Kommentar: Wenn „technologieneutral“, dann richtig

„Technologieneutralität" scheint sich zu einem Kampfbegriff zu entwickeln.

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(Bild: RUKSUTAKARN studio / Shutterstock.com)

Lesezeit: 2 Min.

„Technologieneutral“ klingt ja erstmal ganz gut. Wer könnte etwas dagegen haben, dass Politik alle Technologien gleich behandelt, auf dass die besseren sich durchsetzen mögen?

Mit diesem Argument versuchen Frankreich und einige osteuropäische Länder laut einem Spiegel-Bericht gerade, Kernkraft als Teil der EU-Klimapolitik zu etablieren.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Im Prinzip fände ich Technologieneutralität eine gute Sache. Dann sollte die EU das Wort „Neutralität“ aber auch ernst nehmen. Das bedeutet erstens: Sorgfältig einen Maßstab dafür entwickeln, was man wirklich erreichen will und was nicht. Das erfordert zweitens, auch Nebenwirkungen und Kollateralschäden einzubeziehen. Erst wenn dies geschehen ist, kann man, drittens, an einem „Level playing field“ arbeiten, auf dem alle Technologien fair und neutral gegeneinander antreten können.

Es geht ja schließlich nie allein um CO2-Emissionen, sondern um Emissionen generell. Dazu gehören auch radioaktive Abfälle. Wieviel Gramm strahlendes Material man nun für die Einsparung von wieviel Tonnen CO2 in Kauf zu nehmen bereit ist, das lässt sich quantitativ natürlich nicht sagen. Wer wollte einen entsprechenden Umrechnungsfaktor festlegen?

Auch die Risiken sind kaum vergleichbar. Was ist höher zu gewichten: Eine desaströse, aber lokal begrenzte Verwüstung mit einer relativ geringen Eintretenswahrscheinlichkeit (Atom-GAU), oder eine praktisch unausweichliche, flächendeckende, aber weniger gravierende Störung von Lebensräumen (Erderwärmung)? Schwere Frage. Kommt wohl darauf an, wo man wohnt.

So zynisch diese Wahl zwischen Pest und Cholera auch klingen mag: Die EU muss sich ihr stellen, sie diskutieren, sie zumindest tendenziell entscheiden, und ihre Förderpolitik daran ausrichten. Das gilt natürlich auch für Wasserstoff. Sollte es sich erweisen, dass Wasserstoff unter einer seriösen Einbeziehung aller Vorketten für Produktion, Transport, Lagerung und so weiter irgendein konkretes Problem wirklich besser löst als jede andere Technologie, wäre ich sofort der größte Fan davon. Aber solange sich die Politik nur die Aspekte herauspickt, die sie für Rosinen hält, kann von Technologieneutralität nicht die Rede sein.

(grh)