Missing Link: "Das Internet ist im Prinzip kaputt"

Seite 2: Grabstein fürs Tao gefordert

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In IETF-typischer Manier gibt es nun eine hitzige Debatte über das Tao und eine Reihe jüngerer Teilnehmer, darunter auch die aktuelle Vorsitzende des Internet Architecture Board (IAB), Mirja Kühlewind. Sie und ihr Kollege David Schinazi halten das alte Dokument für entbehrliche Folklore. "Ich dachte, das Tao ist so eine Art Schlüssel, um all die Begriffe hier zu entschlüsseln und zu verstehen, warum die Leute hier so merkwürdig sind", meckerte Schinazi. "Aber warum haben wir dem Dechiffrierschlüssel einen so verwirrenden Namen gegeben? Tao war in grauen Vorzeiten vielleicht mal ein niedlicher Name, aber ich weiß nicht viel über den Taoismus und würde wohl eher etwas weniger Irreführendes verwenden", meint der für Google in der IETF aktive Entwickler.

Tao des Pooh

Bei der Referenzierung des Tao hat, glaubt man einigen der älteren Entwickler, eher das 1982 erschienene "Tao des Pooh" beziehungsweise das "Te des Ferkels" eine Rolle gespielt. Aber die gehören heute, so beklagen manche ältere IETF-Teilnehmer, eben nicht mehr zur kanonischen Lektüre aller Nerds, ebenso wenig wie der von Tao-Autor Malkin noch eigens im Glossar für Internetuser referenzierte Neuromancer von William Gibson.

Einen Grabstein fürs angestaubte Tao forderten daher IAB-Chefin Kühlewind, Mozilla-CTO und TLS-Papst Erik Rescorla, aber auch Daniel Kahn Gillmor, der seit vielen Jahren im Dienst der American Civil Liberties Union in der IETF mitarbeitet. Er habe das Tao-Dokument durchaus mit Gewinn gelesen. Als Pflichtritual für Neulinge werde es aber doch eher zur Schikane, und "ich bin gegen Schikanen".

Statt Neulinge durch 50 Seiten eines historischen Artefakts (Rescorla) zu jagen, so die Ansicht der (etwas) Jüngeren, seien kurzgefasste Dokumente zu einzelnen Aspekten, Tutorials oder Videos zeitgemäßer, um diejenigen in die Arbeit der IETF einzuführen, die keine "Männer mit grauen Bärten" (Gillmor) seien. Ist das Ganze eine Wachablösung, ein Generationenwechsel in der IETF?

Einen ersten Generationswechsel beobachtete Jeanette Hofmann, Deutschlands vielleicht erste Internet-Governance-Forscherin, schon Mitte der 90er. Hofmann ist Gründungsdirektorin des Alexander von Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft, Principal Investigator der Forschungsgruppen Demokratie und Digitalisierung und Quantifizierung und gesellschaftliche Regulierung am Weizenbaum Institut und hält Professuren an der TU und der FU Berlin. "Man konnte zu dieser Zeit bereits einen Übergang von der Gründergeneration zu einer nachkommenden Entwicklergeneration beobachten, die nicht so sehr durch die Frontstellung zwischen der offenen, unorthodoxen Internetstandardisierung und der staatlichen Telekommunikationsregulierung geprägt waren."

Dieser erste Generationswechsel, meint Hofmann, sei zugleich von einer stärker kommerziell getriebenen Standardentwicklung für das boomende Internet geprägt gewesen. Vertreter von Herstellern und Netzbetreibern lösten die Forscher von Universitäten rund um das DARPA-Projekt ab.

Zugleich sei der Markt durchaus noch als etwas verstanden worden, was sich – im Gegensatz zur Welt der staatlich abgestimmten Standards – "von unten" entwickle, und selbst, wenn man für Firmen entwickelte, hielten die Entwickler zugute, dass sie nicht reine Firmeninteressen verfolgten. Trotz gewisser Ausnahmestellungen, etwa von Unternehmen wie Cisco oder Juniper, sei der Markt in den 90ern allerdings noch nicht so konzentriert und vermachtet gewesen wie heute, ergänzt die Berliner Forscherin.

Streng genommen sei der von Hofmann beschriebene Generationswechsel schon der Zweite gewesen, sagt John Klensin, ehemaliger IAB -Vorsitzender, Autor des E-Mail-Standards Simple Mail Transfer Protocol (SMTP) und ein IETF-Urgestein. Denn die eigentlichen Gründer, die "Arpanet-Crew", waren mit der Übergabe des Netzes von DARPA an die National Science Foundation raus. Den Bruch von einer akademischen zu einer stärker Markt orientierten Entwickler-Community kann Klensin dennoch bestätigen. Länger als andere Standardisierungsorganisationen habe die IETF dem Trend zu "professionellen Standardisierern" aus Firmen getrotzt. Aber der Trend sei nicht wirklich aufzuhalten, sagt Klensin.

Der Router- und Hardware-Hersteller Cisco, der zu Glanzzeiten 100-Menschen-starke Gruppen zur IETF brachte, die sich dann an den Saalmikrofonen gerne auch mal widersprachen, ist ein Beispiel für den Trend. "Ein Kollege im Bereich Industriesteuerung erzählte mir, dass man sich weniger auf Design und Innovation und mehr auf Marketing und Profitmaximierung konzentriert", berichtet Klensin.