Missing Link: EU Chips Act - Dekarbonisierung, Digitalisierung, Diversifizierung

Seite 2: Lieferketten: Die unsichtbare Hand des Marktes

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Shenzhen, Hafen von Yantian

(Bild: zhangyang13576997233 / Shutterstock.com)

Die Diskussion um die sogenannte Lieferkettentransparenz etwa ist keineswegs nur so blühend, weil wir guten Europäer damit zeigen könnten, dass wir natürlich keine Kinderarbeit, keine Umweltsauereien und keine Warlords unterstützen. Die Lieferkettengesetze im Bund und auf EU-Ebene sollen ein ganz anderes Problem nebenbei mit lösen: Die komplette Ahnungslosigkeit vieler Unternehmen, woher die bei ihnen eingesetzten Vorprodukte tatsächlich stammen.

Denn mit der ökonomischen Arbeitsteilung über den Planeten ging einher, dass Unternehmen oft nur noch Bedarfe an ihre Einkäufer geben. Diese bestellen über Zwischenhändler das Gewünschte und es wird Just-in-Time für den Produktionsprozess angeliefert. Von wem etwa die produktkritische Spezialschraube stammt oder das Metall oder wer die Fräsmaschine dafür herstellt, ist dem Kunden oftmals unbekannt – für die Kostenoptimierung wäre das eine unnötige Information. Und auch deshalb finden sich etwa unter den Lieferkettengesetz-Freunden auch solche, die keineswegs als Arbeitsstandard-Aktivisten bekannt wären. Denn nur wer weiß, wo etwas herkommt, kann überhaupt diversifizieren.

Was das praktisch bedeutet, zeigt sich während der Corona-Krise auf dem Medikamenten-Markt: Indien ist neben China eines der größten Generika-Herstellerländer. Als China infolge der Pandemie die Schotten dicht machte und die Lieferketten unterbrochen wurden, setzte ein Run auf Indiens Hersteller ein. Bloß: auch die hatten schnell Probleme. Denn die Apotheke der Welt im 21. Jahrhundert bezieht ihrerseits viele Grundstoffe aus China – und ohne die läuft eben nichts.

Lege nicht alle Eier in einen Korb – das ist die Devise der Diversifizierung. Und genau das soll jetzt erreicht werden – bei Rohstoffen, bei Vorprodukten, fertigen Produkten, Dienstleistungen und bei der Gewinnung nachhaltiger Energien. Blöd nur: Dafür braucht man Partner – und diese wissen das natürlich ganz genau.

Das führt zu Situationen, in denen nicht nur Chinas Präsident jetzt Russland die Bedingungen diktieren kann, wenn es um Öl- und Gaspreise geht. Denn das kommunistische China hat mit dem Nachfolgestaat der einstigen Sowjetunion noch einige offene historische Rechnungen.

Auch in anderen Regionen der Welt ist die neue Stärke kaum zu übersehen – von Brasiliens Präsident Lula da Silva bis zu Narendra Modi in Indien wird der Preis für den Westen hochgetrieben. Ein postkoloniales Selbstbewusstsein sei das, analysieren einige Beobachter ganz trocken: Afrika, Süd- und Mittelamerika und die asiatischen Staaten sähen die Gelegenheit, dass jetzt sie die Bedingungen diktieren können.

Die dortigen Staaten können sich aussuchen, mit wem sie zu welchen Bedingungen welche Beziehungen eingehen wollen. Und sie sind die Märkte der Zukunft, denn dort werden absehbar wesentlich mehr Menschen leben: "Sub-Sahara Afrika wird bis zum Jahr 2100 rund 3,5 Milliarden Einwohner haben und damit bevölkerungsreicher sein als China, Indien, Europa und Nordamerika zusammen", rechnet etwa Dirk Dohse vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel vor.

Und einwandfrei sind viele der neuen Partner ebenfalls nicht: Sind die Golf-Emirate und die wahhabitische Diktatur Saudi-Arabien wirklich die besseren Partner als China, so schwierig das Land auch ist? Ist Vietnam wirklich ein politisch verlässlicherer Produktionsstandort für iPhones und Sneaker? Wie stabil sind die Länder im westlichen und südlichen Afrika?

Derzeit jedenfalls ist Diversifizierung in aller Munde. Doch auf der ganz sicheren Seite ist nur der, der möglichst wenig auf Dritte außerhalb des westlichen Camps angewiesen ist. Und das führt dann doch zur Produktion auf heimischem Territorium, dem "friendshoring". Doch auch da sind die Probleme groß – nicht nur durch Großthemen wie den demografischen Wandel, der die Staaten des sogenannten Westens längst erfasst hat. Was bleibt also übrig? Das Reshoring – also das Wiederansiedeln.