Missing Link: Cyberwar in der Trump-Ära - gezielter Angriff auf die Idee von Wahrheit

Seite 4: Cyberwar gegen die Opposition

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Praktische Beispiele aus Serbien brachte Vladan Joler mit, Professor am Institut für Neue Medien an der Universität Novi Sad. Das von ihm mit ins Leben gerufene Share Lab biete seit vier Jahren Opfern von Cyberangriffen in dem Balkanstaat kostenlose Hilfe an und sei so in rund 400 Fällen "verschiedenster Formen von Gewalt" im Netz quasi als Rettungswagen gerufen worden. Dabei sei deutlich geworden, dass die serbische Regierung oder von ihr beauftragte Saboteure in einer Form von Automatismus immer einen Distributed-Denial-of-Service-Angriff (DDoS) gegen eine Webseite führten, sobald dort Kritik veröffentlicht werde. Joler ist sich sicher: "Wir haben die Spuren gefunden – wie Blut auf dem Boden."

Da solche Zensurversuche aber kaum effektiv seien und in der Regel einen Streisand-Effekt auslösten, hat Belgrad dem Experten zufolge als nächstes "die Online-Sphäre mit Kommentaren von Trollen geflutet". Mitarbeiter des Labs hätten eine ins Netz entfleuchte Dokumentation über die eingesetzten Werkzeugkasten entdeckt, sodass sich die Handlungen dieser Truppe nachvollziehen ließen: "Die haben ein Portal, über das sie ihre Aufgaben empfangen", berichtete Joler. Spuren der Trolle seien recht einfach zu finden, da Faulenzer darunter teils dieselben Sätze hunderte Male in diverse Foren per Copy & Paste einfügten.

Ziel ist es dem Forscher zufolge, "möglichst jedes Kommunikationsfeld zu besetzen". Es solle Unsicherheit erzeugt werden, was wahr ist und ob Menschen oder Bots, politische oder zivile Agenten hinter dem Treiben steckten. Die großen Online-Plattformen legten den Trollen und ihren Hintermännern kaum Steine in den Weg, da sie mit ihren Algorithmen ebenfalls bestrebt seien, "die Leute möglichst tief in ihre Agenda hineinzuziehen". Share-Lab-Mitarbeiter hätten rund 6500 Patente und Designmuster von Facebook und Co. analysiert um herauszufinden, wie dort "unser Verhalten in Profit umgemünzt wird".

Blackout im Stromnetz - in manchen Ländern legten Angreifer schon ganze Städte lahm

(Bild: Transemdiale / Daten von WeLiveSecurity)

Bei der Frage, wie sich der Nebel des Krieges im Netz lichten lassen könnte, stochern die Wissenschaftler noch weitgehend im Dunkel. Matviyenko sprach sich für die Entdeckung der Langsamkeit aus. Da die Maschinen darauf trainiert seien, ständig alles miteinander zu synchronisieren, täten bewusste Pausen und die Abkopplung von der rechnergesteuerten Echtzeit gut. Nur so könne wieder ein echtes Gefühl für die Verbindung mit der Umwelt entstehen.

Boler riet aus ihrer philosophischen Ecke heraus, Spinoza wiederzuentdecken, um das vernetzte Subjekt neu zu fassen. Der niederländische Denker habe im 17. Jahrhundert Gefühle und Affekte gegenüber dem Verstand rehabilitiert. Leidenschaften seien ihm zufolge spontane Emotionen, die der Mensch zwar nicht sofort, aber mit etwas Bemühen richtig einschätzen lernen und aus diesem Prozess Befriedigung ziehen könne. Die Feministin rief das Publikum so auf, "Lücken in den binären Codes zu besetzen, um die affektiven Feedback-Schleifen zu durchbrechen, die zentral sind für die Totalisierung des Kriegs".

Nur eine "radikal-feministische Bot-Armee" zu entwickeln, brächte nichts, ergänzte Joler. Damit bleibe man auf dem gleichen Schlachtfeld, auf dem es in typisch maskuliner Denkart darum gehe, wer die besseren Waffen habe und länger durchhalte. Auch der Vorschlag, ein neues, stärker geschütztes Internet oder anderes Kommunikationsmedium aufzubauen, bleibe der Logik technischer Lösungen verhaftet. Maschinen zu stürmen bringe ebenfalls nichts, sodass es wohl hauptsächlich darum gehen müsse, die ausgemachten Probleme durch eine kluge Regulierung einzuhegen. (jk)