Local Motors: Auto aus regionalem Anbau

53.000 Freiwillige arbeiten für Local Motors. Bisher bauten sie Autos, Motorräder und Drohnen. Nun stellte das US-Start-up in Berlin einen autonomen Bus vor. Ist das die Autoindustrie der Zukunft?

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Von
  • Denis Dilba

Olli bündelt die Trends eines ganzen Jahrzehnts: E-Antrieb, autonomes Fahren, 3D-Druck, Apps, Communities, künstliche Intelligenz, Cloud Computing. Fahrgäste können den zwölfsitzigen Kleinbus per App bestellen und bezahlen. Unterwegs soll er Fragen à la "Wie weit ist es noch?" oder "Wo gibt es ein gutes Café?" beantworten.

Die ersten Runden auf deutschem Boden hat Olli bereits hinter sich, auf einem fünf Hektar großen Campus beim Gasometer in Berlin-Schöneberg. Seit Anfang August ist er wieder in der Werkstatt, für kleinere Einstellungen am autonomen Fahrsystem. Bald soll er aber weiter Fahrgäste transportieren.

Als der Hersteller Local Motors vor acht Jahren mit dem ersten Projekt begann, hielten es nicht wenige für einen Witz: ein aggressiv gestylter Wüstenbuggy namens "Rally Fighter" mit konventionellem V8-Motor. Local Motors zeigte damals nicht die hohe Kunst des Autobaus, dafür aber etwas deutlich Revolutionäreres: Konstruiert hatte den Buggy im Wesentlichen eine Online-Community aus Freiwilligen. So brauchte die Entwicklung nur 18 Monate und 3,6 Millionen Dollar. VW, BMW, Daimler und Co brauchen für so etwas vier bis fünf Jahre und eine halbe bis eine Milliarde Euro.

Local-Motors-Chef Jay Rogers baute die Wagen auf Bestellung mit einer Handvoll Mitstreitern in "Microfactories" aus Wellblech zusammen. Wer wollte, konnte und sollte mithelfen. Heute arbeitet Local Motors im Prinzip immer noch so, nur mit den neuesten 3D-Druckern und einer auf 53000 Mitglieder gewachsenen Freiwilligen-Armada aus Ingenieuren, Forschern, Designern und Fans.

Auch die Produktpalette hat sich weiterentwickelt. Neben dem Rally Fighter entstehen gerade Elektromotorräder, E-Bikes oder Transportdrohnen. Letztere gingen aus der "Airbus Cargo Drone Challenge" hervor. Aufgabe war es, ein Fluggerät für drei bis fünf Kilogramm Nutzlast zu entwickeln. Ende Oktober soll es in Las Vegas präsentiert werden. Der Anteil an 3D-gedruckten Bauteilen steigt stetig. Auch hier leistete Local Motors Pionierarbeit. 2014 stellt es den "Strati" vor – "das weltweit erste Elektroauto aus dem 3D-Drucker", wie Rogers betont. Den XXL-Drucker für die rund 40 Strati-Bauteile entwickelte Local Motors zusammen mit dem Maschinenbauer Cincinnati Incorporated und dem Oak Ridge National Laboratory. Er steht in der Local-Motors-Zentrale in Phoenix und ist etwa so groß wie eine Garage. Auch bei Olli stammen Kotflügel, Radkästen und Teile der Inneneinrichtung direkt aus dem Drucker oder aus 3D-gedruckten Spritzgussformen. Den Rest, Motor, Reifen oder Fenster, kauft Local Motors zu.

Mit jedem weiteren Projekt hat sich Local Motors mehr Respekt erarbeitet. "Der Ton und die Art, wie mit uns umgegangen wird, hat sich über die Zeit verändert", sagt Damien Declercq, der die Europapräsenz in Berlin leitet. Er erinnert sich noch gut an "jemanden aus dem Marketing eines großen Fahrzeugherstellers", der ihn beim ersten Treffen mit den Worten begrüßte: "Wir werden niemals kooperieren, wir machen alles selbst." Drei Jahre später habe dieselbe Person wegen einer möglichen Zusammenarbeit angerufen.

Seit April unterstützt Siemens die Community mit professioneller CAD-Software. Und Olli wurde zusammen mit IBM präsentiert. Im Shuttle arbeitet eine für Fahrzeuge angepasste Version von IBMs künstlicher Cloud-Intelligenz "Watson". Sie soll beispielsweise lernen, was Fahrgäste meinen, wenn sie sagen: "Bring mich in die Innenstadt." Auf den normalen Straßenverkehr wird Olli allerdings noch nicht losgelassen. Sein Revier umfasst momentan öffentliche Areale, die wie der Campus in Schöneberg klar vom Geschehen auf den Straßen getrennt sind. Ende des Jahres soll Olli auch auf dem Campus der University of Nevada in Las Vegas und in National Harbor im US-Bundesstaat Maryland fahren. Wo genau, das ist laut Local Motors noch nicht spruchreif.

In National Harbor soll auch die erste Mikrofabrik neben Phoenix entstehen. Weitere Standorte in Knoxville und Berlin werden in Kürze folgen, so Declercq. Sie sind Fabrik, Labor, Shop und Werkstatt in einem. Als physische Treffpunkte sollen sie der virtuellen Entwicklergemeinde helfen, schnell vom Konzept zum Produkt zu kommen. Die Produktionskapazitäten in Berlin werden zunächst jedoch deutlich geringer sein als in den anderen Microfactories. Local Motors spricht daher auch nur von einem Lab. Hier sollen die ersten Olli-Einheiten für Berlin gebaut werden.

Wo genau, verriet das Unternehmen zu Redaktionsschluss noch nicht. Die Verträge seien aber unterschriftsreif. Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen findet den Ansatz zwar für Kleinserien und Prototypen interessant, ist für die Massenproduktion aber skeptisch: "Qualitätsansprüche und Sicherheitsvorschriften sind in der Großserie extrem hoch. 3D-Druck ist da noch nicht so weit." Rainer Mathes, Chef des Medienanalysten Prime Research, warnt allerdings davor, Local Motors zu unterschätzen: "Die digitale Revolution erhöht die Zutrittschancen für neue, innovative Player. Die Branche tut gut daran, diese Player ernst zu nehmen." (bsc)