Missing Link: Contact Tracing – Gesundheit als globales Big-Data-Projekt

Seite 3: „We’ve mapped the world. Now let’s map human health.“

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(Bild: sdecoret/Shutterstock.com)

Schon länger haben die Konzerne den Gesundheitssektor als neuen Markt erkoren, nicht erst im Kontext der Corona-Pandemie. Nachdem IBM vor Jahren schon eine Krankenhauskette gekauft hatte, um an die Bilddaten von Millionen Patienten zu gelangen, zog Google kürzlich nach mit der Akquise von Ascension, dem zweitgrößten US-amerikanischen Gesundheitsdienstleister, was dem Konzern Zugriff auf die Patientendaten von 50 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern ermöglicht. Apple seinerseits ist Marktführer im Bereich der Wearables, Minicomputern, die nah am Körper getragen werden. Der Konzern meldete 2019 einen Umsatz von 24,5 Milliarden US-Dollar für das Geschäft mit Wearables. Auch diese produzieren eifrig Daten, allein in Deutschland benutzen 17 Millionen Menschen Fitness-Apps. Apple-Chef Tim Cook schwärmte kürzlich, "Apples größter Beitrag zur Menschheit" würde bald im Gesundheitsbereich zu verorten sei. Das Projekt Baseline, Googles eigene Corona-Big-Data-Initiative, gibt sich den Slogan: „Wir haben die Welt kartiert. Lassen Sie uns nun die menschliche Gesundheit abbilden.“

Hier offenbart sich ein Paradox: Auf der einen Seite tritt ein hohes Maß an Skepsis gegenüber staatlich orchestrierten Maßnahmen zutage, begleitet von einer erhitzten Debatte um technische Details. Auf der anderen Seite steht die in grandiosem Ausmaß stattfindende Datensammelpraxis privater Konzerne. Die Harvard-Professorin Shoshanna Zuboff spricht gar vom „Überwachungskapitalismus“, in dem das anlasslose Sammeln personenbezogener Daten zur Kernaktivität von Konzernen geworden ist. Contact Tracing zur Ausbeutung von „Verhaltensüberschuss“ (Zuboff) – das ist das Tagesgeschäft auf den Plattformen des digitalen Kapitalismus!

Die Debatte müsste ganz anders laufen! Wir haben es mit einer Pandemie zu tun, also mit einer länder- und kontinentübergreifenden Ausbreitung einer Krankheit. Eine breite – und das heißt angesichts der Pandemie eine weltweite – Debatte über Sinn, Einsatzmöglichkeiten und Design einer solchen App müsste stattfinden. Liegt nicht auf der Hand, auch die Bekämpfung im Weltmaßstab zu organisieren, auch beim Thema Contact Tracing?

Weder private Konzerne noch nationale Regierungen sind die richtigen Stellen für deren Herstellung, sondern etwa die WHO. Das Mandat der Weltgesundheitsorganisation ist eindeutig festgelegt: Sie soll als zentrale internationale Institution zum Schutz der Gesundheit weltweit ihren Mitgliedstaaten Informationen, Daten, Wissen und technische Hilfe zur Verfügung stellen, insbesondere bei gesundheitlichen Notlagen.

Die WHO genießt einen schlechten Ruf, nicht nur beim US-Präsidenten Donald Trump, vielen gilt sie wie andere UN-Organisationen auch als zahnlose Bürokratie, die zudem mit autoritären Regimen zusammenarbeitet. Dabei hat die WHO eine beeindruckende Erfolgsgeschichte vorzuweisen, sie ist die Erste, die auch in armen Ländern und Krisenregionen mit Medikamenten und Impfstoffen bereitsteht. Sie war entscheidend an der Ausrottung der Pocken oder der Kinderlähmung beteiligt und ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass überall auf der Welt die Impfquote bei Kindern bei beeindruckenden 86 Prozent liegt.

Auch in der Coronakrise war die WHO eine der vernünftigsten und verlässlichsten Quellen für Informationen und Handlungsanleitungen. Ihre Arbeit in der Aufklärung über und Verhinderung von Infektionskrankheiten sind historisch unschätzbar. Dabei ist sie unterfinanziert und verfügt über keine exekutiven Möglichkeiten, sie muss sich mit den nationalen Regierungen gut stellen, um handlungsfähig zu sein. Anna Holzscheiter, Leiterin der Forschungsgrupe Governance for Global Health am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), schreibt, die Kritik an der WHO "verkennt den fundamentalen Wert von Kommunikation bei der Vertrauensbildung zwischen den Ländern dieser Welt, verkennt auch die Bedeutung eines Parlaments wie der Weltgesundheitsversammlung, die jährlich tausende von Vertreterinnen und Vertretern der WHO-Mitgliedstaaten, wissenschaftliche Expertinnen und Experten sowie unzählige Repräsentanten zivilgesellschaftlicher Organisationen und profitorientierter Unternehmen zusammenbringt."