Lovelace, Hopper, Hamilton & Co.: Wie kluge Frauen die Tech-Welt beeinfluss(t)en

Die IT ist eine Männerdomäne, zu der von Anbeginn auch Frauen wichtige Beiträge geleistet haben. Wir holen einige Beispiele aus dem Schatten ins Rampenlicht.

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(Bild: GoldPanter / Shutterstock.com)

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Von
  • Martin Loschwitz
Inhaltsverzeichnis

Den meisten Menschen, die sich regelmäßig mit IT-Themen befassen, werden aus dem Stegreif einige Namen berühmter Erfinder aus dem Technik-Bereich einfallen. Etwa jener von Dennis Ritchie, der zusammen mit Brian W. Kernighan und Ken Thompson die nach wie vor omnipräsente Programmiersprache C entwickelte. Oder der von Konrad Zuse, der mit seinen Rechenmaschinen Pionierarbeit für die moderne Computerwelt leistete.

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Weit weniger verbreitet ist das Wissen um berühmte Forscherinnen und Erfinderinnen der Geschichte. Und dies trotz der Tatsache, dass der Entwicklungsstand der heutigen IT ohne sie ebenso undenkbar wäre wie ohne das Zutun ihrer männlichen Kollegen. Anlässlich des Weltfrauentags am 8. März erinnern wir an besondere Leistungen von Entwicklerinnen und Erfinderinnen, die IT-Geschichte geschrieben haben.

Eine der ersten Frauen, die Einfluss auf den Verlauf der IT-Geschichte nahm, war Ada Lovelace. Im Dezember 1815 als Augusta Ada Byron geboren, entpuppte sie sich früh als naturwissenschaftliches Multitalent. Dass sich die Ausbildung der Countess of Lovelace, zu der sie später durch ihre Hochzeit wurde, von vornherein stark auf naturwissenschaftliche statt auf die damals für Frauen üblichen Unterrichtsfächer konzentrierte, verdankte sie ihrer Mutter. Die wollte einerseits ihr eigenes Interesse für diesen Themenbereich an die Tochter weitergeben und diese wohl auch gleichzeitig vom künstlerischen und in ihren Augen negativen Einfluss des Vaters fernhalten. Bei diesem handelte es sich um den ebenso berühmten wie für seine Ausschweifungen berüchtigten Dichter Lord Byron.

Ada Lovelace befasste sich begeistert mit Themenbereichen, die vielen ihrer Zeitgenossinnen verschlossen blieben.

(Bild: Wikimedia Commons / Science Museum / CC BY-SA 4.0)

Die Frage, wie Menschen eines Tages fliegen könnten, interessierte die junge Ada Lovelace ebenso sehr wie die Funktionsweise des menschlichen Gehirns, das sie mathematisch zu beschreiben versuchte. Durch ihre Bekanntschaft mit dem Mathematiker Charles Babbage kam sie in Kontakt mit der "Analytical Machine", die Babbage als erste, wenn auch letztlich nie fertiggestellte Rechenmaschine der Welt konzipiert hatte.

Mit großem Interesse verfolgte Lovelace auch die Arbeit Luigi Federico Menabreas, der einen Aufsatz über die "Analytical Machine" verfasste. Diesen Aufsatz übersetzte Lovelace ins Englische und reicherte ihn mit eigenen Kommentaren und Notizen an. Als sie mit ihrem Werk zufrieden war, nahmen die Notizen fast doppelt so viel Raum ein wie Menabreas ursprüngliches Skript. Enthalten war unter anderem auch ein schriftlicher Plan zur Berechnung der Bernoulli-Zahlen mittels der "Analytical Machine", der heute vielen Wissenschaftlern als erster veröffentlichter Programmcode der Welt gilt.

Ada Lovelaces Werk hat viele spätere IT-Erfindungen direkt und indirekt beeinflusst, so dass sie zurecht als Vorreiterin der Branche gilt. Jean Ichbiah stellte 1980 seine nach ihr benannte Programmiersprache "Ada" vor. Auch wurden in den vergangenen Jahrzehnten Initiativen, Veranstaltungen und Auszeichnungen nach ihr benannt, deren Anliegen es ist, die Beteiligung und Leistungen von Frauen im MINT-Bereich zu fördern und zu würdigen.

Knappe 100 Jahre nach Ada Lovelace erblickte in Wien Hedwig Eva Maria Kiesler 1914 als Kind jüdischer Eltern das Licht der Welt. Heute ist sie vor allem unter ihrem späteren Künstlernamen Hedy Lamarr bekannt. Ihre Leidenschaft galt der Schauspielerei, und als sie nach kurzer, unglücklicher Ehe mit dem Waffenfabrikanten Fritz Mandl 1937 erst nach Frankreich und später nach London ging, war sie bereits eine gefeierte Mimin. Später avancierte sie zum Hollywood-Star.

Zusätzlich zu ihrem Hauptberuf interessierte sich Lamar allerdings zeitlebens auch für Technik. 1940 wurde diese für sie zumindest für eine Weile gar zum Beruf: Sie entwickelte zusammen mit dem Komponisten George Antheil ein System, mit dem sich bis zu 16 selbstspielende Klaviere und ein Film per Fernsteuerung untereinander synchronisieren ließen. Dieses Prinzip baute sie vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges kurze Zeit später für die US Navy und die Alliierten aus. Sie erfand so eine Fernsteuerung für Torpedos, die resilient gegen Angreifer sein sollte, welche die Flugbahn aus der Ferne zu manipulieren versuchten. Lamarrs patentiertes Konzept fußt dabei auf dem Prinzip des Frequenzsprungverfahrens. In diesem wechseln Sender wie Empfänger auf Basis zuvor definierter Regeln während des Betriebes die Frequenzen, so dass es für Angreifer schwieriger wird, die Kommunikation gezielt zu stören.

Moderne Funktechnologien wie WLAN oder Bluetooth wären ohne das Frequenzsprungverfahren völlig undenkbar. Wohl auch deshalb gilt Lamarr heute manchem als "Lady WiFi" oder "Lady Bluetooth". Diese Sichtweise ist allerdings stark vereinfacht. Denn das Verfahren geht nicht auf Lamarr zurück, sondern existierte bereits, als sie mit ihrer Tüftelei begann. Zudem betrachtete die Navy Lamarrs Konzept nur als mäßig ausgereift und in Teilen noch sehr vage. Das erklärt, wieso die US Navy Lamarrs Erfindung nicht im Zweiten Weltkrieg, sondern erst Jahrzehnte später in überarbeiteter Form zum Einsatz brachte.

Vielseitig talentiert: Hedy Lamarr war Hollywoodstar und Erfinderin.

(Bild: Wikimedia Commons / Public Domain)

Dass die US-Streitkräfte Lamarrs Erfindung dennoch öffentlich zelebrierten, hatte andere, wenn auch nicht weniger relevante Gründe: In der Informationslogik des Krieges war eine österreichische Schauspielerin, die sich aktiv gegen Hitler und die Nazis stellte, in Sachen Propaganda selbstredend Gold wert. Einen Platz in der Liste bedeutender Frauen der Technik-Welt verdient sie damit einerseits für ihre Erfindungen, andererseits aber auch für ihr entschlossenes öffentlichkeitswirksames Auftreten gegen den Nationalsozialismus.

Deutlich unmittelbarer als die Auswirkungen von Hedy Lamarrs Erfindungen waren jene der Arbeit von Elizebeth Friedman, die heute als eine der bedeutendsten Kryptoanalytikerinnen der Geschichte gilt. Die im August 1892 geborene Friedman studierte Anglistik und befasste sich intensiv mit verschiedenen Fremdsprachen. Mit 24 Jahren holte der Kaufmann George Fabyan sie in seine Firma Riverbank, die man heute wohl als "Think Tank" bezeichnen würde. Auf Basis von Fabyans immensem Reichtum konnten sich bei Riverbank Menschen beinahe ohne Zielvorgaben mit Forschungesbereichen beschäftigen, die sie interessierten.

Friedman, die damals noch Smith hieß, erhielt von Fabyan unter anderem den Auftrag, zusammen mit ihrem späteren Ehemann William Friedman nach verschlüsselten Geheimbotschaften in den Werken William Shakespeares zu suchen. Obwohl sie letztlich nicht fündig wurde, machte sich die Arbeit bezahlt: Bald galt Friedman als angesehene Expertin in Sachen Kryptologie und ihr Wissen war heiß begehrt bei fast allen amerikanischen Regierungsbehörden.

Elizebeth Friedman suchte zunächst nach verschlüsselten Botschaften in Shakespeares Werken und entschlüsselte später im zweiten Weltkrieg geheime Nachrichten der Nazis.

(Bild: Wikimedia Commons / Public Domain)

Während der Prohibition war sie aktiv daran beteiligt, für die US-Küstenwache geheime Nachrichten zwischen Schmugglern zu entschlüsseln. Auch während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Friedman für den Staat: Die USA befürchteten, die Nazis könnten sie über Südamerika angreifen und fingen etliche Funksprüche mit potenziellem Bezug zu solchen Plänen ab. Die meisten davon waren verschlüsselt, und Friedman und ihr Team spielten bald eine zentrale Rolle dabei, solche Nachrichten zu dechiffieren. Das gelang allein während des Zweiten Weltkriegs etliche tausende Male, etwa auch bei Nachrichten, die mit der deutschen Chiffriermaschine Enigma verschlüsselt worden waren.

Ihre kryptoanalytische Arbeit beschrieb Friedman einmal mit dem noch heute bekannten Ausspruch: "We don’t make ’em, we break ’em".

Während Friedman erst im Laufe der Zeit über die Sprachwissenschaften zur Kryptoanalyse kam, war die naturwissenschaftliche Laufbahn der 1906 geborenen Grace Hopper schon früh absehbar. Mit einem Prädikatsexamen in Mathe und Physik der Yale University waren ihre Voraussetzungen für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben zumindest so gut, wie sie für eine Frau in der damaligen Zeit eben sein konnten.

Nachdem sie zunächst als Lehrerin gearbeitet hatte, trat Hopper 1944 in den Dienst der Reserve der US Navy ein – eigentlich wollte sie in die "normale" Marine, doch befand man sie dafür als zu alt. Zum Glück, wie man aus heutiger Sicht festhalten muss. Denn bei der Reserve der US Marine musste Hopper nicht unmittelbar ins Gefecht. Sie hatte stattdessen die Gelegenheit, ausgiebig mit dem Mark 1 ("Automatic Sequence Controlled Calculator", kurz ASCC) zu arbeiten, dem ersten funktionierenden elektromechanischen Computer der USA. Sie schrieb für Mark I, mit dem die Marine etwa ballistische Berechnungen durchführte, Programmcode und war zudem an der Entwicklung von dessen direktem Nachfolger Mark II beteiligt, der 1947 fertig wurde.

Eine spätere Anstellung bei Eckert-Mauchly Computer Corporate bot ihr ab 1950 die Gelegenheit, sich an der Entwicklung des UNIVAC I zu beteiligen. Im Rahmen dieser Arbeit kam ihr die Idee, Computer mit Befehlen in englischer Sprache zu füttern, statt die damals übliche binäre Notation zu verwenden. Ihre Vorgesetzten ließen sie zwar abblitzen, dennoch beschäftigte sich Hopper mit ihrer Idee weiter. 1952 veröffentlichte sie nicht nur eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema, sondern stellte gleich auch ein Programm vor, das Code bestehend aus englischer Sprache in Anweisungen für den UNIVAC I umwandeln konnte. Hopper gilt mithin zurecht als Erfinderin des ersten Compilers. 1954 avancierte sie zur Chefin ihrer Abteilung, die kurze Zeit später Code für zwei Programmiersprachen auf Compiler-Basis vorstellte, nämlich MATH-MATIC und FLOW-MATIC.

Flotillenadmiral Grace Hopper stellte ihr Leben in den Dienst der US Navy und legte dort die Grundlage für die Programmiersprache COBOL.

(Bild: Wikimedia Commons / Public Domain)

Hopper selbst eilte ihr Ruf zu diesem Zeitpunkt längst voraus. Da wundert es nicht, dass sie 1959 eine Einladung erhielt, sich als Beraterin am CODASYL-Konsortium zu beteiligen. Auf Basis von Hoppers FLOW-MATIC in Kombination mit Elementen der von IBM entwickelten Sprache COMTRAN sowie FACT von Minneapolis-Honeywell schuf CODASYL einen neuen Standard für eine Programmiersprache. Die neue Sprache modernen Zuschnitts erhielt den Namen "Common Business-Oriented Language", kurz COBOL. Sie ist vor allem im Bereich der Programmierung kaufmännischer Anwendungen noch heute im Einsatz;. Somit erstreckt sich der Einfluss von Grace Hoppers Werk und Ideen tatsächlich bis in die unmittelbare Gegenwart.

Wie umfassend und wichtig Hoppers Fachwissen war, wurde 1967 einmal mehr deutlich: Gerade ein knappes Jahr war ihr der Ruhestand vergönnt, in den sie im Jahr zuvor getreten war, bevor die US-Marine sie angesichts von Computerproblemen zurück in den aktiven Dienst beorderte. Fast 20 weitere Jahre zeichnete "The Amazing Grace", wie ihre Kollegen sie liebevoll nannten, maßgeblich für den Betrieb sowie die Entwicklung von Computern bei der Marine verantwortlich: Sie wusste und verstand schlicht Dinge, die ihren Kollegen und Kolleginnen schleierhaft blieben.

1986 wurde sie mit 80 Jahren hochdekoriert und mit allen militärischen Ehren im Range einer Flotillenadmiralin endgültig in den Ruhestand verabschiedet. US-Präsident Barack Obama zeichnete sie 2016 posthum mit der Presidential Medal of Freedom aus, der höchsten zivilen Auszeichnung der Vereinigten Staaten.

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Kult um ihre Person war Grace Hopper zeitlebens fremd, obgleich sich Horden von Fans um sie scharten, wenn sie in öffentlich in Erscheinung trat. Ein 1986 aufgezeichneter Auftritt Hoppers bei David Lettermann macht deutlich, dass Hopper ihre Arbeit vor allem als Dienst an ihrem Land verstand und mit großem Pragmatismus soldatische Tugenden repräsentierte, so wie es die Menschen in den USA von den Mitgliedern ihrer Streitkräfte erwarten.

Apropos Programmiersprachen: Wie Grace Hopper leistete auch die 1922 in England geborene Kathleen Booth echte Pionierarbeit auf diesem Gebiet. 1950, mit 28 Jahren, promovierte sie in Angewandter Mathematik. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Londoner Birkbeck College war sie ab 1947 maßgeblich an der Entwicklung mehrerer Computer beteiligt. Booths Spezialgebiet war das Programmieren. Ihr größter Verdienst besteht in der Erfindung der ersten Assemblersprache überhaupt, nämlich jener für den ARC (Automatic Relay Calculator) sowie später noch weiterer Assemblersprachen.

Dazu muss man wissen: Während Assemblersprachen heute in der Wahrnehmung vieler nur noch "alter Kram" ist, mit dem sich höchstens Entwicklerinnen auf Kernel-Ebene und Analysten bestehenden Programmcodes beschäftigen müssen, waren sie in den 50er-Jahren eine wichtige Innovation. Denn schon vor den modernen Programmiersprachen, wie beispielsweise Grace Hopper sie mitschuf, boten diese Sprachen die Möglichkeit, einen Computer mit Abfolgen verständlicher Anweisungen statt mit Lochkarten und dem Prinzip von Nullen und Einsen zu füttern.

Dass Booth ihrer Zeit weit voraus war, bewies sie zudem durch ihre Forschung auf dem Gebiet der neuronalen Netze: Sie entwickelte mehrere Programme, die erfolgreich den Prozess simulieren konnten, wie Tiere Muster und Charaktere erkennen.

Während sich Grace Hopper und Kathleen Booth der Entwicklung von Programmiersprachen widmeten, stand man bei der NACA beziehungsweise der NASA, wie die US-Raumfahrtbehörde ab 1958 hieß, vor ganz anderen Herausforderungen. Im Rahmen des Kalten Krieges wetteiferten die USA und die Sowjetunion schließlich darum, wer eine Person aus der eigenen Bevölkerung buchstäblich zuerst auf den Mond schießt.

Das Problem: Leistungsfähige Computer, die in Sekundenbruchteilen die Flugbahn von Objekten im Orbit berechnen konnten, standen schlicht noch nicht zur Verfügung. Deshalb arbeiteten bei der NASA so genannte "menschliche Computer". Sie berechneten anhand vordefinierter Formeln etwa die Flugbahnen von Gegenständen im Orbit – und eine Vielzahl dieser "Human Computers" waren Frauen. Drei von ihnen gelten heute nach dem gleichnamigen Hollywoodfilm von 2016 als "Hidden Figures" der NASA: Mary Jackson, Katherine Johnson und Dorothy Vaughan. Ihre geballte Kompetenz bewahrte sie als People of Color nicht davor, die aus heutiger Sicht unerträglichen Gesetze der Rassentrennung einhalten zu müssen. So mussten sie etwa auf dem NASA-Gelände in Langley von ihren "weißen" Mitarbeitenden getrennte Räumlichkeiten nutzen.

Die "Hidden Figures" der NASA (3 Bilder)

Mary Winston Jackson

Die Ingenieurin Mary Jackson leitetete aeronautische Tests am Langley Research Center der NASA.
(Bild: Wikimedia Commons / Public Domain)

Auch unter diesen widrigen Umständen leisteten die drei Frauen Gewaltiges. Mary Jackson zeichnete verantwortlich, aus Experimenten mit Flugzeugen und in Windtunneln relevante Informationen zu erarbeiten und zu filtern. Etliche Erkenntnisse aus ihrer Arbeit machten die Mercury- und Apollo-Programme der NASA später sicherer und zum Teil überhaupt erst durchführbar.

Ähnliches gilt für Katherine Johnson, deren Berechnungen die Grundlage sowohl für die Mission Mercury-Redstone 3 im Jahre 1961 ebenso erfolgsentscheided waren wie für Mercury-Atlas 6 im folgenden Jahr. US-Astronaut John Glenn stimmte seinem Flug ins All im Rahmen letzterer Mission erst zu, nachdem Johnson die Berechnungen für seinen Flug verifiziert hatte: "Wenn sie sagt, sie sind gut, dann bin ich bereit, zu fliegen", so berichtet es die NASA selbst. Offenbar waren sie gut: Glenn war der erste Amerikaner, dem ein Orbitalflug gelang. Johnson war zudem maßgeblich für die Berechnungen verantwortlich, die es dem Lunar Lander des Apollo-Projektes ermöglichte, sich mit seinem Service-Modul im Orbit des Erdentrabanten zu verbinden. Später war sie auch an der Arbeit am Space Shuttle beteiligt.

Dorothy Vaughan schließlich gilt als eine der frühesten Expertinnen für FORTRAN und hat bei der NASA mehrere Projekte im Hinblick auf Satelliten nicht nur betreut, sondern sogar geleitet. Zudem fungierte sie als einer der wenigen weiblichen "afroamerikanischen Manager" bei der Behörde und ermutigte andere Frauen, an Fortbildungen teilzunehmen.

Ohne die tatkräftige Unterstützung kluger Frauen hätte es mit großer Wahrscheinlichkeit sehr viel länger gedauert, bis der erste Mann den Mond betreten hätte.

Man darf wohl davon ausgehen, dass die drei Frauen im Rahmen ihrer Arbeit bisweilen auch mit Margaret Hamilton kommunizierten. Die 1936 geborene Hamilton steht bei der NASA für jene Generation von Mitarbeitenden, die auf jene der "Human Computers" folgte und bereits Zugriff auf für damalige Verhältnisse absurd potente Hardware hatte.

Dass Hamilton als weiße Frau in der damaligen Zeit im Vergleich zu den "Hidden Figures" deutlich bessere Start- und Karrierevoraussetzungen bei der NASA genossen haben dürfte, sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Dies schmälert ihre Leistungen jedoch keinesfalls: Margaret Hamilton gilt heute als absolute Schlüsselfigur bei der Entwicklung der Software, die in den Bordcomputern der Apollo-Missionen zum Einsatz kam. Manche Quellen sprechen ihr sogar zu, den modernen Begriff des "Software Engineering" beziehungsweise "Software Engineer" als Begriff erfunden zu haben. Verwendet und geprägt hat sie ihn in jedem Fall.

Im Bild neben Hamilton: Ausdrucke der Apollo-Bordsoftware.

(Bild: Wikimedia Commons / Public Domain)

Zeitgenossen erinnerten sich in späteren Interviews vor allem an das große Spektrum an Fähigkeiten, die Hamilton auf sich vereinte. So schrieb sie nicht nur die Software für die Flugcomputer der Raumkapseln des Apollo-Programms, sondern entwickelte auch Prinzipien für das Design von Software, bei der die Resilienz gegen Ausfälle einzelner Komponenten und eine Minimierung der Fehleranfälligkeit im Vordergrund stehen. Viele dieser Prinzipien flossen in die moderne Softwareentwicklung ein und kommen heute unter anderem in der Bordsoftware von Flugzeugen zum Einsatz.

Der Einzug von Computern in heimische Arbeitszimmer und später auch deren Vernetzung über das Word Wide Web bescherte der Informatikbranche neue Chancen und Herausforderungen. Ein frühes Beispiel für eine Frau, die einen wichtigen Beitrag zu deren Bewältigung leistete, ist Karen Spärck Jones – auch deshalb, weil ihr Werk bis heute Einfluss auf den Alltag von Millionen Menschen weltweit hat.

Die 1935 geborene Informatikerin Spärck Jones war nicht nur eine frühe Vertreterin der Computerlinguistik und des Information Retrieval, sondern auch eine besonders profilierte Forscherin im Bereich der automatischen, computergestützten Analyse von Texten. In eben dieses Themengebiet fällt beispielsweise auch eine Veröffentlichung im Rahmen ihrer Arbeit am Darwin College der University of Cambridge aus den 70-er Jahren, die sich mit der "Wiederholung von Worten in großen Textmengen" beschäftigte.

Karen Spärck Jones gilt als eine der ersten Expertinnen in Sachen Computerlinguistik.

(Bild: Wikimedia Commons / University of Cambridge / CC BY 2.5)

Große Aufmerksamkeit wurde der Arbeit 1994, also gut 20 Jahre später, zuteil: Zusammen mit Texten anderer Wissenschaftler wurde sie erneut veröffentlicht und bildete mit ihnen die technische Grundlage von AltaVista, der ersten großen Suchmaschine des World Wide Web. Die ist mittlerweile zwar längst Geschichte – nicht aber Spärck‘ Jones Forschungserfolge, die auch in heutige Suchmaschinen, Spamfilter und Analyseprogramme eingeflossen sind.

Die Informatikerin starb 2007 im Alter von 71 Jahren an Krebs. Mehr über ihre vielfältigen wissenschaftlichen Leistungen, unter anderem auch auf dem Gebiet des so genannten Natural Language Processing (NLP), fasst ein damals anlässlich ihres Todes veröffentlichter heise-online-Artikel zusammen:

Auch in der IT der Gegenwart gibt es immer wieder Frauen, die die IT-Welt durch innovative Ideen und Sichtweisen entscheidend mitgestalten. Ein gutes Beispiel ist Lorena Jaume-Palasí.

Jaume-Palasí ist zwar keine Informatikerin im klassischen Sinne, beschäftigt sich aber intensiv mit den Auswirkungen, die Technik auf die Menschen im Alltag hat. Logisch: Wenn Technik immer weiter in den Alltag vordringt, beeinflusst sie notwendigerweise immer mehr Aspekte der menschlichen Existenz – bis hin zu buchstäblich existenziellen Fragen. Dass autonome Fahrzeuge bald auf den Straßen der Welt zuhauf unterwegs sein werden, bezweifelt heute etwa kaum mehr jemand. Das bringt zwangsläufig gesellschaftliche Umwälzungen mit sich: Wie etwa wollen Gesellschaften mit Situationen umgehen, in denen plötzlich ganze Branchen – im Beispiel jene der Berufskraftfahrer – ihren Job innerhalb weniger Jahre verlieren?

Die von Jaume-Palasí ins Leben gerufene Organisation "The Ethical Tech Society" hat es sich zum Ziel gesetzt, eben solche Diskussionen in den allgemeinen Fokus zu rücken und die Folgen von Digitalisierungs- und Automatisierungsprozessen zu erforschen. Sie arbeitet an Konzepten und bringt sich aktiv in Diskussionen mit Technikbezug ein, etwa auch dort, wo es um künstliche Intelligenz und die Frage geht, was erlaubt sein soll und was nicht.

Die Initiative "AlgorithmWatch", die Jaume-Palasí mitgegründet hat, setzt sich kritisch mit der Auswirkung von Algorithmen auf den Alltag auseinander – ein Thema, das in Zeiten, in denen Facebook-Chef Zuckerberg vom allwissenden "Metaverse" träumt, relevanter und drängender ist denn je. Die Theodor-Heuss-Stiftung honorierte Jaume-Palasí und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen für die Arbeit im Rahmen von "AlgorithmWatch" 2018 mit der Heuss-Medaille.

Die genannten Beispiele spiegeln nur einen Bruchteil der Leistungen wider, durch Frauen die Informationsbranche in den vergangenen zwei Jahrhunderten vorangebracht haben.

Schaut man auf die IT der Gegenwart in Deutschland, stellt sich im Hinblick auf den Frauenanteil allerdings eine eher Ernüchterung ein. Mit 17,5 Prozent liegt er laut einer Statistik von Eurostat insbesondere Deutschland noch unter dem europäischen Durchschnitt – und der ist mit 18,5 Prozent ohnehin schon alles andere als berauschend. Obendrein hat sich der Anteil von Frauen in der IT in Deutschland in den letzten Jahren laut derselben Statistik kaum verändert.

Immerhin: Der Anteil von Frauen in MINT-Studiengängen ist etwa in Baden-Württemberg seit 1990 um zehn Prozent auf 31 Prozent gestiegen. Betrachtet man die veröffentlichten Zahlen des Statistischen Landesamts BW allerdings genauer, wird deutlich: Der Zuwachs betrifft vor allem die Bereiche Mathematik und Naturwissenschaften. Gerade im Fach Informatik waren Frauen im Wintersemester 2020/21 mit einem Anteil von rund 20 Prozent ähnlich unterrepräsentiert wie in den Vorjahren.

Die Gründe für die niedrigen Zahlen sind wissenschaftlich kaum beleuchtet. Einige Experten verorten das Problem in der Erziehung von Kindern: Jungen, so die These, würden von Eltern noch immer viel häufiger ermuntert, sich mit technischem Spielzeug zu beschäftigen, als es bei Mädchen der Fall ist. In Kindergarten und Grundschulen seien Heranwachsenden wiederum vorwiegend mit (selbst entsprechend vorgeprägten) weiblichen Lehrenden konfrontiert, so dass auch hier der Bereich Technik oft zu kurz komme.

Obendrein berichten Informatikerinnen von toxischen Arbeitsumgebungen in Teilen der Branche. Frauen würden regelmäßig unterschätzt und von männlichen Kollegen nicht respektiert; auch würden ihnen oft Aufgaben zugeteilt, für die sie eigentlich überqualifiziert seien. Dass solche und ähnliche Arbeitsbedingungen technisch interessierte Frauen – und damit sicherlich auch manches vielversprechende IT-Talent – abschrecken, dürfte wohl jedem einleuchten.

(ovw)