aus rechtlichen oder anderen Gründen unmöglich oder zumindest fraglich ist. Übrig blieben bundesweit 1,5 Prozent der gesamten Landfläche, die man „relativ sorglos“ nutzen könne. Würde man dort ausschließlich Windkraftanlagen bauen, würde dies – gemeinsam mit anderen Erneuerbaren wie Geothermie oder Solarmodulen auf den Dächern – bereits ausreichen, um den gesamten prognostizierten Strombedarf zu decken.

Trotzdem hält sie Solarparks für notwendig, um vor Ort den richtigen Energiemix herzustellen. So können Solaranlagen beispielsweise im Sommer, wenn der Wind schwächelt, den Ausfall an Windkraft ausgleichen. „Außerdem glauben wir nicht daran, dass das Dachflächenpotenzial schnell aktiviert werden kann“, sagt van Haaren.

Allein in Niedersachsen sind ihren Berechnungen zufolge 563.000 Hektar naturverträglich nutzbar. Darauf könnten nach derzeitigem Stand der Technik 614 Terawattstunden pro Jahr erzeugt werden. Das ist mehr als der Jahresverbrauch in ganz Deutschland. „Allein die politischen Rahmenbedingungen hemmen noch den Ausbau.“ So seien zwar die Gemeinden für die Ausweisung von Freiflächenanlagen verantwortlich, doch die hätten gar nicht den Überblick darüber, welche Flächen sich eher für die Landwirtschaft oder für die Energieerzeugung eignen. „Die Zuständigkeit sollte deshalb bei der Regionalplanung liegen“, so van Haaren.

Auch für Solarkraft auf herkömmlichen Ackerflächen gibt es eine Lösung: die sogenannte Agriphotovoltaik (APV). In Ländern wie Niederlande, Frankreich und den USA sind solche Anlagen längst im regulären Einsatz, in Deutschland bislang nur vereinzelt. Hierzulande werden sie vor allem vom Fraunhofer ISE propagiert und weiterentwickelt. Statt in Bodennähe werden die Solarmodule dabei in gut fünf Metern Höhe auf Stelzen installiert, sodass selbst große Mähdrescher noch unter ihnen hindurchfahren können. Die Solarzellen weisen genügend Abstand auf, um Licht durchzulassen. Alternativ gibt es auch senkrecht aufgestellte Solarmodule in Ost-West-Ausrichtung. Sie stehen schmal zwischen den Ackerfurchen und fangen auf beiden Seiten das Sonnenlicht ein.

Beide Varianten gehen mit leichten Ertragseinbußen bei den Nutzpflanzen und beim Solarstrom einher. Aber Versuche auf Testgeländen des ISE zeigen: Gut 80 Prozent des Feldertrags und 80 Prozent des Stromertrags sind möglich. Zusammen lässt sich also die Produktivität der Fläche auf 160 Prozent steigern. Bestimmte Kulturen profitieren sogar von der Verschattung, etwa Sellerie, Winterweizen und Kartoffeln. Und auch im Obst- und Weinbau, bei Spargel, Hopfen und Bärlauch versprechen sich Experten eher Vor- als Nachteile. Denn dort müssen die Bauern und Winzer ohnehin immer häufiger Folientunnel oder Hagelnetze einsetzen, um ihre Kulturen vor den zunehmenden Wetterkapriolen zu schützen. „Wir führen zurzeit Versuche auf Apfelplantagen durch, um zu sehen, wie groß diese Synergieeffekte sein können“, sagt Andreas Steinhüser, APV-Projektmanager beim ISE. Der Grad der Beschattung etwa lässt sich durch entsprechende Konstruktion der Anlage an die jeweilige Kultur und die Umstände der Anbaufläche anpassen.

Nachteile der APV sind die deutlich höheren Baukosten: Die Unterkonstruktion kostet rund 400 statt 70 Euro pro Kilowatt. Außerdem verliert ein Bauer zurzeit noch seine EU-Subventionen, wenn er sein Feld mit Photovoltaik überspannt, weil die Fläche dann rechtlich als versiegelt gilt. „Das gehört dringend neu geregelt“, sagt Steinhüser. Mieritz, Arnold und von Haaren sind sich darin einig, dass man zunächst tunlichst andere Flächen für die Photovoltaik nutzen sollte, bevor man zur Agriphotovoltaik greift. Dem schließt sich ISE-Experte Andreas Steinhüser prinzipiell an. Aber er hält es „leider für fraglich“, ob die besser geeigneten Flächen tatsächlich alle genutzt werden können.

(jsc)