Missing Link: Am Boden - nachhaltige Landwirtschaft und die Ernährung der Welt
Wie kann sich die Weltbevölkerung nachhaltig ernähren? Die globale Landwirtschaft sucht Lösungen über "Bio" und "Smart Farming" hinaus.
Wenn die Öffentlichkeit über CO2-Äquivalente spricht, geht es meist um Flugreisen, Autoverkehr, Verpackungen, Unterhaltung und Mode, um nur einmal die häufigsten Kandidaten zu nennen. Der Mensch kann jedoch ohne Flugreisen, Autos oder Netflix überleben. Ohne Essen dagegen geht es nicht. Wir brauchen künftig Landwirtschaft, die mindestens
- die steigende Weltbevölkerung ernährt und
- das so tut, dass es uns langfristig gut geht. Das schlieĂźt einen lebenswerten Lebensraum mit ein.
Was war
Viele frühere menschliche Hochzivilisationen, deren Spuren wir fanden, gingen an denselben Symptomen unter: Übernutzung, Bodenerosion, Wassermangel, dann kam häufig noch ein lokaler kleiner Klimawandel – und das Imperium war Geschichte. Die überlebende Bevölkerung verteilte sich nach dem Zusammenbruch auf andere Flächen. Heute sind wir so viele Menschen geworden, dass uns das Problem global betrifft. Das bedeutet: Wir können nirgendwo anders mehr hin. Es gibt keine Flucht, die uns neues Land in der Milchstraße erschließt. Wir müssen uns dem Problem endlicher Ressourcen stellen, dem Überkonsum, der Übernutzung.
Gleich zu Anfang möchte ich Defätismus ob der Größe des Problems abfangen: Es gibt viele gute Lösungsansätze. Es ist nicht so, dass man "eh nichts mehr machen" kann:
- Dieser Text skizziert die Situation der Lebensmittelproduktion,
- ein Folgeartikel geht auf Fleisch, alternative Projekte und Möglichkeiten ein, wie wir in Zukunft Nahrungsmittel anbauen könnten.
- Und der dritte und letzte Teil widmet sich der Gegenwart und Zukunft der konventionellen Landwirtschaft, die uns schließlich größtenteils ernährt.
Es muss jedem jedoch ohne Defätismus die Größenordnung des Problems bewusst werden: Während der Mensch im Vergleich zu Pflanzenmasse oder Tiermasse in unseren riesigen Ozeanen klein scheint, zeigt ein Vergleich unter Säugetieren, warum wir unseren Lebensraum so stark beeinflussen: Rund 96 Prozent der Biomasse aller Säugetiere (gemessen in Gigatonnen Kohlenstoff, siehe The biomass distribution on Earth) besteht aus Menschen (rund ein Drittel) oder unseren Haustieren (rund zwei Drittel). In den restlichen paar Prozent steckt der Rest der Säugetiere und deren verbliebene Artenvielfalt, die wir noch nicht ausgerottet haben.
Wir haben über die Jahrtausende etwa 83 Prozent aller anderen Landsäuger ausgerottet (und bei den Meeressäugern schaut es kaum besser aus). Der Mensch dominiert seine Lebensräume und alle angrenzenden, aus denen er Ressourcen zieht. Das heißt im Negativen, dass wir tatsächlich das kaputtschlagen können, was wir brauchen. Das heißt im Positiven, dass wir uns auch wieder einen Garten Eden einrichten könnten.
Alles Panikmache?
Es fällt uns innerhalb des Lebenszeitraums eines Menschen schwer, sich einzugestehen, dass der Ackerbau "plötzlich" ein Problem sein soll. Aus dem Fenster sehe ich Äcker, auf denen Bauern seit Jahrhunderten Getreide ernten. Warum sollte das nicht Jahrhunderte so weitergehen können? Weil sich im letzten Jahrhundert, vor allem in den letzten Jahrzehnten grundlegende Dinge geändert haben, vor allem intensiviert. Ab dem 19. Jahrhundert setzte sich die von Justus von Liebig 1840 in seinem Buch "Agriculturchemie" empfohlene Mineraldüngung durch: Die Pflanzennährstoffe Stickstoff, Kalium und Phosphor in einem passenden Verhältnis sorgen für starken Wuchs. Die Rohstoffe förderte der Bergbau. 1911 erfanden die Herren Haber und Bosch ein Verfahren, mit dem sie Stickstoff aus der Umgebungsluft zusammen mit Wasserstoffgas zu Ammoniak synthetisierten. Die Energie dazu stammte aus den fossilen Energieträgern, die auch die industrielle Revolution antrieben.
Diese und andere Erfinder waren die Eltern der sogenannten "Grünen Revolution" der Landwirtschaft: Erstmals in der Menschheitsgeschichte wuchs die Lebensmittelproduktion viel schneller als die Bevölkerung. Unsere heutige explosionsartig gewachsene Population ist ein Resultat. Vor allem in der Zeit nach den Weltkriegen intensivierte und industrialisierte sich der Ackerbau in vorher unvorstellbarem Ausmaß. Heute ernähren in hochautomatisierten Nationen wie Deutschland oder der USA etwa 2 Prozent landwirtschaftliche Arbeiter die gesamte Bevölkerung, obwohl wir viel wegschmeißen: Weltweit landen 3 bis 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Lebensmitteln im Müll, und Essen wurde spottbillig. Um die 3 bis 4 Prozent BIP einzuordnen: Fast ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel werden weggeworfen – meistens, weil passende Lagertechniken fehlen.
Schon in den Sechzigerjahren fiel Forscherinnen (zum Beispiel Rachel Carson) auf, dass dieser Turbo-Boost so wahrscheinlich auf lange Sicht schädlich ist – zuerst für andere Lebewesen, doch immer auch für den Menschen, der trotz abweichender Eigenwahrnehmung Teil dieser Biosphäre ist. Seit wir uns überhaupt für Insektenmengen interessieren, haben wir in manchen Lebensräumen wie Wiesen bis zu drei Viertel der Insekten-Biomasse verloren. Wir brauchen diese Tiere. Seit wir uns dafür interessieren, messen wir einen weltweiten Abbau der Humusschicht. Wir brauchen diese Schicht.