Liebeserklärung an die flüchtige Welt der Online-Spiele

Der neue Roman von Matt Ruff, "88 Namen", frönt der Gaming-Leidenschaft und nimmt sich dennoch nicht zu ernst.

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(Bild: Lenscap Photography/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

John Chu ist Sherpa. Nicht im echten Leben, sondern in Online-Spielen – und im neuen Buch von Matt Ruff. Chu und seine Leute unterstützen solvente Gelegenheitsspieler, die sich in sogenannten "Massive Multiplayer Games" vergnügen wollen, ohne vorher Tage, Wochen und Monate mit dem "Hochleveln" ihrer Spielfiguren verbringen zu müssen.

Chu und seine Crew sind spezialisiert auf "Call to Wizardry" – ein Fantasy-Spiel. Es ähnelt World of Warcraft, nur, dass sich die VR-Technologie der nahen Zukunft noch ein ganzes Stück weiterentwickelt hat. Dass diese Art von Geschäften eigentlich illegal ist, stört weder die Sherpas, noch ihre Kunden. Man darf sich eben nicht erwischen lassen. Und für den Fall der Fälle hat man noch weitere Online-Identitäten in petto – 88 Namen eben.

Doch für John Chu und seine Kollegen läuft es in letzter Zeit gar nicht gut. Immer öfter werden er und seine Leute von der Security erwischt, oder von betrügerischen Kunden abgezockt. Das Glück scheint sich zu wenden, als ein anonymer, leicht paranoider aber äußerst gut zahlender Kunde eine Tour durch sämtliche stilbildenden Online-Spiele der Gegenwart bucht. Ganz wohl ist John dabei nicht, denn er vermutet hinter "Mr. Jones" einen privilegierten Nordkoreaner. Als ein weiterer anonymer – aber offenbar äußerst mächtiger – Kunde die Crew zwingen will, Jones auszuspionieren, wird ihnen allmählich klar, dass das Spiel die virtuelle Welt verlassen hat.

Soweit wenig überraschend. Was dieses Buch allerdings von ähnlichen Thrillern unterscheidet, ist die beinahe liebevolle Detailversessenheit, mit der Ruff die virtuellen Welten beschreibt. Einen kompletten Abschnitt, der in einem textbasierten Multi-User-Abenteuer spielt, hat Ruff genau in diesem Stil – Beschreibung und User-Aktion – geschrieben: "Du stehst auf einer grasbewachsenen Lichtung am Rande einer Stadt im Mittleren Westen. Die ersten Glühwürmchen tanzen in der Abenddämmerung. Ein Weg führt ostwärts durch einen lichten Wald. Hinter den Bäumen siehst du den Schein mehrerer Lampen und hörst die Klänge einer Dampforgel. Auf der Lichtung liegen bedruckte Handzettel aus grellem Papier herum. – > HANDZETTEL NEHMEN – Du hebst einen der Handzettel auf." Entzückend!

Was mir allerdings ein bisschen gefehlt hat, weil ich es an den früheren Büchern von Ruff so geliebt habe, ist das Verfremdete – Szenen, in denen er die Realität plötzlich ganz leicht verschiebt. Für einen Ruff ist 88 Namen ungewöhnlich sauber, glatt und eindeutig – so, als würde er den Thriller-Autor nur spielen, wie eine weitere Rolle. Und vielleicht ist das ja so. "Der Beruf des Autors scheint sogar noch unnützer als der des Game-Designers", schreibt Ruff im Nachwort. "Ich bin den Menschen zu Dank verpflichtet, die es mir ermöglichen, so mein Geld zu verdienen."

(bsc)