MPEG-Zeitenwende: Operation geglĂĽckt, Patient tot?

Weitgehend unbeachtet gab der jahrzehntelange Leiter der Moving Picture Experts Group zum Juli-Beginn seinen Posten auf – das Aus des Standardisierungsgremiums?

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MPEG-Zeitenwende: Operation geglĂĽckt, Patient tot?

(Bild: dizain/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas
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Ohne sie geht seit der Digitalisierung von Radio, Fernsehen und Unterhaltungselektronik fast nichts: die Moving Picture Experts Group (MPEG, Empeg gesprochen) definiert und dominiert seit 1988 Verfahren zur Video- und Audio-Datenreduktion. Gegründet wurde sie von Dr. Leonardo Chiariglione, der sich vorher bei der Telecom Italia ums damalige Zukunftsthema HDTV kümmerte. Über 30 Jahre lang lief es scheinbar rund bei der MPEG – in den vergangenen Monaten flogen aber hinter den Kulissen die Fetzen.

Intern kündigte Chiariglione schon im April seinen Rücktritt an. Im Juni rief er dann auf seinem Blog das Ende von MPEG aus – obwohl die Gruppe offiziell auch ohne ihren Gründer weiterhin existiert. Die Auslöser für Unmut und Zank sind vielschichtig. Organisatorische Probleme und Unzulänglichkeiten spielen ebenso eine Rolle wie Eitelkeiten und veränderte Rahmenbedingungen. Schließlich geht es, wie so oft, ums Geld.

Motiv für die MPEG-Gründung war die Hoffnung auf einheitliche Standards, sagte Chiariglione im Gespräch mit heise online: "Ich sah, welch ein Wirrwarr in der analogen Fernsehwelt herrschte. MPEG bot die einmalige Chance, bei der sich abzeichnenden Digitalisierung der Technik gemeinsame Standards zu verabschieden."

Eine eigene Rechtsform hatte der außerhalb des öffentlichen Blicks agierende Club nie. Formal war er eine Arbeitsgruppe (WG für working group) innerhalb eines Unterkomitees (SC, sub committee) der ISO – genau: ISO/IEC JTC 1/SC 29/WG 11. Die ISO, an der Chiariglione in einem weiteren Blog-Eintrag kein gutes Haar lässt, ist die Internationale Organisation für Normung.

Mit der MPEG-Gründung schaffte Chiariglione innerhalb der ISO einen Präzedenzfall, erklärte der derzeitige technische Koordinator der MPEG-Beratungsgruppe 2, Dr. Jörn Ostermann, im Gespräch mit heise online: "Bis dahin legte man der ISO definierte Produkte oder Technologien zur Standardisierung vor. Jetzt entwickelte man erstmals Verfahren, um sie danach in einen Standard zu gießen.‟ Plötzlich hatte ein auf Verwaltung spezialisierter Verein eine Forschungsabteilung.

In den ersten rund 15 Jahren der MPEG-Existenz lief der Laden: In den vom "Convener" (Konferenz-Einberufer) Chiariglione organisierten Expertentreffen (drei bis vier pro Jahr) diskutierte man Technologien, verglich Vorschläge und wählte im Idealfall den besten aus – so entstand unter anderem das überaus erfolgreiche MP3-Format.

Trafen die Experten eine Entscheidung, dann standardisierte die ISO das Verfahren – für die Lizenzierung war sie aber nie zuständig. MPEG-1 wurde zum Codec für die vergessene Video-CD, MPEG-2 für SD-Digital-TV und die Video-DVD. Die entsprechenden Decoder wurden als integrierte Schaltkreise produziert, für die Lizenzen fällig waren. Laut Chiariglione definierte MPEG in den vergangenen 32 Jahren 180 Standards, die Gruppe machte durch Lizenzen einen Umsatz von 1,5 Billionen US-Dollar. Er selbst profitierte aber nicht direkt vom Geldsegen: Dem Convener steht nicht einmal eine Aufwandsentschädigung zu.