Von Tapeten bis Roboterfische: Highlights der Ars Electronica 2024

Seite 2: AI and ART

Inhaltsverzeichnis

In dem Maße, in dem die ARS immer mehr Preise im Auftrag Dritter vergibt, reduziert sie ihre goldenen Nicas, die renommierte Auszeichnung für Digitale Kunst. Die sieben bis acht Kategorien wurden vor einiger Zeit in zwei Gruppen geteilt und nun biennal vergeben. In diesem Jahr wurde ein Sonderpreis für AI in Art vergeben. Im letzten Jahr hatte Gerfried Stocker noch auf die Frage, warum das Festival nach der Ankunft von Large-Language-Models in der Öffentlichkeit KI-Kunst nicht zu einem eigenen Schwerpunkt des Festivals gemacht habe, auf 2017 verwiesen, als das Motto der ARS lautete: AI – das andere Ich. Sollte sich "AI and ART" zu einer eigenen Kategorie neben "Artificial Intelligence & Life Art" mausern, wäre die Künstliche Intelligenz nun jährlich vertreten, eine der Dynamik des Feldes sicherlich angemessene Frequenz.

Das prämierte Werk, Washed Out "The Hardest Part" des amerikanischen Filmemachers Paul Trillo , hätte man auch in der Kategorie "New Animation Art" vermuten können. Es ist ein gut vierminütiges Musikvideo, in dem Trillo die Visualisierung für den Song der Band "Washed Out" geschaffen hat. Was ihn in die AI-Kategorie gebracht hat, ist, dass Trillo den Film mit Sora erstellt hat, der Alpha-Version von OpenAIs Speech-to-Video-Technik. Nun ist die Benutzung eines kommerziellen Werkzeugs bei der Filmproduktion nicht per se preiswürdig, aber Trillo geht weit über das hinaus, was man sich als Prompt-Engineering vorstellt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Trillo experimentiert und arbeitet schon lange kreativ mit KI-Werkzeugen, wie sein sehenswertes Video "Absolve" demonstriert. In der prämierten Arbeit sah er sich vor der Herausforderung, seine eigene künstlerische Vorstellung mit dem KI-Werkzeug umzusetzen. Jeder, der schon mit Midjourney, Stable Diffusion oder DALL-E gespielt hat, weiß, wie schwierig es ist, ein vorgestelltes Bild zu realisieren. Die KI ist durchaus eigenwillig und kommt mit immer neuen Versuchen um die Ecke. Und er weiß auch, wie groß die Versuchung ist, eines der Bilder der KI zu akzeptieren, weil sie alle in gewisser Weise reizvoll und detailliert ausgearbeitet sind. Beide Klippen musste Trillo umschiffen, was ihm gelang, indem er den leicht halluzinatorischen, traumhaften Stil der KI bewusst adaptierte, um das Schwanken zwischen Realität und Traum bei der Rückerinnerung eines Paares an seine langjährige Geschichte sichtbar zu machen.

Paul Trillo

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht)

Trillo hat 700 Videosequenzen generiert und daraus den Film zusammengeschnitten. Mehrfach hat er mit dem Team von OpenAI konferiert und erlebt, wie überrascht die Entwickler waren, was alles mit ihrer Software möglich ist. Er war angetan davon, dass die Software eine Vorstellung von Zeit und Zeitpunkten zu haben scheint, was eine andere Arbeitsweise erlaubt als bisherige Text-to-Video-Systeme.

Das in der Kategorie "New Animation Art" prämierte Werk ist ebenfalls ein Musikvideo, nämlich “Smoke and Mirrors“ von Beatie Wolfe (UK). So schön das Lied, so wenig innovativ ist der visuelle Teil. Wir sehen den Planeten und wie er im Laufe der letzten 50 Jahre stetig mehr Methan ausstößt, bis am Ende alle Kontinente unter einer bräunlichen Soße verschwinden. Auf dieses Bild werden Werbeaussagen der Ölindustrie eingeblendet, die den Weltuntergang leugnen. Das hat die Anmutung einer Werbekampagne von Klimaaktivisten und die Subtilität einer Dampfwalze. Der Jury war es sicherlich wichtig, ein Klima-Thema zu prämieren und ehrt eine Künstlerin, die für ihre künstlerischen Innovationen wie auch für ihr vielfältiges gesellschaftliches Engagement anerkannt ist.

Wie schon erwähnt ist das Ziel der ARS, die Kunst an der Schnittstelle zu Technik und Gesellschaft in ihrer thematischen und gesellschaftlichen Breite abzubilden. Wenn man mit diesem Blick durch die Ausstellungen schweift, erkennt man durchaus Muster in den Arbeiten.

Immer wieder tauchen Arbeiten auf, die auf früheren Technologien und Wissen aufbauen und diese erforschen. Nicht nur in Afrika und Südamerika, auch bei uns werden Webkunst oder Pilzzucht zu Installationen. Masharu, die mit ihrem „Museum of Edible Earth“ bekannt geworden ist, bietet in diesem Jahr Kompost zum Essen an. In "Compost as Superfood" können die Besucher riechen und schmecken und über sich das Verhältnis des Menschen zu seinen Nahrungsmitteln austauschen.

Ein anderes, wiederkehrendes Muster, sind Werke, die sich mit den Auswirkungen der Technologie befassen. Immer wieder werden der Ressourcenverbrauch oder die Ausbeutung der Dritten Welt durch KI-Hilfsarbeiten bei der Stichprobenaufbereitung angeprangert. Es wirkt aus der Ferne wie die Suche nach Absolution für die Sünden durch das eigene Tun.

Bei all den ernsten Themen freut man sich, auf verspielte, kuriose oder hintergründige Werke zu stoßen. "Flock of" ist ein Raum voller heliumgefüllter Fische, die vom Boden bis zur Decke umherschwimmen. Der Besucher ist aufgefordert, in die Mitte zu treten und Teil des Schwarms zu werden. Die etwa einen Meter großen Silberfische sind durchaus putzig und keineswegs scheu, haben aber keine Absicht, mit dem Besucher zu spielen. Sie folgen, trotz aller Zufallsbewegung, ihrem eigenen Programm, das sie von einem zentralen Server empfangen. Wenn man sich darauf einlässt, ist es ein sehr eigen- und einzigartiges Gefühl.

"Clay PCB" stellt feministische Hardware vor.

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht)

"Clay PCB" stellt feministische Hardware vor. Die Leiterplatinen, gefertigt aus Schlamm von österreichischen Wäldern, tragen sicherlich mehr zur "environmental justice" bei als industriell gefertigte Elektronik. Aber obwohl alles Open-Source ist, kann man Zweifel hegen, ob sie sich zu einem neuen Technikzweig entwickelt. Jedenfalls ist die "Eco-Feminist Decolonial Hardware" von Patrícia J. Reis (PT/AT), Stefanie Wuschitz (AT) von der EU als Preisträger nominiert.

Acrobotics ist ein Kasten mit vier Extremitäten und der Anmutung eines Spielzeugclowns. Wenn Daniel Simu (NL), ein gelernter Artist und Hobbytechniker, seine akrobatische Vorführung beginnt, wird der Roboter zur eleganten Tanzpartnerin, die Auf- und Abschwünge oder Handstände perfekt beherrscht.

Ein Publikumsmagnet ist die unwillige Kaffeemaschine. Nur ganz selten gelingt es einem Besucher, sie zu überreden, den untergestellten Pappbecher zu füllen. Meist zieht man schnoddrig beschimpft und verhöhnt von dannen. Wie oft, stehen hinter lustigen oder ästhetischen Installationen Menschen mit tiefgründigen Überlegungen. Jan Zuiderveld (NL) bringt die KI bei seinen Installationen möglichst dicht an den Besucher und wirft ein spannendes Licht auf den Prozess der Anthropomorphisierung.

Eine Unterhaltungsgarantie sind stets die Konzerte. Zum 200. Geburtstag von Anton Bruckner, hatte das Bruckner-Orchester vermutlich andere Verpflichtungen, aber die große Konzertnacht mit acht Celli und acht Roboterarmen war ein mindestens gleichwertiges Erlebnis, besonders im zweiten Teil, als die Japanerin Maki Namekawa mit dem Piano dazu stieß. Der Soundteppich, den die Celli legten, wurde von den Lichtern an den Enden der sich bedächtig bewegenden Roboterarme umhegt und reichlich mit Bühnennebel bedacht. Die Videoproduktionen, die auf den riesigen Leinwänden projiziert wurden, haben sich dank KI-gestützter Bildgenerierung auf ein neues Level katapultiert. Diese Entwicklung darf gerne voranschreiten.

(mki)