Missing Link: Der Schöne und die Influencerin - von KI, virtuellen Models, Schönheitswahn und Mode

Seite 6: Instagram als Rezept gegen White Supremacy

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Die Tatsache, dass viele Kleiderstücke in asiatischen oder afrikanischen Ländern produziert werden, in Werbekatalogen und auf Laufstegen aber überwiegend weiße junge Frauen und Männer als Models unterwegs sind, ist ein weiteres Paradoxon der Modebranche. Doch nicht etwa virtuelle Models und KIs für die Modebranche scheinen hier gegenzusteuern, im Gegenteil, diese fördern bei aller versuchter "Natürlichkeit" solche Tendenzen eher. Ausgerechnet über eine digitale Applikation, die oft wegen der Förderung absoluter Oberflächlichkeit gescholten wird, wird dem Rassismus der Kampf angesagt.

Es ist Instagram, das seinen Nutzern den größten Fortschritt bei Gleichberechtigung in der Mode ermöglicht. Eine Plattform, auf der jeder sich als Model präsentieren und Follower sammeln kann, ist für Zielgruppen, die von Modekonzernen oft marginalisiert werden, ein großer Gewinn.

Nyakim Gatwech auf Instagram

(Bild: Instagram )

Ein Kommentar mit über 40.000 "Gefällt mir"-Klicks: "Ein großes Dankeschön an meine herausragenden Follower, die nicht vergessen lassen, wie schön meine Hautfarbe ist." Das schreibt Nyakim Gatwech, ein schwarzes Model aus dem Südsüdan, das in New York arbeitet. Hat Instagram etwa dazu beigetragen, die unterrepräsentierten körperlichen Merkmale von Männern und Frauen stärker in der Öffentlichkeit zu präsentieren und adäquate Rollenbilder der Identifikation zu entwickeln?

Auch der Erfolg von sogenannten "kurvigen" Männer und Frauen lässt sich auf Instagram zurückführen. Als "Curvy Models" oder "Plus Size Models" bezeichnet die Mode-Industrie alle Menschen, unter deren Haut nicht bereits die gesamte Knochenstruktur zu erkennen ist. Alles, was kein Skelett ist, ist "curvy" – heißt also im Alltag: normal, heißt aber in der Modebranche: zu dick. Weit entfernt von den Designern, die den Modelagenturen die Größe eines Knochengerüsts für ihre Haute-Couture-Schauen vorgeben, und den Modelagenten, die den Druck zu hungern an ihre Klienten weitergeben, kann sich heute jede Frau und jeder Mann mit Modelambitionen eine veritable Followerzahl selbst aufbauen.

"Instagram hat mir geholfen, das Herz von anderen Menschen auch außerhalb meines Landes zu erreichen", sagt das italienische Curvy-Model Paola Torrente gegenüber heise online. Die eigenständige Suche nach ihrer Zielgruppe und die Unterstützung durch eine individuelle Community erwies sich als ihr Glücksgriff. "Instagram und andere soziale Medien hatten entscheidenden Einfluss auf meine Karriere", erklärt Torrente. "Denn die berühmten Modemarken geben uns kurvigen Models kaum Raum."

Paola Torrente auf Instagram

(Bild: Instagram )

Instagram ist für Torrente nicht nur ein Kanal, um ihren Körper zu zeigen, so wie er ist, sondern auch, um mit Nutzern aus aller Welt zu kommunizieren, die sich mit ihr identifizieren und um Rat bitten. "Letztendlich bin ich mir deswegen hundertprozentig sicher, dass ich von virtuellen Models wie Shudu Gram oder Lil Miquela nicht ersetzt werden kann", sagt Torrente. "So viele Menschen schreiben mir in privaten Nachrichten auf Instagram, dass sie von meiner Kraft und meinem Selbstbewusstsein, meinen Körper zu zeigen, inspiriert fühlen und sich deswegen ebenfalls selbstsicherer fühlen. Der direkte Kontakt zu mir als echter Mensch kann niemals von einem digitalen Supermodel geleistet werden."

Auch Torrentes männlicher Counterpart, der 26-jährige Zach Miko wurde vom Präsidenten der Modelagentur IMG Models direkt auf Instagram entdeckt. "Ich bin aufgewachsen, ohne auch nur eine Sekunde jemals in meinem Leben daran gedacht zu haben, mit meiner Größe Model werden zu können", betont der frühere Barkeeper Miko. Er konnte es nicht fassen, als er persönlich zum Casting eingeladen wurde. "Das größte Missverständnis ist zu glauben, dass Männer sich nicht trauen, über ihre Unsicherheit wegen ihres Körpers zu sprechen. Sie glauben, das wäre schwach."

Zach Miko auf Instagram

(Bild: Instagram )

Kann der Ableger des Facebook-Konzerns etwa als eine Art Kanal der außerparlamentarischen Opposition der Modeindustrie gesehen werde? "Viele denken unbewusst, was auch immer in den Medien ist, muss richtig und wahr sein. Deswegen ist es gerade in den sozialen Medien wichtig, so viel wie möglich ethnische Diversität zu zeigen. Wir glauben nur an das was wir sehen. Und wenn du deinen Körper nicht in den Medien widergespiegelt siehst, dann hast du keine Möglichkeit an dich selbst glauben", erklärt Clementine Dessaux. Die 29-Jährige ist ein oft gebuchtes, kurviges Model aus Frankreich. Dessaux, dunkle Haare, haselnussbraune Augen und ein lustiges Sommersprossengesicht, rief 2016 die Kampagne "Allwomxnproject" ins Leben und veröffentlichte Fotostrecken auf dem sie zusammen mit alten und jungen, weißen und schwarzen, dickeren und dünneren Frauen posiert.

Clementine Dessaux (links) auf einem Foto ihrer Kampagne Allwomxnproject

(Bild: Allvomxnproject)

Erst durch Instagram wurde man auf die Fotostrecken aufmerksam, die Kampagne wurde dann in der Vogue gezeigt, auch Nike engagierte die Frauen für eine Modestrecke. 50.000 Follower hat "Allwomxnproject" auf Instagram, einer der Hauptverbreitungskanäle für die Aktivitäten des Projekts.

Vermutlich es das genau der richtige Weg für jeden, der sich über das gängige Magerwahn und knochige Schönheitsideal beschwert: Selbst einen Instagram-Account eröffnen, sich mit allen menschlichen Makeln ablichten, das Foto online stellen und selbstbewusst sagen: Ich bin schön. Die Autorin hat es selbst gewagt und ein ehrliches Foto auf Instagram veröffentlicht, und ruft alle auf, dasselbe zu tun. Virtuelle Models hin, Künstliche Intelligenz her: Es ist nicht die Technik, die den Schönheitswahn der Modeindustrie aushebelt. (jk)