Missing Link: Das Internetgewissen – von Kämpfen und Providern (Michael Rotert)

Das Ziel war die Einschreibung für ein Elektrotechnik-Studium in Karlsruhe. Angekommen entschied sich Michael Rotert um. Die Schlange für Informatik war länger.

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(Bild: akedesign/Shutterstock.com)

Lesezeit: 47 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Die erste Generation deutscher Netzpioniere zieht sich allmählich zurück und nimmt einen reichen Wissensschatz über die Geschicke des Netzes in Deutschland und manche harte Debatte um Protokolle und Politik mit. In unserer Serie sprechen wir heute mit Michael Rotert, der das Beste fürs Netz versuchte und vielleicht nur einmal auf Abwege kam.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Dies ist eine weitere Folge unserer Gesprächsserie mit Pionieren des deutschen Internets:

Michael Rotert – Das "Internetgewissen"

Fast wäre Michael Rotert in der falschen Schlange gelandet. Aber nach Informatikstudium/Wirtschaftsstudium in Karlsruhe wurde er der vielleicht sichtbarste Vertreter und Vorkämpfer der ersten Internet Service Provider in Deutschland und Europa. Mit Stationen bei Xlink, KPNQwest und Via kannte er die Provider. Er hatte seine Finger bei der Gründung des eco Verbands im Spiel, für den er nach langjähriger Vorstandsmitgliedschaft nach wie vor als Ehrenpräsident aktiv ist. Er war lange Präsident des EuroISPA und zoffte sich mehr als einmal mit dem BKA-Präsidenten. Auch die Denic und den DE-CIX hat er mit aus der Taufe gehoben. Als "Internetgewissen" meldete er sich beim Europarat in Straßburg – "bei mir um die Ecke" – sprach vor den G8- und EU-Staaten über Cybersecurity und dem Unsinn der Vorratsdatenspeicherung. Nicht immer war er erfolgreich im Angesicht politischer Wiedergänger. Kämpferisch geblieben ist er bis heute und vertritt die Interessen der Branche nach wie vor, von Landau aus, demnächst beim virtuellen Ministertreffen des Europarates.

heise online: Was hat Sie denn zur Informatik gebracht?

Michael Rotert: Das ist eigentlich eine witzige Geschichte. Ich habe während der Schulzeit alte Fernseher gesammelt. Die habe ich repariert und dann wieder verkauft, an Kollegen, für 10 Mark. Ich hatte dadurch ein Zimmer voll mit Fernsehern, obwohl meine Eltern selbst völlig gegen das Fernsehen waren. Sie haben uns nicht erlaubt fernzusehen und besaßen selbst kein Gerät. Aber ich hatte zeitweilig 17 Geräte. Das Ergebnis dieser Arbeiten war, dass ich entschieden habe Elektrotechnik zu studieren.

Damals gab es ja keine Zulassungsbeschränkungen. Man ging einfach an die Uni, an die man wollte, nahm das Abizeugnis mit und schrieb sich ein. Ich ging also nach Karlsruhe, um mich einzuschreiben und bei der Zulassungsstelle gab es neben mir da so eine lange Schlange. Ich habe die Leute gefragt, für was steht ihr denn alle an hier und die sagten, Mensch, ganz neu hier, Informatik. Da bin ich einfach rechts rüber, in die andere Schlange rein.

heise online: Das war natürlich ein starkes Motiv. Ich habe auch gelesen, dass sie zu Computern dann ähnliche Gefühle entwickelt haben wie zu den alten Fernsehern. Sie haben bis heute noch einen PC und einen Apple der ersten Generation…

Michael Rotert: Ja. Die habe ich noch, und die funktionieren auch immer noch. Im Moment stehen sie aber als Ausstellungsstücke beim Eco, beziehungsweise beim DE-CIX in Frankfurt, nach einem Gastspiel bei der Messe in Frankfurt. Ich habe nicht mehr so viel Platz.

heise online: Haben Sie die Geräte denn immer wieder angeschaltet, um zu prüfen, ob die noch funktionieren?

Michael Rotert: Genau. Manchmal ergab sich das für einen Event. Manchmal war mir einfach nach Spielen zumute. Auf dem Apple konnte man Golf spielen und ich hatte auch Turbo Pascal und ähnliches drauf. An den Apple habe ich immer mal wieder hingelangt, um ihn doch noch ins Internet zu bringen. Das hat aber einfach nicht geklappt. Beim IBM PC habe ich es dagegen geschafft. Der hat noch MS-DOS 6 gefahren, die letzte MS-DOS-Version. Das war, was er noch vertragen hat.

heise online: Sie haben 1971 Informatik studiert, dann aber gleich ein Wirtschaftsstudium angehängt, warum?

Michael Rotert: Das ist einfach erklärt. Ich habe Informatik nur bis zum Vordiplom gemacht. Danach bin ich umgestiegen, denn die Informatiker waren zu der Zeit Edelprogrammierer. Ich habe mir gesagt, ok, Programmieren ist gut, ich mach das auch gerne. Aber im Grunde will ich etwas anderes machen. Daher habe ich Wirtschaftswissenschaften mit den Nebenfächern Operation Research und Informatik gemacht.

heise online: So eine Kombination gab es da schon…

Michael Rotert: Ja. Beides war ganz am Anfang. Ich habe dann im Bereich Informatik meine Diplomarbeit bei den Wiwis gemacht und direkt anschließend auch in der Informatik angeheuert.

heise online: Bei Professor Zorn…

Michael Rotert: Erst bei Professor Krüger und das war nicht mein ursprünglicher Plan. Ich hatte an der Uni Karlsruhe das Prozessrechner-Labor betreut, da konnte man eine Eisenbahn programmieren und solche Geschichten. Ein befreundeter Kollege aus diesem Labor war zu Digital Equipment gegangen und da wollte ich auch hin. Als ich alles beieinander hatte, griff bei Digital Equipment ein Einstellungsstopp. Daher blieb ich in der Uni bei Krüger. Nach dreieinhalb Jahre wurde ich dann von Zorn abgeworben. Bei ihm habe ich die Nachfolge von Jürgen Gulbins angetreten, der damals schon einen Namen in der UNIX Szene hatte.

heise online: Richtig berühmt sind Sie geworden damit, dass Sie am 4. August 1984 die erste E-Mail in Deutschland, eine Willkommens-E-Mail des US-Wissenschaftsnetzes Csnet, erhalten haben. Gibt es die eigentlich noch in elektronischer Form?

Michael Rotert: Nein. Nur auf Papier. Den Ausdruck habe ich dem Stadtarchiv Karlsruhe vermacht, und die Stiftung deutsches Kulturgut hat den Ausdruck danach in einen Kalender aufgenommen. Der hängt hier in meinem Büro. Die Stiftung hatte für die Restauration des Ausdrucks gesorgt und gesagt, die Restauration sei ganz schön teuer gewesen – wegen der vielen Fingerabdrücke darauf. (lacht)

Die Geschichte um die Mail ist bisher übrigens technisch nicht immer ganz korrekt wiedergegeben worden. Die erste E-Mail war nicht die erste E-Mail. Das haben Journalisten draus gemacht. Es ging viel mehr um den ersten E-Mail-Server. Mit dem Aufspielen der Software und dem Anschluss an das Csnet war verbunden, dass man die E-Mails auch in der deutschen Wissenschaft verteilen konnte. Irgendjemand musste dafür die Bereitschaftserklärung bekommen, und da ich die Software aufgesetzt hatte, habe ich eben diese Erklärung bekommen. Und daraus wurde dann in der öffentlichen Wahrnehmung "die erste E-Mail".

heise online: Tatsächlich hatten Sie damit den ersten Mailserver am Start, über den Mails zwischen Deutschland und den USA ausgetauscht werden konnten…

Michael Rotert: Genau. Deutschland war damit das erste Land, das den Anschluss ans Csnet geschafft hat. Bei jährlichen Treffen des Csnet wurde übrigens immer diskutiert, wer als nächstes angeschlossen wird. Es gab eine Liste der Kandidaten, auf der stand Israel an Position eins. Denen fehlte aber das Geld und so blieben sie ein ewiger Aspirant. Wir standen viel weiter hinten, waren aber die Ersten außerhalb von Amerika, die angeschlossen waren.

heise online: Tatsächlich gab es ja auch andere, die für sich reklamieren, dass sie schon Nachrichten international ausgetauscht haben, die Dortmunder Kollegen sind ja über Amsterdam gestartet…

Michael Rotert: Das war der große Unterschied. Die Dortmunder kamen über UUCP, das Unix-to-Unix Copy Protokoll. Das waren die absoluten Unix Freaks. Ich hatte zwar auch Berkeley Unix Software laufen, aber auf einer VAX. Das eigentliche Ziel unseres Projekts war letztlich, ans ARPAnet zu kommen. Das Csnet sahen wir als Zwischenstufe, um mit den Leuten mal auf gleicher Höhe zu argumentieren. Um das aufzusetzen, habe ich mich anfangs in den US-Account eines Karlsruher Professors eingewählt, der eine Zeit lang in den USA gearbeitet hatte. Über diesen E-Mail-Account habe ich erst mal Kontakt mit den Csnet Leuten aufgenommen.

heise online: Interessant…

Michael Rotert: Karlsruhe kam also mehr über die reine Internetschiene. Dortmund kam von der Unix-Schiene. Man kannte sich, man hat sich getroffen und hat sich nicht gebissen. Alles war gut. Bis zu dem Zeitpunkt, als die beiden Provider kommerziell wurden und beim Eunet andere Firmen, etwa RWE und Mannesmann mit einstieg. Erst haben die ausgegründet. Wir mit Xlink kamen ein halbes Jahr später. Dann waren die freundlichen Unizeiten vorbei.

heise online: Ich habe in mehreren Gesprächen mit Netzpionieren immer wieder gehört, dass das DFN hinterherkam…

Michael Rotert: Das DFN hatte einen ganz anderen Ansatz. Der Ansatz war von heute aus betrachtet gar nicht so schlecht. Vielleicht wären wir dann nicht bis heute mit so anfälligen Protokollen gesegnet. Aber das DFN hat wie ein Missionar versucht, bei der Wissenschafts-Community ihren Ansatz durchzudrücken. Das kam nicht gut an und die Wissenschaftler haben fast ausnahmslos gesagt, es nützt uns wenig, wenn wir nicht international, etwa mit den Amis kommunizieren können über das Netz. Karlsruhe hat dann als DFN Projekt den Anschluss ans Internet betrieben und da wollten alle dabei sein. Die ersten mit einer richtigen Leitung waren die Kollegen in Saarbrücken, das BelWü in Stuttgart war ganz schnell mit dabei. Und so hat die Missionierung durch das DFN nicht geklappt, die Wissenschaft hat sich für das Internet entschieden.

heise online: Und gegen OSI…

Michael Rotert: Ja. Die Amerikaner wollten damals die OSI Protokolle sogar noch anpassen. Die DFN Protokollwelt hatte einen großen Nachteil. Wenn das Ding auf einem Rechner lief, lief auf dem nichts anderes mehr. Das heißt, man brauchte einen extra Rechner. Um an ein normales, lokales Netz heran zu kommen, benötigte man überdies ein extra Interface. Das war irre aufwändig. Die Amis wollten das nochmal alles gerade ziehen. Aber dafür haben sie dann einfach kein Geld mehr bekommen. Und so sind wir dann bei den alten Internetprotokollen hängen geblieben.

heise online: Würden die aktuellen Souveränitätsfragen anders diskutiert, wenn diese Alternative damals doch noch zum Zug gekommen wäre? Oder kann man das so nicht sagen?

Michael Rotert: Doch, das kann man durchaus sagen. Die Schwächen des Domain Name System hätten wir nicht, denn wir hätten dafür etwas anderes. Die Spam- und auch Security-Geschichten wären anders. Man hätte deutlich mehr eingebaute Sicherheit von Anfang an mit integriert, denke ich. Ob die Protokolle sich am Ende als so massentauglich erwiesen hätten wie IP, etwa beim Einsatz für kleine mobile Endgeräte, das kann man nicht einfach sagen. Natürlich hätte auch eine Entwicklung stattgefunden. Aber so im Nachhinein betrachtet, wäre so ein paralleles System vielleicht nicht so schlecht gewesen. Eigenständig – mit Übergängen zu IP.

Übergänge in existierende lokale Systeme, das war damals ja das A und O. Jeder hat ein Gateway zu Unix ein Gateway zu Decmail und ein Gateway dahin und dorthin gebaut.

heise online: Darauf haben sich auch Geschäftsmodelle aufgebaut, wie die erste Karlsruher Ausgründung, die Conware…

Michael Rotert: Zorn hatte für die Vernetzung von Siemensrechnern bereits erfolgreich eine Firma aus der Uni ausgegründet, die Conware. Als Betriebsrechner für die Fakultät für Informatik hatte Zorn zunächst eine Borroughs betrieben und danach eine Siemens. Er war damals ganz schön Siemens-hörig. Aber die Fakultät hat irgendwann Druck gemacht, dass man auch Vaxen brauche. Es war vor allem wegen meines VAX-Knowhows, dass ich vom Institut Krüger zur Informatik-Rechnerabteilung Zorn wechselte.

heise online: Ich will das Stichwort vom "schwachen DNS" aufgreifen. Warum schwach? Und, die Willkommens-EaMil des Csnet 1984 ging ja erst mal an Michael Rotert@germany. Da war noch nichts mit uni-karlsruhe.de...

Michael Rotert: Da gab es noch keinen DNS. Man musste aber jedem Rechner einen Namen geben. Die Amis haben da gerne Star Wars oder ähnliches genommen. Aber viele Unis hatten auch Käsesorten als Namen. Da wurden dann immer Tabellen ausgetauscht…

heise online: @emmentaler, @camembert, oder wie?

Michael Rotert: Tja. Das war ganz witzig. "Gethost" war unter Unix das Kommando zum Herunterladen der Namens- und Adresstabellen und Csnet hat diese Tabellen ebenfalls genutzt. Dann hat man versucht, als der .mil-Teil (Militärischer Netzteil im ARPAnet) sich abgespalten hat, in den USA Pseudodomains einzuführen, Csnet, arpa und eben .mil. Danach kam die .com in Mode (steht für commercial, nachdem das Internet auch kommerziell genutzt werden durfte) und als diese Domain für den Wettbewerb aufgemacht werden sollte, also als man die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers ins Leben rief, war ich auch als europäischer Beobachter dabei. Die Debatten um die Verwaltung des DNS haben mir 1997 und 1998 ziemlich viele Reisen in die USA eingebracht. Die Reisekosten übernahm das US Department of Commerce, denn man musste dem ganzen einen internationalen Anstrich geben. Am Washington Airport, über den ich dann häufig zu den Gesprächen angereist bin, habe ich übrigens auch das große schwarze Gebäude gesehen, wo die Abhöranlagen für den Datenverkehr betrieben wurde.

heise online: Ich sollte da wohl gleich fragen, ob sie die Enthüllungen von Edward Snowden viele Jahre später überrascht haben?

Michael Rotert: Allenfalls in der Dimension. Dass da im großen Stil massiv abgehört wurde, das habe ich gewusst. Aber wie viel Hardware eingesetzt wird und wie viele Daten am Ende abgegriffen werden, war vielleicht schon noch überraschend.

heise online: Die Verhandlungen um den Start der ICANN waren natürlich politisch ziemlich spannend, oder?

Michael Rotert: Als dot.com geöffnet wurde, ging es um neue Verfahrensprotokolle, damit alle – nicht mehr nur der amerikanische Monopolist – NSI-Domains für Kunden aus aller Welt registrieren durfte. Bei diesem Prozess konnte, sollte, musste die EU Beobachter schicken, damit das nicht zu US-zentrisch gestaltet wird.

heise online: Das war also auch schon eine Souveränitätsgeschichte, wie haben Sie das erlebt…

Michael Rotert: Das war ganz in Ordnung. Man hat sich nicht zuletzt lange unterhalten, wie die technischen Protokolle für eine verteilte Registrierung von Domains aussehen muss. Was passiert etwa, wenn zwei die gleiche Domain registrieren und was, wenn dabei unterschiedliche Laufzeiten eine Rolle spielen. Man wusste damals schon, dass Hollywood, wenn ein Blockbuster herauskam, im Vorfeld tausend Namen registriert, damit die kein anderer haben kann. In den Verhandlungen hat man diskutiert, wie first-come-first-serve in den Registrierungsprotokollen aussehen muss, um solche Wettläufe fair zu halten. Die Programmierer gingen das ganz pragmatisch und gar nicht US-zentriert an...

heise online: Kein America first…

Michael Rotert: Nein, aber auch kein America last.

heise online: Es gab aber schon auch viel Kritik an der ICANN-Gründung, für den damaligen com-, net-, org-Monopolisten NSI war die ICANN ein rotes Tuch…

Michael Rotert: Na ja. Damals war eine Menge Geld im Domain Business. Heute ist das nicht mehr ganz so üppig. In den zwei Jahrzehnten, die die ICANN für die Zulassung neuer TLDs gebraucht hat, hat sich das etwas totgelaufen. Wo die neuen Top-Level-Domains aus meiner Sicht wirklich noch interessant sein könnten, ist im Bereich der Banken und dort, wo sonst viel Phishing passiert. Denn, wenn die mit eigenen TLDs arbeiten, kann man die Problematik besser in den Griff bekommen.

heise online: Warum sagen Sie, DNS ist ein schwaches Protokoll?

Michael Rotert: Es war leicht zu hacken. Wie bei SMTP auch konnte man in das Protokoll rein und sich Infos besorgen. Man konnte leicht in Maschinen eindringen, was damals auch geschah. Dem CCC nahestehende Studenten haben beispielsweise via Karlsruhe Banken in Argentinien gehackt. Da hatten wir dann mit dem BKA zu tun, die haben ermittelt. Aber sie wurden nicht erwischt.

heise online: War das tatsächlich kriminell, oder ging es darum Schwachstellen aufzudecken, im CCC Stil…

Michael Rotert: Nein. Das war echt kriminell. Der Student, der der Treiber war, ist ganz jung gestorben. Ich hatte diese Studentengruppe als Hiwis eingestellt und weil ich sie nicht mit Geld bezahlen konnte, habe ich mit kostenlosen Newsfeeds aus dem Internet bezahlt. Dafür haben sie meinen Rechner sauber gehalten – vor allem haben Sie mich nicht angegriffen – und sie haben für mich im Bereich Security gearbeitet…

heise online: Interessantes Konstrukt, was waren denn so praktische Aufgaben?

Michael Rotert: Beispielsweise hatte mich Digital Equipment zu einem Vortrag eingeladen und mir einen Titel von wegen Sicherheitsvergleich der Vax mit anderen Systemen vorgegeben. Ich habe also zu den CCC-Leuten gesagt, was habt ihr da, gebt mir mal ein bisschen Stoff. Damit bin ich angetreten bei Digital und nach der ersten Folie hat Digital den Vortrag abgebrochen und gesagt, also das geht die Mitarbeiter nichts an. Die CCC-Leute hatten da echt die Hand am Puls und ich habe Geld verdient, indem ich wieder gegangen bin.

heise online: Sicherheit war von Anfang an ein Thema…

Michael Rotert: Ja. Von Anfang an, und es ist nicht besser geworden und am allerwenigsten hat sich bei Mail etwas verändert.

heise online: Bevor ich zu den politischeren Themen komme, sie haben, laut dem Wiki-Eintrag über sie, auch in Frankreich und China mit vernetzt, wie war das?

Michael Rotert: Die Franzosen haben an die Amerikaner geschrieben, dass sie auch an Csnet wollen. Da haben die Amerikaner gesagt, geht doch zum Michael Rotert, der hat das schon mal gemacht. Also bin ich an Ostern 1985 nach Paris gefahren und habe denen die Sachen auf Bull-Hardware implementiert. Das war eine Unix-Implementierung, die nicht dem allgemeinen Unix-Standard entsprach und deshalb bin ich in eine Menge Einschränkungen reingelaufen, die ich dann erst mal aus dem Weg räumen musste. In Peking war ich 1990. Dort sollten Siemens Systeme und VAXen – das alles hatte man trotz der bestehenden Exportrestriktionen – ans Netz gebracht, beziehungsweise intern vernetzt werden. Ich kann mich erinnern, dass ich mit einer der ersten Lufthansa Flüge nach dem Tiananmen-Massaker dahingeflogen bin. Es war saukalt, 30 Grad Minus und die chinesischen Kollegen fanden es gar nicht gut, dass wir immer noch gern nachts gearbeitet hätten, auch um mit den Kollegen in Deutschland zu sprechen. Im Endeffekt haben Sie uns dann immer durch Essenseinladungen oder einen für mich im negativen Sinn eindrücklichen Besuch einer Pekingoper aus dem Büro zu lotsen versucht.

heise online: Mit Xlink haben Sie den Absprung von der Uni gemacht. Warum hat Xlink nicht überlebt?

Michael Rotert: Der Name Xlink steht für eXtended Lokales Informatiknetz Karlsruhe. Das war ein Service, den Zorn mit Projektmitteln aufgebaut hat. Ich war praktisch die Schaltstelle, weil ich für die Fakultät an den Maschinen saß und die Projektleute der verschiedenen Institute in der Informatik mussten die Dienste von mir beziehen, auch Prof. Zorn. Dann ging das los mit Mehrwertsteuer Problemen und überhaupt dem Problem, dass die Uni nicht Kosten für private Services tragen konnte.

Es wurde klar, dass Xlink nicht mehr im Rahmen der Uni betrieben werden konnte. Entgegen meinem Rat hat Professor Zorn auf den Verkauf gesetzt. Ich hätte gerne zusammen mit Arnold Nipper ausgegründet, da wären wir vielleicht reich geworden. Aber Zorn hat Xlink am Ende für einen Appel und ein Ei an Bull verscherbelt und so wurde dann Xlink in ein anderes Tochterunternehmen von Bull (NTG) ausgegründet. Weil ich ohnehin nicht an der Uni bleiben wollte und das Providerbusiness spannend fand, habe ich dann zusammen mit Arnold Nipper und fünf weiteren Kollegen zu Xlink gewechselt.

heise online: Sie wurden Geschäftsführer von Xlink, Arnold Nipper der CTO?

Michael Rotert: Genau. Sein Technik-Know-How war unbedingt notwendig, so jemanden hätte man zu der Zeit am Markt nicht bekommen. Wir haben dann den Umsatz jedes Jahr verdoppelt, von 1 Million, dann 2,5, 5, 10, und 20 Millionen. So ging das los.

heise online: Aber, weil Sie nicht Inhaber, sondern nur angestellter Geschäftsführer waren, konnten Sie auch den Verkauf an KPNQwest nicht verhindern, richtig?

Michael Rotert: Wir waren eine hundertprozentige Bull Tochter und Bull hat Geld gebraucht. Es gab da teilweise witzige Konstruktionen. Bull hatte einen Einstellungsstopp, aber ich brauchte wegen des Wachstums dringend Leute. Ich habe also weiter munter eingestellt und wurde deshalb gleich nach ganz oben, nach Paris zitiert – für ein halbstündiges Gespräch mit Thierry Breton. Der heutige EU-Binnenmarktkommissar war damals der Adlatus des Bull Vorstands. Dabei kam heraus, dass Bull meinen Gewinn – Xlink hat immer Gewinn gemacht – herausgenommen hat und für Xlink Verlust ausgewiesen hat. Mit dem Geld hat die Bull Deutschland AG bei sich die Löcher gestopft. Nachdem ich bei dem Gespräch in Paris meine Zahlen vorgelegt hatte, durfte ich dann mehr oder weniger machen, was ich wollte. Zumindest, solange die Zahlen gestimmt haben!

heise online: Aber brauchte Bull Geld…

Michael Rotert: Die Bull AG Deutschland brauchte Geld, weil das Computergeschäft mit den Bull Maschinen und den IBM Nachbauten, ihren Risk Maschinen, immer weiter runter ging. Dann haben sie das Tafelsilber (Xlink) verkauft und sich dabei so ungeschickt angestellt, dass sie es wiederum für einen Appel und ein Ei an KPNQwest verkauft haben – und zwar ein Jahr zu früh…

heise online: 1999, da war der Apfel und das Ei aber dann schon fetter – richtig?

Michael Rotert: Da waren es 60 Millionen – gute Verzinsung, von 250.000 auf 60 Millionen in 6 Jahren.

heise online: Zu KPNQwest sind Sie auch noch mitgegangen?

Michael Rotert: Jaja, da war ich Senior Vice President. Aber dann wollte ich kein Frühstücksdirektor mehr sein und bin dann zu Via Networks. Und derselbe Mensch, der KPNQwest an die Wand gefahren hat, hat später dann auch Via Networks weltweit an die Wand gefahren. Die kamen nämlich alle aus dem Telco Umfeld und konnten mit Services im Internet wenig anfangen. Als KPNQwest Xlink übernommen hat, haben sie gesagt, so jetzt werfen wir erst einmal alle Kunden raus, die weniger als eine Million Umsatz im Jahr machen. Und dann haben sie sich gewundert, dass sie keinen Umsatz mehr hatten.

heise online: Das klingt fast schon tragisch. Was wäre aus Xlink wohl geworden, wenn Sie und Arnold Nipper tatsächlich selbst ausgegründet hätten…

Michael Rotert: Ich habe auch noch versucht, Xlink zurückzukaufen, als KPNQwest pleite war. Ein paar Mitarbeiter waren noch da und ich bin von Kunden bekniet worden, die Services weiter anzubieten. Ich wollte das mit den Mitarbeitern übernehmen. KPN als rechtliches Nachfolgeunternehmen von KPNQwest hat das aber kategorisch abgelehnt. Sie wollten den Betrieb nach damaliger Aussage selbst fortsetzen. Das haben sie aber nie gemacht. Kleine Sache am Rande, solange ich da war, gab es keinen Betriebsrat. Das hat immer so funktioniert, obwohl wir am Ende schon über 120 Mitarbeiter waren. Als Bull mit seinem Betriebsrat reinwollte, habe ich mich mit Händen und Füßen gewehrt. Aber als KPNQwest übernommen hat und ich gegangen bin, habe ich den verbliebenen Mitarbeitern geraten, doch noch einen Betriebsrat zu gründen. Angesichts der Vorgaben von KPNQwest, etwa einem Marketingbudget, das doppelt so hoch sein musste wie der Umsatz, – damit wollte man den Börsenkurs hochjubeln – war zu befürchten, dass die Mitarbeiter da irgendwann auf der Strecke bleiben. So bekam Xlink doch noch einen Betriebsrat und die Mitarbeiter haben, soweit ich das sagen kann, auch profitiert.

heise online: Wie hat sich der Providermarkt denn entwickelt?

Michael Rotert: Also anfangs gab es nur die beiden Eunet und Xlink. Beide hatten ein leicht unterschiedliches Konzept. Eunet hatte auch Privatleute als Kunden, Xlink war immer ein reiner B2B-Provider. Xlink hatte ein Kozept mit Points of Presence (PoPs) und aus denen sind dann ja wieder unabhängige Provider entstanden. Manchen von denen existieren heute immer noch, siehe München oder Hannover. Dann kam eines schönen Tages die Telekom: Sie wollten natürlich auch auf den Markt. Da haben wir gesagt, na ja, könnt ihr ja. Aber die Telekom wollte gleich auch selbst Domains registrieren und dagegen haben sich alle Provider in Deutschland gewehrt. Wir mussten von der Telekom immer Monopolleitungen kaufen und die wollten gleich alles übernehmen.

Da haben wir gesagt, ok, dann möchten wir gern ins Leitungsgeschäft, was die Telekom natürlich abgelehnt hat. Sie haben alles versucht, um Druck auf die Provider zu machen. Sogar das Kanzleramt wurde eingeschaltet.

Am Ende haben sie die Domains schließlich aber doch bei Xlink gekauft – und wir haben damit mindestens eine Million Umsatz im Jahr zusätzlich gemacht. Trotz der Episode, habe ich die Telekom nie als Feind im Markt betrachtet. Bis die sich abgestimmt hatten, wenn jemand ans Internet wollte, hatte längst ein anderer Provider zugeschlagen.

Dann kamen andere Provider auf, nachdem Eunet und Xlink verkauft worden waren. Spannend wurde es nochmal kurz bevor die Internetblase geplatzt ist. Da wollten plötzlich ganz viele Provider werden und noch schnell absahnen. Aber so einfach war das Providergeschäft auch nicht.

heise online: Und dann kam DSL…

Michael Rotert: Als das aufkam und Internet über Mobiltelefon sich immer weiter entwickelte sind die reinen Access-Provider gestorben. Entweder haben sie auch Mobilfunk angeboten, und den Access mitgenommen oder sie haben andere Dienste zusätzlich angeboten. Da gab es dann die, die Access und Content kombiniert haben. In den frühen Jahren hatte es das WWW ja noch nicht gegeben.

Ende der 90er Jahre aber war absehbar, dass Inhalte im Internet wichtig sind und man als reiner Access-Provider nicht überleben kann. KPNQwest wollte ja selbst noch DSL anbieten. Aber das haben sie nicht auf die Reihe bekommen. Allerdings die Euro-Rings, die sie hochgezogen haben, werden heute noch von anderen Providern genutzt.

heise online: 2006 sind sie eingestiegen beim WLAN-Provider maxspot, der Hotspots für Hotels, Cafes und öffentliche Einrichtungen anbietet. Da sind sie bis heute geschäftsführender Gesellschafter…

Michael Rotert: Stimmt. Wir sind da heute aber nur noch zwei Gesellschafter, Herr Eckert, der Gründer und ich. Der dritte Gesellschafter, der die ganze Technik beherrschte, ist verstorben und ohne ihn werden wir nicht weiter machen. Der ursprüngliche dritte Gesellschafter hatte uns vor vielen Jahren eine Kill-Routine für die maxspot Software hinterlassen. Sobald sein Ersatz, den ich für den technischen Betrieb geholt hatte, das System anfasste, löschte sich alles. Da waren Hunderte von Hotspots ohne Service. Sie können sich vorstellen, was da hier los war am Telefon.

Der Nachfolger brauchte nur eine Woche, um mit Re-engineering aus den laufenden Programmen wieder das alte maxspot herzustellen. Er hat danach aber gleich eine neue, verbesserte Version gemacht. Aber solange mussten wir die Kunden vertrösten, wir hatten zum Beispiel eine ganze Klinikkette als Kunde. Das war eine harte Zeit. Maxspot hat sich als Firma übrigens nie gerechnet. Am Anfang war der Service komplett kostenlos und lebte nur davon, dass man Router an neue Kunden vertrieben hat. Es war eine Art Schneeballsystem. Der Charme von maxspot war die Freistellung der Betreiber gegenüber illegalen Downloads von Wlan-Nutzern. Dies haben wir durch Technik und politisches Know-How erreicht.

heise online: Die Kunden, also etwa die Kliniken haben nichts bezahlt?

Michael Rotert: Nein. Ich habe später eine Service Fee eingeführt. Heute noch hat maxspot große Krankenhäuser, Spielbanken etc. unter seinen Kunden. Allerdings hatten wir extra Hardware entwickelt mit einem kleinen Minirechner drin, der das Handling für eine beliebige Anzahl und Struktur von Accesspoints übernahm. Ich will maxspot eigentlich nicht weiterführen und hätte es gern zum Schutz der Kunden verkauft. Aber WLAN ist in dieser Form kein Geschäft mehr. Wie bei den Access-Providern, muss man hier auch weitere Dienste anbieten, wenn man im Markt bleiben will. Viele kleine Hotels, die noch dran hängen, sind durch Corona zudem noch ins Schleudern geraten, da bleiben die Service Fees natürlich häufig aus. Zu den besten Zeiten hatten wir weit über 1000 Hotspots in Deutschland, jetzt sind es noch ein paar hundert.

heise online: Was hat Sie gereizt, in das Geschäft mit einzusteigen, obwohl die Umsätze immer überschaubar waren…

Michael Rotert: Mich hat das Geschäft mit der Hardware und den möglichen zusätzlichen Services gereizt. Am Anfang gab es die Idee, dass man auch Location Based Services anbietet, etwa den Touristen in Heidelberg oder so. Das war 2006. Da war so was noch avantgardistisch. Ich war ganz früh bei Michael Müller, um in Berlin ganze Straßenzüge mit WLAN auszustatten und der meinte damals, dass das doch nicht funktionieren wird. Das war die eine Seite. Es gab auch noch ein anderes Motiv. Ich fand es ganz schick, diesen Musikfuzzis eins reinzuwürgen wegen des Geschreis um die illegalen Downloads. Nicht, dass ich denen keine Einkünfte gönne. Aber ich habe immer gesagt, die sollen mal anständige Verfahren aufsetzen und anständige Preise nehmen. Dann kann man über alles reden. Aber nicht sagen, der Transfers übers Netz kostet so viel wie eine geprägte CD im Handel. Das kann es ja nicht sein.

heise online: Bei den Hotspots haben sie bis zuletzt im Bundestag mit dafür gekämpft, dass das Haftungsrisiko für Wlan-Betreiber verringert und damit die Öffnung von WLANs wieder möglich wird. Gegen die VDS sind Sie auf EU und Bundesebene aktiv gewesen und Sie haben sich mit dem Eco Verband für Löschen statt Sperren eingesetzt. Trotzdem sind sie seit 2004 im Vorstand der Datakom Tochter GTEN gewesen, und die hat nichts anderes gemacht als Software und Services zum Überwachen von Netzverkehren. Wie passt das zusammen?

Michael Rotert: Aber da ging es um das G10-Gesetz – daher ja der Name – und nicht um eine Generalüberwachung von jedem und allem und es ging nicht um Vorratsdatenspeicherung.

heise online: Aber die G10-Überwachung von Datenverkehren greift ja, nach allem was wir heute wissen, in den gleichen Topf wie die Aufklärungsüberwachung des BND. Die G10-Anordnungen zur Ausleitung von Verkehren ist so umfassend, dass selbst die G10-Komission schon versucht hat, zu klagen. Also, die Begrenzung ist eine Chimäre.

Michael Rotert: Ja und nein. Zu der Zeit als ich zu GTEN ging, kamen gesetzlichen Vorgaben darüber raus, dass die Provider Überwachungsfunktionen ausschließlich zur Strafverfolgung bereithalten sollen. Und keiner hat es gemacht, weil auch die Vorgaben viel zu diffus waren. Außer der Telekom, aber der hat es auch nicht weh getan einmal etwas umsonst zu entwickeln, wenn der Hauptshareholder es anordnet. Die Telekom war ja auch bei ETSI und hat da in die Dokumente mit eingebracht, was sie hatten. GTEN hatte zu der Zeit im wesentlichen im Ausland Geschäfte – im arabischen und asiatischen Raum.

heise online: Da passt die Analogie mit G10 ja eigentlich auch nicht so richtig. Und ist es da besser?

Michael Rotert: Nein, gar nicht. Ich bin abends nach Beirut geflogen, dann nachts durchs Niemandsland über die Grenze nach Syrien, nach Damaskus. Am morgen war dann das Meeting und dann ging es auf demselben Weg zurück. Das hat mir alles nicht gefallen. Daher bin ich dann auch weg und wegen der Differenzen mit dem Gesellschafter, der mir später auch noch die Polizei auf den Hals gehetzt hat, ist mir der Abschied auch leicht gefallen, muss ich sagen. Na, und das einzige, was ich jemals verkauft habe, war ein System zur Überwachung im afrikanischen Markt, gesponsort von den Arabern. Da war für mich dann Schluss. Das war kein Geschäft und Marktführer in diesem Bereich waren Amerikaner und Israel. Und nur die Provider in Deutschland noch unter Druck setzen, das wäre mir gar nicht eingefallen. Das sollte ich aber dann, der Gesellschafter hatte da so seine Vorstellungen. Da habe ich tschüss gesagt.

heise online: Was hat sie bewogen, da einzusteigen, war‘s das Geschäft oder haben Sie einen Sinn darin gesehen?

Michael Rotert: An manchen Stellen habe ich eingesehen, dass arme Länder gesagt haben, wir wollen damit Skype ausbremsen, weil uns da Millionen durch die Lappen gehen und wir das noch nicht aufmachen können, weil wir es nicht im Griff haben. Adäquate Mittel für die Strafverfolgung schienen mir auch noch vertretbar. Da, wo ich ein Mikrofon installiere oder ein Telefon abhöre, kann ich auch Internet-Überwachung anordnen. So richtig wohl war es mir aber nie. Einerseits habe ich es als Geschäft gesehen, andererseits auch gedacht, wenn man grundsätzlich die Zusammenarbeit verweigert, und immer sagt, das geht nicht, kassiert man am Ende völlig überzogene Gesetze und steht dumm da.

heise online: Die sind dann aber doch gekommen, die überzogenen Gesetze…

Michael Rotert: Ja, sie sind dann trotzdem gekommen. Aber viel mehr passiert nicht. Ich habe es selbst erlebt, dass die Behörden nicht in der Lage waren die notwendigen Leitungen anzumieten, über die angeforderte Daten dann abfließen sollten. Das war schon zu GTEN-Zeiten so. Man startete eine Überwachung, aber wenn es viele Daten waren, fiel wegen der fehlenden Kapazitäten die Hälfte hinten runter. Der BND hat es bei der Ausleitung von dickeren Leitungen oft nicht geschafft, so viel Kapazität nach Pullach zu schaffen, dass sie alles mitkriegen, was sie gerne gehabt hätten. Na ja, zumindest haben Sie die Liste zur Schlagwortsuche von den Amis bekommen.

Die nachrichtendienstliche Überwachung war mir übrigens immer suspekt. Strafverfolgung mit Anfangsverdacht und richterlicher Anordnung – alles klar. Allerdings hat sich die Polizei da ja auch nicht so mit Ruhm bekleckert, wenn ich an die Debatten zur Sperrung von Kinderpornografie denke. Da kam jemand vom BKA und sagte, schaut mal diese Bilder an, da muss man doch blocken, filtern und sperren. Also, wenn man das Bild hat, dann sollte man doch hingehen und löschen. Wenn ich es sperre, kommt es doch bloß beim Nachbar raus.

heise online: Bleiben….

Michael Rotert: Also, GTEN, das war kein Ruhmesblatt

heise online: ….wir kurz beim Zugangserschwerungsgesetz, die "Zensursula"-Episode. Sie waren aktiv für den Eco, verhindern konnten sie das Gesetz zwar nicht, aber…

Michael Rotert: ...es wurde nach einem Jahr gekippt. Da hat Ursula von der Leyen politisch einen großen Fehler gemacht. Sie hat die Angelegenheit einer Mitarbeiterin übertragen, die sie, glaube ich, später auch mit ins Verteidigungsministerium genommen hat. Die hat die Provider unter Druck zu setzen versucht, indem sie unverpixelte Kindesmissbrauchsbilder gezeigt hat. Das hat dieser Initiative den Garaus gemacht. Der Ansatz von vdL hätte ansonsten sehr gefährlich für die Provider werden können.

Insgesamt muss ich sagen, die Beschwerdestelle beim Eco funktioniert immer besser. Es gibt natürlich nach wie vor die Missbrauchsbilder, aber wachsendes Knowhow bei der Polizei und zugleich die gesellschaftliche Ächtung haben viel bewirkt. Vielleicht sind die Täter vorsichtiger, vielleicht verschlüsseln sie mehr. Aber die Aufklärungs- und Reaktionsquote ist wirklich gestiegen. Wenn die Kölner Beschwerdestelle etwa in Russland anruft und sie auf einschlägige Bilder aufmerksam macht, die ihr gemeldet wurden, dann reagieren die Russen auch. Die Welt macht mit.

heise online: Das von Eco und von den, sagen wir mal "Stakeholdern" getragene "Löschen statt Sperren" hat also besser funktioniert als Filtern und Sperren...

Michael Rotert: Unbedingt. Es verhindert die Verbrechen nicht vollständig, Morde kann ich aber auch nicht verhindern. Der neue Anlauf zu Blocken und Sperren läuft dem zum Trotz gerade wider – im neuen Glücksspielstaatsvertrag steht es explizit drin. Als Nächstes sperren wir dann vielleicht die AfD oder wer weiß was sonst noch. Ich bleibe dabei, Sperren und Blocken sind keine geeigneten Mittel. Das Netz wird immer einen Weg um die Zensur herum finden.

heise online: Was sagen sie da zur grade eben vom Europaparlament verabschiedeten neuen Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Inhalte (Terreg), bei der Website-Betreiber terroristische Inhalte innerhalb von einer Stunde …

Michael Rotert: ...auf Zuruf...

heise online: genau, auf Zuruf von Herrn Orban löschen soll...

Michael Rotert: Gegen so etwas habe ich mich immer gewehrt. Ich habe mich stets auf den Standpunkt gestellt, dass es mindestens eine zentrale Clearingstelle geben muss, bei der internationalen Zusammenarbeit. Denn es kann nicht angehen, dass ein Polizist ohne Richtervorbehalt bei einem Provider oder einer Plattform anruft und sagt, so, sperr mal dies oder lösche das. Das muss jemand tracken können. Sonst könnte ich ja auch anrufen, mit entsprechender Absendernummer, und Sperren aussprechen. Langfristig wird das dazu führen, dass wieder Leute ihre Seiten oder Plattformen umziehen. Seien wir doch ehrlich, das eigentliche Problem solcher Inhalte wird damit kaum behoben. Es ist ein gesellschaftliches Problem.

heise online: Geht die Entwicklung aktuell nicht insgesamt sehr in eine Richtung, die bisherigen Haftungsprivilegien im Netz zu schleifen…

Michael Rotert: Doch, leider gehen wir in diese Richtung. Auch die Vorratsdatenspeicherung ist immer noch nicht erledigt. Das ist eine üble Geschichte. Wir brauchen bloß an die Mautdaten zu denken. Die sollten nur für die Lkw-Maut genutzt werden, das Grundgesetz verbiete etwas anderes. Als wir den ersten Unfall mit Todesfolge hatten, hat der deutsche Innenminister Schäuble die Mautüberwachung zum unverzichtbaren Fahndungsinstrument erklärt. Genau darin sehe ich die große Gefahr der Vorratsdatenspeicherung. Erst mal wird es gegen Terrorismus eingesetzt und am Ende gegen jeden Diebstahl. Wehret den Anfängen war immer das Motto des eco. Weil man befürchten muss, dass dieser Trend sich weiter fortsetzt, war ich immer dafür, dass letztlich alles verschlüsselt werden sollte. Dann würde sich auch die Haftungsfrage der Provider nicht mehr stellen.

heise online: Was meinen Sie ist schlimmer, der Überwachungskapitalismus der großen Privaten, staatlich Regulierung wie die Terreg oder Cyberkriminalität?

Michael Rotert: Der private Überwachungskapitalismus ist hausgemacht. Jeder einzelne muss überlegen, ob die Daten, die er hier preisgibt, auch auf dem Marktplatz verkünden würde. Aufklärung und Bildung sind da wichtig. Die jüngsten sind heute durchaus schon sensibilisiert, zumindest sehe ich das bei meiner 10-jährigen Enkelin. Das Gefährlichste ist für mich die Zunahme an kriminellen Angriffen im Netz. Das behindert die Digitalisierung, weil es Vertrauen untergräbt. Denn die Behörden, die jetzt so langsam in die Puschen kommen, bekommen da sofort eins übergebrutzelt, wenn sie angegriffen werden. Das wirft uns zurück. Für die weitere Entwicklung inklusive mehr Sicherheit und Verschlüsselung halte ich das für besonders gefährlich.

heise online: Wenn die Behörden dann selber sagen Verschlüsselung ja, aber wir brauchen Zugang…

Michael Rotert: Buuh. Also, da gibt es am Ende ein einfaches Mittel. Dann wende ich eben Steganographie an und lasse überall Bibelstellen drüberlaufen. Wenn kryptische Zeichen kommen, können Sie identifizieren, da kommt was Verschlüsseltes. Aber bei einer Bibelstelle braucht man schon eine sehr schlaue KI, damit sie erkennt, dass da noch etwas anderes dahintersteckt.

heise online: Als langjähriger Präsident des europäischen Provider-Verbands EuroISPA haben sie versucht, das "Wehret den Anfängen" umzusetzen, in dem sie sich für kooperativ entwickelte Richtlinien für die Provider engagiert haben. Lange vor dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz wurden etwa maßvolle Regeln formuliert, wie Hoster oder Plattformen mit illegalen Inhalten umgehen sollen. Warum haben sich diese von Industrie und Strafverfolgern gemeinsam erarbeiteten Standards nicht durchgesetzt?

Michael Rotert: Die Richtlinien waren zu bestimmten Zeiten durchaus Vorzeigeinstrumente. Die ersten Guidelines beim Europarat in Straßburg wurden übrigens in Verbindung mit der Games Industry gemacht. Weil wir das für eine gute Sache hielten, habe ich auch später nochmal Geld aufgetrieben – die Mitglieder von EuroISPA waren wirklich nicht reich – um eine neue Version zu machen. Aber das habe ich nie wieder hinbekommen, auch weil der Europarat sich viel stärker auf die Internationalisierung der Cybercrime-Konvention fokussiert hat. Vielleicht waren wir zu unbequem. Wir haben über die Provider Richtlinien für Grund- und Menschenrechte hart gestritten mit Alexander Seger, dem Leiter des Europarat-Vertragsbüros für die Cybercrime-Konvention. Der Rat hätte gerne viel mehr Grundsätze zu Überwachungspflichten drin gehabt. Nachdem wir da viel herausoperiert hatten, dauerte es eine Weile, bis die Strafverfolger da wieder neue ansetzen konnten.

Übrigens habe ich mich im Europarat anfangs einmal als "das Internetgewissen" akkreditiert. Denn dort wurden immer wieder Rechtsstandards diskutiert, die bar jeder Ahnung waren, was das Internet kann. Inzwischen ist das anders, das Know-How ist viel größer. Als der Europarat in Straßburg WLAN eingeführt hat, konnte das jeder abhören. Da habe ich gesagt, das könnt ihr so wirklich nicht machen. Ich bin bis heute beratend tätig und nehme beispielsweise wieder am Europarats-Ministertreffen im Sommer als Beobachter teil.

heise online: Wenn man die Entwicklung über die vergangenen 30 Jahre betrachtet, hat sich etwas bewegt? Wenn man die Hartleibigkeit bei verfassungswidrigen Gesetzen wie der Vorratsdatenspeicherung sieht, könnte man daran ja zweifeln. Oder liegt das daran, dass jede Politikergeneration von neuen anfängt und den anderen beim dritten Anlauf die Luft ausbleibt?

Michael Rotert: Ich glaube tatsächlich, bevor mehr jüngere Abgeordnete da waren, hat tatsächlich jede Politikergeneration wieder von vorne angefangen. Ich höre noch Sprüche aus der SPD nach dem Motto, das ist doch Wurst, ob das geht oder nicht. Die Provider haben das zu machen.

heise online: Die gibt es heute noch…

Michael Rotert: Jaja, die gibt es bis heute. Mit jüngeren Menschen, etwa mit Leuten wie Jimmy Schulz, hatte sich die Situation schon gebessert. Wenn also eine jüngere Generation kommt, ich will jetzt nicht gleich sagen die Annalena-Generation, da muss man erst mal noch sehen wie man dazu steht, könnte es deutlich besser werden. Die sind schon mit einem Teil der Technik groß geworden. Die gehen anders an solche Sachen ran. Das hoffe ich zumindest.

Insgesamt ist das Verständnis was Internet anbelangt, aber nicht viel besser geworden. Das muss ich auch sagen. Das beste Beispiel für mich ist da der digitale Ausschuss, der ein zahnloser Tiger ist. Eco fordert da zwar immer ein Digitalministerium, aber ich denke das hilft nichts. Das würde ausgehen wie das Ministerpräsidententreffen. Die Kollegen des Digitalministers würden sich um dessen Ideen nicht kümmern und sagen, ich brauche aber Überwachung oder ich brauche Vorratsdatenspeicherung. Nur um Geld zu verteilen und die Digitalisierung anzuschmeißen, brauche ich kein Digitalministerium. Da gehe ich also nicht konform mit dem eco. Eigentlich sind digitale Dienste und Geräte Commodity und ich habe doch auch kein Ministerium für Wasser. Tatsächlich sind wir nicht so viel weiter gekommen in der politischen Debatte und inzwischen legt der Gesetzgeber dann einfach Dinge fest und belegt das mit Strafen und die Polizei ist heute besser bei der Durchsetzung. Beim Datenschutz begrüße ich das auch, und bitte die Großen wie Facebook und Co. dann nicht auslassen. Bei der ganzen Überwachung bleibe ich dabei, Prävention nur durch Überwachung in den Netzen ist eine Illusion. Dann müssen sie die ganzen dreckigen Tools von Google auspacken, um herauszubekommen, dass eine Frau schwanger ist, bevor die es selbst weiß…

heise online: Und dann einen etwaigen Abbruch zu verhindern…

Michael Rotert: Genau. Aber da kommen wir weg von der Trennung von Strafverfolgung und Prävention. Darüber habe ich mich mit dem ehemaligen Chef des BKA, Herrn Zierke, so gestritten, dass der hinterher kaum noch mit mir geredet hat. Früher hat man den Mörder doch auch gefunden oder nicht, obwohl es keine Vorratsdaten gab. In dem Moment, wo ich KI hier einsetze, muss ich mich übrigens fragen lassen, was passiert, wenn die KI falsch trainiert ist? Taucht dann die Polizei immer am falschen Ort zur falschen Zeit auf? Ich darf nochmal an das schwarze Gebäude am Flughafen in Washington erinnern.

heise online: Die Überwachungszentrale…

Michael Rotert: Genau. Es war wirklich so. Sämtliche Leitungen, die vom Ausland kamen, gingen damals durch dieses Gebäude, auch wenn ich eine Leitung nach New York bestellte. Das war, um den Verkehr abhören zu können, und auch E-Mailverkehr wurde damals schon abgehört. Das weiß ich, weil ich einmal einen amerikanischen Kollegen darauf hinwies, dass bei uns die Leute für E-Mail per Kilobyte zahlen müssen. Und wenn dann aus USA eine E-Mail kommt, dann wird ein Dreizeiler mit einer ganzen Seite Trailer doch sehr teuer. Im Trailer standen die ganzen Buzzwords. Terrorism, Bombing und so weiter, sinnlos aneinander gereiht. Damit wollten man schon damals eine Denial-of-Service-Attacke auf die Überwacher und ihre Filter machen.

Die Frage ist, kommt dann nicht als Nächstes das Austricksen der KI (lacht)? Dann wird es noch schlimmer. Im Rüstungswettlauf für den Cyberwar gibt es am Ende nur Verlierer. Eigentlich sind die Politiker dringend gefragt, wie sie damit umgehen wollen, dass das Datenmeer größer wird und die Überwachungsmöglichkeiten sich auf immer mehr Bereiche erstrecken. Die Provider als billige Hilfssheriffs zu verwenden um zu sparen geht gar nicht! Beim Staat sind Ausstattung, Ausbildung und Strafverfolgung im Netz bis heute mangelhaft. Die Politik weiß das, aber tut nichts!

heise online: Herr Michael Rotert, vielen Dank für das Gespräch.

(bme)