Missing Link: Ein Plädoyer wider den KI-Populismus

Seite 2: Künstliche Intelligenz – ein Marketing-Begriff

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Bis heute müssen wir uns nun mit dieser problematischen Wortschöpfung herumschlagen. Auch McCarthys Definition ist nicht sehr präzise, geschweige denn wissenschaftlich: Erstens bemüht sie einen Vergleich mit menschlichem Verhalten bzw. unserer Haltung zu diesem: Was Intelligenz überhaupt sein soll, wird immer noch kontrovers diskutiert. Und zweitens sagt McCarthys Definition nichts über Struktur oder Funktionsweise aus. Definierten wir analog z.B. einen Motor als etwas, das stinkt und ein Auto bewegen kann, würde uns das nicht zufriedenstellen – es enthält keine Aussagen über das Wesen bzw. das Funktionsprinzip des Motors.

Die Initiatoren gingen von der Annahme aus, dass "jeder Aspekt des Lernens oder jeder anderen Manifestation von Intelligenz letztlich so genau beschrieben werden kann, dass er auf einer Maschine simulierbar ist". Das Programm des Symposiums war sehr ambitioniert: "Es wird versucht herauszufinden, wie man Maschinen dazu bringt, Sprache zu benutzen, Abstraktionen zu bilden, Konzepte zu entwickeln, Probleme zu lösen, die bisher Menschen vorbehalten waren und wie man sie dazu bringt, darin besser zu werden," schreiben die Autoren in die Beschreibung des Forschungsvorhabens.

Optimismus pur zu Zeiten der "guten alten KI", wie Hector J. Levesque die euphorische Frühzeit der KI-Forschung nennt – viel mehr als das Schlagwort selbst kam bei dem Mathematiker-Sommercamp allerdings nicht heraus…

(Bild: Johnnie Shannon )

Zehn Jahre später schuf der in Berlin geborene Joseph Weizenbaum das berühmte Eliza-Programm und damit den ersten Chatbot der Computergeschichte. Er nannte ihn in Anlehnung an Eliza Doolittle aus "My Fair Lady" Eliza. Weizenbaum war jüdische Abstammung, seine Familie floh vor den Nazis nach Amerika, wo er früh an Computerprojekten mitarbeitete, gilt als einer der Gründerväter der KI-Disziplin und hat sich als einer der ersten mit machine learning beschäftigt, also der Fähigkeit von Maschinen, Handlungen auszuführen, ohne explizit dafür programmiert worden zu sein.

"Meine Idee war, dass mein Sprach-Analyse-Programm in seiner sprachlichen Ausdrucksweise immer besser, also differenzierter, genauer und raffinierter werden würde, genau wie die Blumenverkäuferin aus dem Musical, unter der Anleitung ihres Lehrers Professor Higgins. Mein Eliza-Programm war als eine Art Zwei-Bänder-Anordnung angelegt." Auf der einen Seite der Algorithmus und auf der anderen Seite die vom jeweiligen Gesprächspartner gelieferten Daten. Das Programm konnte natürliche Sprachen "verstehen", sprich: Texteingaben verarbeiten und in Textform (auf Englisch) beantworten, der entsprechende Fachbegriff dafür lautet natural language processing.

Das von Weizenbaum 1966 am MIT entwickelte Programm funktioniert recht simpel, enthält aber schon die wesentlichen Elemente sämtlicher KI-Anwendungen. Er entwickelte zunächst ein Skript für eine Psychoberatung, das er folgendermaßen beschrieb: "Da waren zwei Gesprächsteilnehmer, der Mensch und der Computer. Der Mensch tippte seinen Gesprächsbeitrag in die Tastatur des Computers – damals nannte man es eine Schreibmaschine, die an einen Computer angeschlossen war – und mit Hilfe meines Programms analysierte der Computer diese Aussage und erzeugte eine Antwort, die über die Schreibmaschine ausgedruckt wurde."

Joseph Weizenbaum, Pionier der Künstlichen Intelligenz und gleichzeitig ihr größter Kritiker, zutiefst humanistischer Computer-Pessimist und amüsanter Erzähler, war überrascht über die Reaktionen auf sein Programm. Er beobachtete, dass sich die Nutzerinnen und Nutzer rasch auf das therapeutische Setting einließen, ja sogar begannen, emotionale Beziehungen zu Eliza aufzubauen: "Einmal führte meine Sekretärin eine Unterhaltung mit ihm; sie hatte seit Monaten meine Arbeit verfolgt und mußte von daher wissen, daß es sich um ein bloßes Computerprogramm handelte. Bereits nach wenigen Dialogsätzen bat sie mich, den Raum zu verlassen." (Joseph Weizenbaum, Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977)

Die Frage, ob wir ein Computerprogramm für intelligent halten oder nicht, scheint also eher mit uns selbst zu tun zu haben als mit dem fraglichen Programm und dessen Fähigkeiten oder Komplexität. Weizenbaum hat das klar erkannt: die "Reaktionen auf Eliza haben mir deutlicher als alles andere bis dahin Erlebte gezeigt, welch enorm übertriebenen Eigenschaften selbst ein gebildetes Publikum einer Technologie zuschreiben kann oder sogar will, von der es nichts versteht", schrieb er seinerzeit.