Microsoft Adventure: Vor 40 Jahren erscheint das erste PC-Spiel​

Vor 40 Jahren stellt IBM seinen PC vor. Zu den Starttiteln gehören "Microsoft Adventure", das erste PC-Spiel – und das von Bill Gates entwickelte "DONKEY.BAS".

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(Bild: heise online)

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • René Meyer
Inhaltsverzeichnis

Am 12. August 1981 stellt IBM den PC vor, als Partner von IBM bietet Microsoft vom Start weg eine ganze Palette an Software. Neben dem Betriebssystem DOS und allerlei Programmiersprachen gehören ein Lernprogramm und ein Spiel dazu: "Microsoft Adventure". Das erste PC-Spiel.

Eigentlich ist "Adventure" schon älter – die Umsetzung des gleichnamigen Textspiels, das dem Genre zugleich zu seiner Bezeichnung verhilft. Es entsteht Mitte der Siebzigerjahre in Fortran auf einer PDP-10, einem Mainframe-Computer von DEC. Zunächst ist es mehr eine Höhlen-Simulation; der Entwickler William Crowther nutzt es, um die Mammoth-Höhle in Kentucky zu kartografieren. Man läuft per Textbefehl von Raum zu Raum und liest eine Beschreibung. Keine Grafiken, alles Text. Um es für seine beiden Töchter spannender zu machen, erweitert er den Rahmen um Fantasy-Elemente. Der 22 Jahre alte Student Don Woods baut das Spiel stark aus, ergänzt es um Texte und Rätsel, und führt ein Punkte-System ein: 350 Punkte gilt es zu erringen.

Der berühmte erste Satz: "You are standing at the end of a road before a small brick building." Man steht am Ende einer Straße vor einem kleinen Backsteinhaus. Mit ENTER BUILDING tritt man ein und erhält eine Beschreibung, was sich im Haus befindet. Schlüssel, eine Lampe, Nahrung und eine Wasserflasche. Mit Befehlen wie GET KEYS sammelt man alles ein. Das kann einen wochenlang beschäftigen. Zumal es keine Karte gibt und man sich Zeichnungen und Notizen machen muss.

"Adventure" hat großen Einfluss. Für viele, die in den Siebzigerjahren Zugang zu Rechnern haben, ist es die erste, faszinierende Berührung mit einem Computerspiel. Nachahmer entstehen. Zunächst "Zork", auch für die PDP-10, das als zweites Adventure gilt und zur Gründung von Infocom führt. "Adventureland" von Scott Adams, der 1978 zum ersten Mal Textadventures auf Mikrocomputern umsetzt. Und "Mystery House" von Roberta und Ken Williams, die 1980 zum ersten Mal ein Adventure um Grafiken bereichern. Daraus wird die Spieleschmiede Sierra mit Klassikern wie "King's Quest" und "Larry". Nicht zu vergessen: "Adventure" für das Atari 2600 als erstes Action-Adventure.

Auch Gordon Letwin liebt das Spiel. Er setzt es 1978 in Assembler für Heimcomputer um – in seiner Freizeit, denn eigentlich ist er als Entwickler bei Heath angestellt. Das Unternehmen produziert über Jahrzehnte Baukästen für Hobbyelektroniker und Amateurfunker. Als Mitte der Siebzigerjahre die ersten Computer-Bausätze erscheinen, ist es mit dem Heathkit H8 früh mit dabei. Später gibt es fertige Computer, die auch dank der Übernahme durch Zenith 1979 recht erfolgreich sind. Letwin schreibt für die Heath-Rechner das Betriebssystem HDOS mitsamt einem Assembler.

Und einem BASIC-Interpreter. Den würde lieber Bill Gates liefern, als er aber vor Heath-Managern seine Programmiersprache präsentiert, kommt es zu einem kleinen Eklat: Lautstark gibt Letwin zum Besten, dass sein BASIC besser sei als das von Microsoft. Es hilft nicht. Heath entscheidet sich, künftig Microsoft BASIC zu verwenden. Letwin macht das Beste daraus – und wechselt zu Microsoft. Dort arbeitet er zunächst an einem BASIC-Compiler, danach an Pascal.

Mitte rechts: Gordon Letwin, der Entwickler von Microsoft Adventure.

(Bild: Microsoft)

Als einer der ersten Angestellten ist er auf dem berühmten Microsoft-Foto von 1979 zu sehen, das elf der insgesamt dreizehn Mitarbeiter des jungen Unternehmens zeigt. Und als einer der ersten Angestellten erhält er Aktien-Optionen, einen kleinen Anteil an der Firma, die ihn später reich machen. Er wird Chef-Architekt für das zunächst von IBM und Microsoft zusammen entwickelte Betriebssystem OS/2, bis er das Unternehmen 1993 verlässt.

In seinen ersten Jahren arbeitet Microsoft nur mit Großkunden zusammen: Die Programmiersprachen wie BASIC werden nicht an Endkunden vertrieben, sondern an Hardware-Hersteller lizenziert. Keine Sorgen mit Raubkopien, keine Sorgen mit Supportanfragen. Doch Bill Gates lässt sich davon überzeugen, dass durch den Vertrieb an Endkunden das Unternehmen viel schneller wachsen würde. Und so entsteht die Tochterfirma Microsoft Consumer Products, die Software (und später auch Hardware) selbst veröffentlicht und vertreibt. Ende 1979 erscheinen die ersten Produkte, für den TRS-80 und den Apple II. Darunter "Typing Tutor", ein Lernprogramm zum besseren Schreiben mit der Tastatur, das Microsoft nicht selbst entwickelt, sondern lizenziert und auf Kassette vertreibt. Und "Adventure" von Gordon Letwin.

Gordon Letwin entwickelte "Microsoft Adventure" – zum Unternehmen kam er unter anderem dank seinem Selbstbewusstsein.

(Bild: heise online)

Der Legende nach kommt die Idee zum Veröffentlichen des eigentlich als Hobby entwickelten Spiels von Microsoft-Mitgründer Paul Allen. Als Letwin ihn wegen seines neuen Autos aufzieht, kontert Allen, Letwin solle doch "Adventure" verkaufen, um zusätzlich Geld zu verdienen. Auch wenn Microsoft häufig Programme anderer Unternehmen übernimmt oder lizenziert, um sie zu veröffentlichen, zögert Gates zunächst. Es bleibt eine Ausnahme, dass Microsoft ein in der Freizeit eines Mitarbeiters entstandenes Programm veröffentlicht (und der dafür honoriert wird).

So erscheint im Dezember 1979 "Adventure" als erstes Spiel von Microsoft, für Apple II und TRS-80, für je 30 Dollar. Man wirbt damit, dass der Umfang mit der PDP-Version vergleichbar sei. Das ist tatsächlich eine Besonderheit, weil das Originalspiel 300 Kilobyte Arbeitsspeicher benötigt, während Heimcomputer meist mit einem Zehntel oder mit noch weniger ausgestattet sind. Letwin gelingt es, das Spiel auf 32 Kilobyte unterzubringen, indem er es in Assembler programmiert und die Daten von Diskette nachlädt. Für 1979 sind das dennoch relativ hohe Anforderungen, die mit beiden Computern nur durch Speicheraufrüstungen erfüllt werden. Die Diskette ist mit einem Kopierschutz ausgestattet, damals ein Novum, und erlaubt das Speichern des Spielstands.

Als Entwickler wird das Unternehmen Softwin Associates genannt, hinter dem Letwin steckt. Die Entwickler der Vorlage zu nennen, William Growther und Don Woods, vergisst man. Das Spiel ist recht erfolgreich; in der Zeitschrift Softalk ist es regelmäßig in "The Top Thirty", einem Software-Ranking für den Apple II.

Und so ergibt es sich, dass zwei Jahre später "Adventure" auch einer der Starttitel für den IBM PC wird. Neben DOS, BASIC und weiteren Programmiersprachen und Anwendungsprogrammen. IBM ist nicht wählerisch. Da man die Arbeit am Rechner geheim hält, gibt es am Anfang kaum Software. Selbst Microsoft muss den Prototypen in einem kleinen fensterlosen Raum verstecken, weil er als einziges abschließbar ist. Und er muss immer verschlossen sein. Nur wenige Mitarbeiter haben Zutritt. Dort, auf 3 mal 4,5 Metern, entstehen DOS und BASIC.

Das Spiel findet gar seinen Weg in die Pressemeldung zur Ankündigung des IBM PC, neben Programmen wie VisiCalc und EasyWriter: "Microsoft Adventure brings players into a fantasy world of caves and treasures." Das Produktblatt, ins Deutsche übersetzt, lockt mit: "Microsoft Adventure versorgt den IBM Personal Computer mit einem Fantasy-Rollenspiel. Der Schauplatz des Spiels ist ein riesiges Netz von Höhlen unter der Erde und das Land außerhalb. Die Fantasiewelt enthält 130 Räume oder Knotenpunkte, 15 Schätze, 40 nützliche Gegenstände und 12 zu lösende Aufgaben. Das Programm ermöglicht es den Spielern, den Status von zwei Spielen auf einer Diskette zu speichern. Es liefert nützliche Hinweise, Anweisungen und Rückmeldungen über den Fortschritt des Spielers."

Wer steckenbleibt, kann eine Karte und drei Blätter mit Tipps für je einen Dollar anfordern. Die kommen dann per Briefpost. Das Spiel benötigt kein DOS, sondern kommt auf einer selbststartenden Diskette. Durch den Erfolg des PCs überflügelt die Version die Varianten für den Apple II und den TRS-80. Auch der "Typing Tutor" ist einer der Starttitel; und als eines von nur zwei bekannten PC-Programmen (neben einer Hardware-Testsoftware) erscheint er auch auf Magnetband-Kassette.

Streng genommen muss sich "Adventure" den Ruhm als erstes PC-Spiel mit einem anderen teilen: mit "DONKEY.BAS", einem einfachen Rennspiel. Ein Auto fährt auf einer zweispurigen Straße, und wenn ein Esel seinen Weg kreuzt, wechselt man mit der Leertaste schnell die Spur. Mehr gibt es nicht. Kein Lenken, Beschleunigen oder Bremsen.

Der 25 Jahre alte Bill Gates entwickelt es zusammen mit einer Reihe weiterer Programme an einem Wochenende zusammen mit dem noch jüngeren Neil Konzen, um die Leistungsfähigkeit des PCs und des BASIC zu demonstrieren. Dem gelang der Einstieg bei Microsoft, indem er als Oberschüler auf gut Glück zum Unternehmen radelt und mit seinem Fachwissen imponiert.

Bei Pixelgrafiken hapert es allerdings. Eigentlich will Konzen eine Kuh zeichnen, aber weil sie eher wie ein Esel aussieht, ist der Name des Spiels gefunden. Als eines der vielen BASIC-Beispiele findet es seinen Weg auf die DOS-Diskette und damit in Millionen Computer. Während solche Programme zunächst als Test für mögliche Fehler im BASIC-Interpreter entstehen und als Referenz für IBM, was der Interpreter leistet, dienen sie später als Vorlagen für Programmierer.

DONKEY.BAS bliebt Bill Gates einzige Mitarbeit an einem Computerspiel.

(Bild: heise online)

So viel Verständnis hat Apple nicht. Das Team kann es gar nicht fassen, als es das Spiel zu Gesicht bekommt und herausfindet, dass Bill Gates höchstselbst hinter der "Peinlichkeit" steckt. Es arbeitet seit geraumer Zeit am Macintosh mit seiner grafischen Oberfläche; und das an den Vorläufer CP/M erinnernde DOS wirkt wie ein Relikt aus früheren Tagen.

Für Bill Gates bleibt es die einzige Mitarbeit an einem Spiel. Auch Neil Konzen ist eher für seine anderen Arbeiten bekannt, etwa für Ports von Programmen wie Word zum Mac, für seine Arbeiten an der Softcard-Steckkarte, die CP/M auf den Apple II bringt (die erste Hardware von Microsoft) und an der Konzeption von Windows, auch basierend auf seinen Erfahrungen mit dem Mac. 10 Jahre später leistet sich Microsoft einen weiteren Schlager: Die "Snake"-Variante NIBBLES.BAS, die als Demo für QBASIC Teil von MS-DOS 5.0 wird.

(dahe)