Long Covid: Das dicke Ende kommt noch

Seite 3: Entzündungsreaktion, Sauerstoffmangel, Antikörper?

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Dafür registriert zum Beispiel die seit vergangenem Juli laufende europäische LEOSS-Studie (Lean European Open Survey on Sars-CoV 2 infected patients) Symptome, Krankheitsverläufe und Befunde. Für die neurologischen Probleme wie Konzentrations-, Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen, Riech- und Geschmacksausfälle, Muskelschmerzen und die Fatigue, ist dabei die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) zuständig.

„Es ist wichtig, diese Symptome im Langzeitverlauf mit MRT-Aufnahmen vom Gehirn sowie Laboruntersuchungen des Blutes und des Nervenwassers (Liquor) zu verbinden“, sagt DGN-Generalsekretär Peter Berlit, der als niedergelassener Neurologe in Essen arbeitet. „Was wir bereits anhand von MRT-Untersuchungen wissen, ist, dass es in einigen Fällen etwa zu Hirnschädigungen kommen kann“, sagt Berlit. Diese entstehen „zum Teil durch Sauerstoffmangel bei schwerer Lungenschädigung oder auch durch immunologisch getriggerte Entzündungsreaktionen."

Der Neurologe Peter Berlit plädiert für eine Überwachung des Immun- und Gerinnungsstatus in der Akutphase, um Langzeitschäden zu vermeiden.

(Bild: DGN)

Autoantikörper könnten auch neurologische Langzeitprobleme wie Fatigue und Gedächtnisstörungen mitverursachen, Immunexzesse auch die Blutgerinnungsneigung und damit die Schlaganfallgefahr erhöhen. Deshalb plädiert Berlit für eine engmaschige Überwachung des Immun- und Gerinnungsstatus in der Akutphase, um Langzeitschäden zu vermeiden.

Erste Studien untersuchen nun, welche Medikamente gegen Long-Covid-Symptome helfen könnten. Dazu gehören hemmende Antikörper gegen Entzündungsfaktoren und antiviral wirkende Mittel aus der Demenz- und Parkinsonbehandlung. Berlit würde gerne auch Medikamente für Long Covid getestet sehen, die bei Multipler Sklerose helfen. Auch bei dieser Autoimmunerkrankung, bei der immer wieder auch virale Infekte als Auslöser diskutiert werden, ist die Fatigue ein prominentes Begleitsymptom.

Vor allem scheint sich der Blick auf andere virale Krankheiten zu lohnen: Fatigue und demenzähnliche Zustände wurden zum Beispiel auch nach HIV, Ebola und schon nach der Spanischen Grippe beobachtet, sagt Jördis Frommhold. Das Phänomen heißt sogar postvirales Syndrom. Und virale Infekte mit Hepatitis C-, Eppstein Barr- oder auch Sars-CoV-1-Infektionen stehen schon länger im Verdacht, das sehr ähnliche Chronic Fatigue Syndrome (CFS) auszulösen, das auch Myalgische Enzephalomyelitis (ME) genannt wird. Es quält die Betroffenen mit dauerhaften Beschwerden wie Herzrasen, Blutdruckschwankungen, einem ständigen Krankheitsgefühl, erhöhter Infektanfälligkeit sowie Muskel- und Gelenkschmerzen und Krämpfe. Hinzu kommen neurologische Beschwerden, Autoimmunprobleme und chronische Entzündungsprozesse bis hin zu einem permanent angeschalteten sympathischen Nervensystem im ständigen „Kampf-oder-Flucht“-Modus.

Die Ähnlichkeiten zwischen CFS und Long Covid legen nahe, dass auch Long Covid eine sogenannte syndromale Erkrankung ist: Sie hat verschiedene Ursachen, die aber letztlich alle zum gleichen Problemkreis führen, sagt der Neuropathologe Frank Heppner von der Charité. Seine Forschungsgruppe hat sich auf die Fersen des Sars-CoV-2-Virus geheftet, um bei 33 an Covid-19 verstorbenen Patienten herauszufinden, ob und wie es möglicherweise ins Gehirn gelangt und dort Probleme verursacht.

Die Berliner fanden zum einen Viren in Blutgefäßzellen des Gehirns und vermuten, dass sie von dort aus möglicherweise jene überschießende Immunreaktion im Gehirn auslösen, die einige der neurologischen Langzeitprobleme „dieses wolkige, relativ unspezifische Spektrum mit Abgeschlagenheit, Schlappheit und Schwindel“ erklären könnten, so Heppner.

Zum anderen dringt der Erreger über den Riechnerv bis ins Riechzentrum im Gehirn vor, wie Heppners Gruppe im November im Fachjournal Nature Neuroscience schrieb. Das sei weniger eine gezielte Kolonisierung, als vermutlich ein Fall von „Gelegenheit macht Diebe“, so der Mediziner. „Wir konnten das Virus unter anderem elektronenmikroskopisch in der Riechschleimhaut und bei einem substanziellen Anteil der Patienten auch in weiteren Stationen des Riechnervs nachweisen.“

Er ist überzeugt, dass die frühen neurologischen Probleme, also der frühe Verlust der Riech- und Geschmackssensation vermutlich direkt auf den Virusbefall zurückzuführen ist, wenn eine bestimmte Anzahl von Nervenzellen betroffen ist. Bei Patienten, deren Sinne auch nach mehreren Monaten nicht wiederkehren, sind die Nervenzellen möglicherweise unwiederbringlich geschädigt, lautet seine Hypothese.

Wie lange Long Covid tatsächlich andauert und wie die Prognose für die Betroffenen aussieht, ist ungewiss. Parallelen zum Chronic Fatigue Syndrome und die handfesten Organschäden lassen im schlimmsten Fall Jahre befürchten. In manchen Fällen gehen die Probleme womöglich nie wieder weg. Das Gesundheitssystem und die Politik werden sich also darauf einstellen müssen – etwa mit der Einrichtung von Anlaufstellen wie die inzwischen an vielen Universitäts- und Fachkliniken entstehenden Long-Covid-Ambulanzen.

Karl Baumann sieht da noch mehr Handlungsbedarf und hat eine Selbsthilfegruppe in Wenzenbach bei Regensburg gegründet. Sie ist eine der ersten in Deutschland und versucht sowohl Betroffene zu unterstützen als auch etwa beim Bundestag, Ministerien und Arbeitgeberverbänden für die Patienteninteressen zu kämpfen. „Da geht es um den Aufbau von Nachsorgezentren, die Schulung von Hausärzten und Arbeitgebern, sowie finanzielle Unterstützung, wenn jemand nach der Krankschreibung nicht wieder zu 100 Prozent arbeiten kann“, sagt der selbstständige Konstruktionsfachmann. Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek habe bereits Unterstützung für die Umsetzung signalisiert.

Karl Baumann hat eine Selbsthilfegruppe für Long-Covid-Patienten ins Leben gerufen.

(Bild: privat)

Baumann und seine Frau erkrankten ebenfalls zu Beginn der Pandemie und leiden immer noch an Long Covid. Sie nach einem relativ milden Verlauf, er dagegen nach einem schweren Verlauf mit beinahe tödlichem Ausgang, bei dem sich seine Familie schon von ihm verabschiedet hatte. Nach künstlichem Koma mit extrakorporaler Sauerstoffanreicherung seines Blutes (ECMO) sowie einem Schlaganfall besserte sich sein Zustand unerwartet. Auch deshalb holte er für seine Selbsthilfegruppe einen Psychologen mit an Bord. Er begleitet die Videositzungen und hilft den Teilnehmenden bei der Stress- und Traumabewältigung.

Auch Chantal Britt gründete eine Selbsthilfegruppe und musste lernen, ihre Kräfte wie bei einem Marathonlauf einzuteilen. Dieses „Pacing“ sei bei Vollzeitarbeit und drei Kindern allerdings nicht einfach. Sport und Freizeit seien vorerst nicht mehr drin. „Ich habe mir gesagt, dass ich mich auf die neue Normalität einstellen muss. Wenn mein Herz rast oder unregelmäßig schlägt, habe ich nicht mehr Angst, einen Herzinfarkt zu erleiden oder zu sterben. Ich mache was ich kann, fokussiere auf das Wichtigste, und wenn etwas liegen bleibt, dann ist es so.“

(bsc)