Long Covid: Das dicke Ende kommt noch

Seite 2: Viele Ärzte noch nicht ausreichend aufgeklärt

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Gerade solche mit leichten Covid-Verläufen wie Britt bereiten ihr allerdings am meisten Sorgen. Frommhold nennt sie die „Krank-Genesenen“. „Bei ihnen stehen neben der Leistungsminderung und Fatigue-Symptomatik auch kognitive Einschränkungen wie Wortbildungsstörungen bis hin zu demenziellen Verläufen im Vordergrund“, sagt Frommhold. Manchmal können sie Texte lesen, aber nicht verstehen oder finden nach fünf Tagen das vergessene Brot in der Backmaschine. Hinzu kommen mögliche Autoimmunprobleme mit Symptomen wie Haarausfall und Gelenkschmerzen.

Jördis Frommhold richtete bereits im letzten Frühjahr ihre Long-Covid-Ambulanz ein.

(Bild: Peter Hamel/MEDIAN)

Haus- und Fachärzte aber erkennen die auf den ersten Blick disparaten Symptome nicht immer als Covid-Spätfolgen, so Frommhold. Davon hätten immer noch viele niedergelassene Kollegen nichts gehört und die Betroffenen fallen durch die Maschen der medizinischen Versorgung. Aufklärung durch Fachgesellschaften und dem Gesundheitsministerium laufe oft „sehr schleppend“ und viele Kranke berichten denn auch von wahren Ärzte-Odysseen.

Wenn sie dann wie Britt keinen positiven Coronatest und Antikörper vorweisen können, jünger als die typische Altersgruppe etwa für Lungenprobleme sind oder ungewöhnlich lange mit den Beschwerden kämpfen, tun manche Ärzte wie Chantal Britts Pulmologe die Beschwerden im schlimmsten Fall als eingebildet ab. „Mein Kardiologe hingegen, der damals Sars-CoV-1 hatte und etwas davon mitgenommen war, nimmt mich ernst“, sagt Britt, bei der im Juli 2020 eine Perimyokarditis diagnostiziert wurde, also eine gleichzeitige Herzmuskel- und Herzbeutelentzündung. Ihre Tochter erhielt dieselbe Diagnose.

Frommhold wünscht sich für Ärzte wie Patienten eine Aufklärungsaktion vom Kaliber der HIV-Kampagnen. So wie damals kommuniziert wurde, dass man sich nicht per Händeschütteln anstecken kann, müsste diesmal, „ohne Panik zu schüren“, klargemacht werden, dass die Genesenen-Zahlen nur die halbe Wahrheit enthalten.

Was aber hilft gegen Long Covid? Bisher nicht viel. Menschen mit schwerem Covid-Verlauf, die beatmet werden mussten, profitieren nach ihrer Entlassung von medizinischen Reha-Übungen wie dem Atem- und Koordinationstraining der Heiligendammer Klinik. Die Übungen sollen die durch künstliche Beatmung verkümmerte Atemmuskulatur langsam wieder aufbauen und die wegen Atembeschwerden angenommene Schonatmung abtrainieren helfen. Darüber hinaus bessern sich dadurch – und auch durch andere Physiotherapien – einige Leistungsminderungen, Gedächtnisstörungen und Empfindungsstörungen, die Mediziner als Folge langer Intensivstation-Aufenthalte kennen.

In Großbritannien adaptierte Gesangstrainerin Suzi Zumpe, die sonst mit jungen Opernsängern arbeitet, ihre Übungen zur Atemkontrolle und Körperhaltung für Long-Covid-Patienten. Sie hat zusammen mit der English National Opera (E.N.O.) und einem Londoner Krankenhaus einen sechswöchigen E.N.O. Breathe-Kurs entwickelt. Der läuft über Zoom. Beide Programme helfen nicht nur physisch, sondern auch mental, berichten Patienten.

Opernsänger-Trainerin Suzi Zumpe (o. li.) stellt ihre Erfahrung in den Dienst von Long-Covid-Patienten und leitet sie bei Atemübungen an.

(Bild: ENO Breathe, courtesy of English National Opera and Imperial College Healthcare NHS Trust)

Oliver Metzger, der in Heiligendamm zur medizinischen Rehabilitation war, hat vor allem der Austausch mit anderen Long-Covid-Betroffenen geholfen. „Man fragt sich ja schon, wenn zeitversetzt immer neue Symptome auftauchen, ob man sich das jetzt nicht nur einbildet. Ich habe nun gesehen, ich bin damit nicht allein“, sagt der 57-jährige Polizeischul-Ausbilder. Es ginge ganz langsam aufwärts – er könne stundenweise unterrichten, 20 Minuten auf dem Ergometer fahren und auch seiner Passion Singen besser nachgehen – allerdings sei er durch die Erkrankung „um 15 Jahre gealtert“.

Oliver Metzger fühlt sich noch nicht wieder fit genug für Ausdauer-Aktivitäten wie Schneetouren.

(Bild: privat)

Menschen, die Long Covid nach einem milden Verlauf entwickeln und nicht auf diese Reha-Angebote zurückgreifen können, haben es schwerer. Bei ihnen sind die Spätfolgen oft viel hartnäckiger. Zu den ärgerlichen Eigenschaften von Long Covid gehört nämlich, dass es nicht immer gut messbare Spuren hinterlässt. Bisher zumindest. Inzwischen sind weltweit Untersuchungen angelaufen, um die komplexen organischen Ursachen aufzuklären und mögliche Therapien zu entwickeln.