Immuntherapie: Armee der Mutanten

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CRISPR soll nun den entscheidenden Schritt nach vorn bringen. June will den T-Zellen seiner Patienten nicht mehr nur das künstliche CAR-Protein verpassen, sonderen mithilfe der Genschere zusätzlich zwei Gene aus ihrer DNA herausschneiden. Eines davon – das gleiche, das die chinesischen Forscher ausschalten – ist für ein sogenanntes Checkpoint-Protein verantwortlich, das andere für ein allgemeines Oberflächenmerkmal der T-Zellen. "Damit lösen wir gewissermaßen die Bremsen eines blockierten Immunsystems", beschreibt June die Strategie. "Unsere Laborversuche zeigen, dass wir die CAR-T-Zellen auf diese Weise noch leistungsfähiger machen können."

Während also die chinesischen Wissenschaftler lediglich ein einziges Gen lahmlegen, setzt Junes Gentherapie an nicht weniger als drei Zielpunkten an und ist damit deutlich anspruchsvoller. Wenn die klinischen Studien gut verlaufen, möchte June diese erweiterte CAR-Therapie möglichst bald auch bei weiteren Tumorarten wie Bauchspeicheldrüsenkrebs oder Hirntumoren und damit bei deutlich mehr Patienten einsetzen.

Noch müssen allerdings die Aufsichtsbehörden – allen voran die US-Arzneimittelbehörde FDA – das Projekt genehmigen. Dort ist man extrem vorsichtig, schließlich handelt es sich um vollkommen neue Formen der Gentherapie. Schon die CAR-Therapie an sich ist eine riskante Sache: Bei manchen Patienten werden durch einen sogenannten Zytokinsturm innerhalb weniger Tage gleich pfundweise Leukämiezellen vernichtet, was heftiges Fieber und Organversagen bis hin zum Tod auslösen kann. Diese heikle Behandlung wollen die Krebsforscher nun obendrein mit einer weiteren Immuntherapie und einer am Menschen noch nicht erprobten gentechnischen Methode kombinieren. Kein Wunder also, dass die Kontrolleure genau hinschauen. Trotzdem hat sich das Recombinant DNA Advisory Committee der US Institutes of Health, ein wichtiges Gremium für Fragen von Biosicherheit und Ethik, bereits fast einstimmig hinter das Vorhaben gestellt.

Mittels CRISPR verbesserte Therapien sind jedoch nicht der einzige Ansatz, der 2016 große Hoffnungen geweckt hat. Im Juni wurde bekannt, dass Wissenschaftler des Mainzer Unternehmens BioNTech zusammen mit anderen Forschergruppen eine hochpotente therapeutische Krebsimpfung auf RNA-Basis entwickelt haben, eine sogenannte Neoepitop-Impfung. Das neue Verfahren, bei dem auch Nanopartikel verwendet werden, könne bei nahezu allen Arten von Tumoren eine hochwirksame Immunantwort gegen Krebs auslösen, wie die Krebsforscher um Ugur Sahin von der Universität Mainz im Fachmagazin Nature schrieben. Der Krebsimpfstoff gibt dem Immunsystem dabei exakte Informationen zu den Oberflächenstrukturen der Tumorzellen, wodurch die körpereigene Abwehr gegen sie mobilisiert wird. Besonders faszinierend: Jeder Patient bekommt seinen eigenen Impfstoff, der nur für ihn hergestellt wird – eine personalisierte, maßgeschneiderte Therapie.

Wie Sahin zu bedenken gibt, befindet sich diese neuartige Krebs-Immuntherapie in einem sehr frühen Stadium. Erst drei Menschen seien damit behandelt worden, ausnahmslos Melanompatienten. Trotzdem sieht er Anlass zur Hoffnung: "Die ersten Daten zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind und optimistisch sein dürfen." Ähnlich sieht man das offenbar bei Genentech: Nach der Erfolgsmeldung vereinbarte das Tochterunternehmen des Schweizer Pharmakonzerns Roche im Herbst eine strategische Partnerschaft mit BioNTech. Wenn alle Meilensteine erreicht werden, kann sich das Spin-off der Universität Mainz über Zahlungen von 310 Millionen Dollar freuen.

Noch vor wenigen Jahren hätten Immunologen und Mediziner kaum zu träumen gewagt, dass Krebs-Immuntherapien einmal so erfolgreich sein würden. Allmählich aber scheint sich die jahrzehntelange Grundlagenforschung an mehreren Fronten auszuzahlen. Natürlich ist Krebs, eine der häufigsten Todesursachen weltweit, deren Bedeutung obendrein weiter zunimmt, längst nicht besiegt. Doch 2016 ist die Medizin diesem Ziel ein ansehnliches Stück näher gekommen. (jle)