Blut aus der Luft

In Ruanda liefert ein US-Unternehmen Blut mithilfe von Drohnen aus. Das geht sehr viel schneller als mit dem Auto, denn viele Straßen sind in schlechtem Zustand. Bis Ende des Jahres will Zipline 14 Krankenhäuser im Land anfliegen.

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Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Jonathan W. Rosen
Inhaltsverzeichnis
8/2017

Noch bevor die Drohne zu sehen ist, hört man sie. Wie eine riesige Mücke schwirrt sie über das hügelige Gelände des Kabgayi District Hospital in Ruanda. Dann nähert sich das Fluggerät in rechteckigen Bahnen der Notaufnahme und sinkt dabei auf die richtige Höhe für den Abwurf. Hat sie ihr Ziel erreicht, lässt die Drohne ihre Last fallen, die mit einem dumpfen Geräusch vor dem Gebäude landet: ein roter Pappbehälter von der Größe eines Schuhkartons mit einem Fallschirm aus Wachspapier und biologisch abbaubarem Klebeband. Ein wenig erinnert das Gebilde an das Kunstprojekt eines Kindes, doch der Inhalt kann Leben retten: Im Inneren des Päckchens befinden sich zwei Einheiten menschlichen Bluts, die wahrscheinlich bald bei einer Operation, einer komplizierten Geburt oder zur Behandlung von Malaria benötigt werden.

Die Plastikbeutel mit Blut gehören zu den ersten kommerziellen Produkten, die je per Drohne geliefert wurden. Der Dienst basiert auf einer Kooperation zwischen der ruandischen Regierung und der amerikanischen Robotikfirma Zipline aus dem Silicon Valley. Die Blutlieferungen für das Kabgayi-Krankenhaus starteten Ende 2016. Heute ist Zipline international der erste Anbieter, der für eine regelmäßige Belieferung mit Medizinprodukten sorgt. Noch steckt der Service, der mittlerweile sieben der 21 anvisierten Krankenhäuser erreicht, in den Kinderschuhen. Trotzdem hat er sich bereits bewährt.

Zuvor mussten Mitarbeiter des Krankenhauses dreimal in der Woche in die 60 Kilometer entfernte Hauptstadt Kigali fahren, um Blut zu holen. Das dauerte einschließlich Rückweg meist drei bis vier Stunden. Notfälle bedeuteten oft zusätzliche Fahrten – aber auch eine Verzögerung, die lebensbedrohlich sein konnte. Heute tippen die Labormitarbeiter einfach eine Bestellung auf dem Smartphone ein. Dann kommt innerhalb von 15 Minuten eine Drohne aus dem 15 Kilometer entfernt liegenden Zipline-Vertriebszentrum geflogen. "Früher war es schwierig, Blut zu bekommen, wenn wir es brauchten", sagt der Chirurg Espoir Kajibwami.

In Notfällen habe er Patienten deshalb oft lieber ins nationale Krankenhaus nach Kigali verlegt, statt auf das Eintreffen des Bluts zu warten. Nur bei nächtlichen Notlagen ist das Krankenhaus weiterhin auf den Transport über die Straße angewiesen. Denn noch hat die ruandische Flugsicherheitsbehörde Zipline keine Erlaubnis für Flüge während der Dunkelheit erteilt. Deshalb ist das Krankenhaus bei nächtlichem Mangel an Blutkonserven weiterhin auf den Transport über die Straße angewiesen.

Blut-Lieferung aus der Luft (7 Bilder)

Mit einem Katapult werden die Drohnen in die Luft geschossen.
(Bild: Jason Florio)

Zipline hat sein Projekt in einer Zeit gestartet, in der weltweit intensiv an kommerziellen Lieferdiensten mit Drohnen gearbeitet wird – und Zipline ist der erste Anbieter weltweit, der eine regelmäßige Belieferung mit Medizinprodukten für den Notfall verspricht. Das 2011 unter dem Namen Romotive gegründete Unternehmen wurde zunächst bekannt mit seinem Romo, einem über das iPhone gesteuerten Roboter-Haustier. Dann aber beschloss Firmenchef Keller Rinaudo, sich einem Produkt mit größerem gesellschaftlichen Nutzen zu widmen.

Während zweier Reisen nach Tansania knüpften Rinaudo und sein Mitgründer William Hetzler 2014 Kontakt zu einem Netzwerk lokaler Gesundheitshelfer. Diese erfassten auf der Basis von Textmessages in ihrem System Hunderte von medizinischen Notfällen im ganzen Land – Schlangenbisse, Fälle von Tollwut und schwere Blutungen nach Geburten. Häufig war es aber zu teuer oder logistisch unmöglich, Patienten an abgelegenen Orten mit den erforderlichen Medikamenten zu versorgen. "Man hat diese Datenbank voll tragischer menschlicher Geschichten", sagt der 30-jährige Hetzler. "Was offensichtlich fehlte, war die Möglichkeit, schnell auf diese Nachfrage zu reagieren und Produkte an einen Ort zu bekommen, an dem sie sonst nicht ohne Weiteres verfügbar sind." Nach seinen Besuchen hatte das Duo das Gefühl, helfen zu können.

Unter der technischen Leitung des dritten Mitgründers Keenan Wyrobek machten sich die Techniker des Unternehmens im Hauptquartier in Half Moon Bay in Kalifornien an die Arbeit. Sie entwickelten ein Fluggerät mit zwei Elektromotoren, das 1,5 Kilogramm Last transportieren kann. Außerdem haben sie ihre Drohnen mit festen Flügeln ausgestattet, sodass sie eine größere Reichweite haben und schlechtes Wetter besser verkraften als Multicopter-Modelle. Parallel dazu wurde klar, dass Ruanda ideale Bedingungen für die Zipline-Vision bietet. Die Bevölkerung des kleinen ostafrikanischen Staates lebt hauptsächlich auf dem Land. Die Mehrzahl der 478 Gesundheitszentren und viele der 35 Bezirkskrankenhäuser erreichen die Menschen meist nur über schlechte, unbefestigte Straßen.