Von Tapeten bis Roboterfische: Highlights der Ars Electronica 2024

Das Linzer Festival wächst und verändert sich. Seinen 112.000 Besuchern präsentierte es KI-generierte Kunst, EU-geförderte Projekte und mehr.

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"Flock of" war ein Raum voller heliumgefüllter Fische, die vom Boden bis zur Decke umherschwimmen.​

Eines der Werke, die auf der Ars Electronica zu sehen waren: "Flock of" war ein Raum voller heliumgefüllter Fische, die vom Boden bis zur Decke umherschwimmen.

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Johannes Schacht
Inhaltsverzeichnis

Wer das Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft – Ars Electronica – zum ersten Mal besucht, wird von der Fülle der Ausstellungen, Konferenzen, Workshops und Performances beeindruckt und von einzelnen Werken überwältigt sein. Auch der langjährige Besucher entdeckt herausragende Kunst, aber er sieht auch den Wandel des Spektakels und die Kräfte, die diese Änderungen hervorbringen.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Das diesjährige Motto des Festivals, das vom 4. bis zum 8. September in Linz stattfand, lautete "Hope. Who will turn the tide". Der Programmtext ist bemüht, den Eindruck von Hoffnungslosigkeit zu zerstreuen. Man ist überzeugt, dass es keine technische Innovation geben wird, die die großen Probleme der Gesellschaft lösen kann, und man sieht auch nicht, wie das Blatt gewendet werden könnte. Wer es aber am Ende tun wird, das will man zeigen. Es sind die vielen Initiativen aus aller Welt, die Veränderung konkret umsetzen, aus denen Mut geschöpft werden kann.

Und doch: Wer Hoffnung sucht, der hat sie wohl irgendwie verloren und es fragt sich, was sich für die zwar stets den gesellschaftlichen Entwicklungen gegenüber kritische, aber im Kern fortschrittszugewandte Szene geändert hat. Man kann nur spekulieren. Es wird nur ganz allgemein von "Problemen" gesprochen, ohne sie zu benennen, so, als gäbe es eine Einigkeit, was die Probleme sind, so als gäbe es keine gesellschaftliche Spaltung mit zwei unvereinbaren Sichten auf unsere Zeit.

Aber man sollte das Motto des Events nicht überbewerten. Die Zeiten, in denen die ARS kritische Impulse im Diskursraum der Medien- und Computerkunst gesetzt hat, sind schon länger Vergangenheit. Mit 112.000 Besuchern, 1260 Künstlern, Wissenschaftler und Aktivisten und 500 Veranstaltungen hat das Festival eine Größe erreicht, die eigene Zwänge und Möglichkeiten mit sich bringt. Der langjährige künstlerische Leiter des Festivals, Gerfried Stocker, zeigt sich begeistert darüber, wie sich immer weitere Initiativen der ARS anschließen und wie das Festival sich zugleich in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen verankert. Er versteht die ARS als Plattform, die der weltweiten Szene alljährlich ein Zentrum, eine Heimat bietet. Und in der Tat wäre der Schaden groß, wenn es das Festival aus irgendeinem Grund nicht mehr gäbe. Im Zuge dieser Veränderung ist das Festivalmotto keine inhaltliche Vorgabe an die Künstler, sondern das Kondensat, das die Kuratoren aus den Einreichungen ziehen. Die Gefahr, die solcher Entwicklung innewohnt, ist die Blasenbildung, aber noch dürfte der weiter wachsende Zustrom an Neuem dem entgegenwirken.

Eine Kraft, die immer mehr Einfluss auf die ARS nimmt, ist die EU-Kommission. Die Anbindung an die europäischen Institutionen wird zunehmend enger, wie Veronika Liebl ausführt. Sie hat den Prozess von Anfang an begleitet und leitet das Festival, seit Martin Honzik beschlossen hat, die Medienkunst in Dubai zu fördern. Liebl ist auch Mitglied des Executive Boards, was die Bedeutung der EU-Anbindung unterstreicht.

Ausgangspunkt war ein Feedback aus EU-Projekten. Viele Evaluierungen ergaben, dass ein Out-of-the-Box-Denken wichtig wäre, um den Lösungsraum für Aufgabenstellungen zu erweitern. Die ARS war eine von vier Organisationen, die Vorschläge erarbeiteten, um diesem Missstand abzuhelfen. Heraus kam unter anderem der "S+T+ARTS-Preis", der von der ARS vergeben wird. Auch wenn es wenig überrascht, ist es dennoch nicht selbstverständlich, dass es die Linzer sind, die mit der Preisvergabe beauftragt sind. Die ARS hat sicherlich eine unbestrittene Kompetenz in der Abwicklung von Ausschreibungen und Preisvergaben im Umfeld der Medienkunst und es liegt in Logik des Wachstums, dass bei der Vergabe neuer Preise, Behörden wie das österreichische Außenministerium diese Aufgabe nach Linz geben. Aber die EU schreibt die Verträge alle vier Jahre neu aus und damit der Preis weiterhin beim Festival verbleibt, bemüht sich Liebl, die ARS tiefer in die supranationale Organisation zu verankern. Stolz erzählt sie beim Rundgang von den 100 Initiativen, die in 18 EU-Projekten zusammengeschlossen sind, und aus denen die diesjährigen Preisträger gewählt wurden.

Es gibt in diesem Jahr drei "S+T+ARTS-Preise". "Calculating Empires: A Genealogy of Power and Technology, 1500-2025" ist eine beeindruckende, 3 x 24 Meter große Tapete, die den Eingang der Ausstellung in der Postcity, dem Hauptquartier des Festivals dominiert. Vollgepackt mit teils kleinen Fonts, mit Grafiken und Symbolen mutet die schwarze Wand mit weißer Beschriftung an, wie der Konstruktionsplan für ein Raumschiff. Es kostet einen Moment Überwindung nahezutreten und sich der überbordenden Informationsfülle auszusetzen, die Kate Crawford (AU), renommierte Forscherin und Kritikerin auf dem Gebiet der KI, gemeinsam mit Vladan Joler (RS) zusammengestellt hat.

"Calculating Empires: A Genealogy of Power and Technology, 1500-2025"

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht)

Was gezeigt wird, ist die Entwicklung der Technik sowie der Machtstrukturen heruntergebrochen in elf Zeitabschnitte und in 33 Kapitel mit vielen Unterstrukturen. So zeigt das Kapitel „Communication Devices“ einen Strang, der von der Druckerpresse zu Fotosatz, Desktop-Publishing, E-Books, Content Generation und LLM führt. Ein anderes Beispiel zeigt dominante Militärstrategien von Burgen und Schutzgräben hin zu Cyber- und Hybrid-Warfare. Man ist versucht, die Zuordnungen an der einen oder andere Stelle zu korrigieren, merkt dann aber, wie schwierig es ist, bei der zweidimensionalen Anordnung, die Konsistenz in den Abgrenzungen zu erhalten.

Erstaunlicherweise kennt man die meisten der aufgeführten Punkte, selten tauchen Begriffe auf, von denen man noch nie gehört hat. Die Karte repräsentiert einen Denkraum, in den die meisten von uns die Entwicklungen einsortieren würden. Was nicht gezeigt wird, sind Querverbindungen und die geschichtlichen Ereignisse, die diese Welt hervorgebracht haben. Aber dieses Fehlen ist zugleich die Stärke der Karte, denn so tritt die den Dingen innewohnende Entwicklungslogik hervor. Man wünscht sich die Tapete im eigenen Arbeitszimmer als Sketch-Board; ersatzweise kann man sich die elektronische Fassung bookmarken.

Dass der zweite "S+T+ARTS-Preis" an Initiative "Arts at Cern" geht, mag durchaus begründet sein. Die Künstler-Residenzen am Kernforschungszentrum sind zu begrüßen, jedenfalls gibt immer wieder Rückmeldungen über tatsächliche Befruchtungen durch die Zusammenarbeit. Doch, dass hier eine EU-Institution der anderen einen Preis verleiht, irritiert den Steuerzahlerblick doch etwas.

Mit dem dritten Preis will die EU die Zusammenarbeit mit Afrika intensivieren. Ausgezeichnet ist ein kongolesisches Projekt, in dem es um die Rekonstruktion einer religiösen Statue geht. Es sind zwei Topoi, die im Zusammenhang mit afrikanischer Kunst häufig auftauchen: die Suche nach verlorengegangenem Wissen aus der Zeit vor der Kolonialisierung und Frage nach der Restitution von Artefakten in westlichen Museen. Beides ist leider heute eine ideologische Kampfzone und es ist schwierig, einen halbwegs neutralen Blick zu finden.