Missing Link: Internet für alle – eine Revolution von unten (Vera Heinau)

Neben der FU Berlin sollten auch private Anwender in den Genuss der neuen Kommunikationsmöglichkeiten kommen, fand Vera Heinau. Die Netz-Pionierin im Interview.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 43 Kommentare lesen

(Bild: Michael Traitov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 37 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Ganz allmählich verabschieden sich diejenigen, die Deutschland ab den 80er-Jahren ins Internet gebracht haben. Eine Art technischer Graswurzelbewegung waren die "Mailbox"-Betreiber, über die auch der normale Mensch seinen ersten Internetzugang bekommen konnte. Über das Glück der ersten Anbindungen berichtet Vera Heinau in unserer Serie zu deutschen Internetpionieren.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Vera Heinau

Weibliche Pioniere gab es wenige im frühen Netz. Eine ist Vera Heinau, die Ende der 80er-Jahre fand, auch die Freie Universität müsste einen Zugang an das neue Netz bekommen. Zusammen mit ihrem Kommilitonen Heiko Schlichting setzte sie nicht nur das durch, sondern engagierte sich auch bei der Gründung des Individual Network (IN), eines bundesweiten Dachverbands kleiner, privater Anbieter von Mail-, News- und später Internetzugängen. Denn neben den Kommilitonen sollten auch ganz normale Menschen in den Genuss der neuen Kommunikationsmöglichkeiten kommen. Im Interview erzählt Vera Heinau von der Rolle Berlins als Underdog in der Netzpionierszene, seine besonders preiswerten Leitungen und dem Wettbewerb zwischen IN und dem Konkurrenten Subnetz.

heise online: Frau Vera Heinau, Sie haben Chemie studiert, nicht etwa Informatik….

Vera Heinau: Ich habe Chemie und Mathematik an der Freien Universität (FU) Berlin studiert, auf Lehramt. Aber nach dem ersten Staatsexamen bin ich abgedriftet in Richtung IT und arbeite bis heute am Rechenzentrum der FU.

Wie kommt man von Chemie auf UUCP und Internet?

Die Chemie hat zu dem Zeitpunkt schon viel mit Rechnern gearbeitet. Man hat Experimente ausgewertet. Natürlich war das noch keine vernetzte Kommunikation. Dann habe ich einen Kommilitonen kennengelernt, der sich im privaten Bereich mit Mailbox-Netzen beschäftigt hat, in die man sich mit Modem eingewählte hatte. Er war ziemlich erstaunt, dass es das an der Universität nicht gab. Ich fand das hochgradig spannend. Also haben wir uns zu zweit bemüht, das im Fachbereich zu etablieren. Unser Chemieprofessor war glücklicherweise auch fasziniert von der neuen Technologie, anders als viele seiner Kollegen, für die das noch kein Thema war. Zwar hatte er keine Ahnung von der Technik. Aber er hat uns sehr unterstützt. Es war eine Zeit, in der man auch als kleiner Studierender innerhalb der Uni noch etwas auf die Beine stellen konnte.

Der Kommilitone war Heiko Schlichting, oder?

Genau. Wir haben wirklich viel zusammen gemacht. Er hat sich meist auf die technische Arbeit konzentriert. Anträge schreiben und überhaupt Bürokratie waren nicht so sein Ding. Ich habe zwar auch programmiert, habe dann aber eben ein bisschen mehr administrative Dinge übernommen. Es war eine gute Zusammenarbeit – und wir sind ja bis heute Kollegen geblieben.

Sie sind beide noch am Rechenzentrum der FU, das noch den alten Namen Zentraleinrichtung für Datenverarbeitung, ZEDATträgt. Irgendwann in den 90ern schlugen ja die Wogen auf einigen Mailinglisten hoch, weil Nutzer befürchteten, Heiko Schlichting habe seinen letzten Arbeitstag…

(lacht). Es war, wie es an Universitäten so ist. Heikos befristeter Vertrag lief aus. Wir hatten uns intern überlegt, wie wir eine Teilfinanzierung auf die Beine stellten. Dass das publik wurde, und so viele FU Beschäftigte und Studierende nachhakten, war am Ende positiv. Der Uni-Verwaltung wurde dadurch vor Augen geführt, dass es einen echten Bedarf für die Dienstleistung Mail und Internet gab, und Heiko bekam einen unbefristeten Vertrag, so wie ich später auch.

Bedurfte es bei Ihnen auch noch mal eines öffentlichen Aufschreis?

Nein. Es waren zwei weitere Jahre ins Land gegangen, das Internet war schon wieder ein bisschen mehr etabliert und man wollte auch auf die Erfahrungen, die wir mit unserem Internet-Projekt gemacht hatten, nicht mehr verzichten, von denen auch das Rechenzentrum der Universität profitierte. Zudem war klar, dass man die Versorgung mit Internet nicht mehr nur auf die Wissenschaftler beschränken konnte, die mal über historische Datenleitungen wie DatexP miteinander und mit Kollegen im Ausland kommunizieren sollten. Inzwischen war anerkannt, dass man auch die Studierenden versorgen musste, erst mit E-Mail und später auch mit anderen Diensten. Das bedeutete zugleich, dass man statt 3000 Wissenschaftler plötzliche runde 40.000 Studierende als Teilnehmer hatte. Das war natürlich eine andere Nummer und es wurden Leute gebraucht.

Hat man denn die erste Internetverbindung für die FU über das Deutsche Forschungsnetz (DFN) realisiert?

Also, die erste offizielle Verbindung ging übers DFN. Aber davor gab es einen Anschluss über die Uni Dortmund. Das war eine DatexP Leitung, eine direkte Leitung zwischen beiden Unis, die das DFN nicht organisiert hatte. Das war unser Projekt.

Sie haben nicht auf die DFN-Leitung gewartet?

Nein. Wir wollten schnell etwas haben, einfach um auch auszuprobieren, welcher technische Aufwand notwendig ist. Das Rechenzentrum war zu dieser Zeit noch voll in der X400 Welt, und genau das war auch der Grund, warum wir das am Fachbereich aufgezogen haben.

Praktisch eine Revolution von unten….

Ja. Aber das Rechenzentrum hat sich das von uns vorstellen lassen. Die wollten natürlich wissen, was im Fachbereich für komische Dinge getrieben werden, zumal das ja auch noch ein studentisches Projekt war. Unser Professor trat da nach außen gar nicht auf. Streng genommen ging es um technische Fragen – die Machbarkeit. Und das Rechenzentrum hat uns dann auch mal machen lassen. Wir haben sogar einen Antrag auf Kostenübernahme für unsere UUCP-Datenübertragung gestellt. Die war ja damals noch Traffic abhängig.

UUCP war das Unix-to-Unix Communication Protocol, eigentlich ein Vorläufer von TCP-IP...

Genau. Die Leitung bekamen wir auch. Außerdem spendierte das Rechenzentrum uns noch eine zusätzliche Festplatte zur Datenhaltung. Wir sind da sehr großzügig ran gegangen und haben gesagt, also 300 Megabyte wären schon gut. (lacht) Das waren schon andere Dimensionen.

Das war viel zu der Zeit, oder nicht?

Ja. Das war viel. Denn die Messages und Mails, die da unterwegs waren, waren winzige Schnipsel.

Wie haben Sie das Aufeinanderprallen von TCP und ISO/OSI erlebt?

Ein wenig hat man die Differenzen zwischen der ISO/OSI- und der TCP-Welt mitbekommen, und auch, dass ein solches klassisches Rechenzentrum eben ganz anders agieren muss, unabhängig von der Protokollwelt. Ohne Anträge und ohne offiziellen Auftrag ging nichts, man musste der Aufsicht, dem Rechnungshof, über alles Rede und Antwort stehen.

Da konnte man als studentisch gemanagtes Projekt anders ran gehen….

Ja und das ist im Grunde bis heute auch so. Natürlich ist der DFN inzwischen sehr flexibel, auch da, wo die klassischen ISO Protokolle noch eine Rolle spielen. Aber es bleiben rechtliche Hürden, die manche Dinge nicht unmöglich, aber eben doch reichlich bürokratisch machen.

Darum haben wohl auch Chemiestudenten die FU ins Internet gebracht, und es hätte sonst wohl länger gedauert…

Vielleicht.

Sind andere Fachbereiche mit aufgesprungen?

Die Mathematik hat sich eingeklinkt. Die Lehramts-Informatik der FU Berlin, Informatik als eigenständiges Studium gab es erst später, hatte eine eigene Modemverbindung zur TU Berlin. Die blieb aber diesem kleinen Bereich vorbehalten. Die Geisteswissenschaften waren damals noch nicht interessiert. Wir haben alle Studies, von der FU und der TU, Absprache-gemäß an die Berliner Mailbox Betreiber verwiesen, mit denen wir kooperierten. Das Kalkül war, dass Heiko und ich die Betreuung all dieser User – etwa bei Modem Problemen – nicht schaffen würden. Aber es gab eine ganze Reihe privater Mailbox Betreiber. Also stellten wir denen Einwahlleitungen zu uns zur Verfügung und lieferten ihnen den Newsfeed und die Mails, die wir von der Uni Dortmund abholten. Für diesen Quasi-Dienst haben die Mailbox Betreiber zugleich ihr Know-how mit uns geteilt. Die waren ja viel weiter als wir. Es gab regelmäßige Treffen. Es waren die Startzeiten des Netzes, es war alles extrem kameradschaftlich. Hilferufe eines Admin bleiben da nie unerhört.

Habt ihr versucht, über die TU zu gehen? Oder waren die eher später dran?

Nein. Die waren tatsächlich früher. Aber Heiko und ich wollten das Know-how gerne bei uns im Haus haben. Die Leitungen zwischen TU und FU haben wir aber natürlich für den Austausch von Mail und Usenet genutzt. Usenet ist kein Punkt-zu-Punkt, sondern ein Flooding System, bei dem man überall aufgesammelt hat, was man kriegen konnte, auch wenn man dann etwas doppelt angeboten bekam.

Ihr habt für das News-Management auch einen RFC bei der IETF durchgeboxt, RFC 4707. Was war die Idee?

Hintergrund war, dass bei der Administration der Newsserver sehr viel händisch gemacht werden musste. Das hat uns gestört und wir hatten die Idee, das durch standardisierte Informations- und Datenquellen – praktisch eine Datenbank in Textfile Form – zu automatisieren. So ähnlich wie beim System der hierarchischer Name Server. Ich halte unseren Vorschlag bis heute für gut. Aber das ganze Verfahren bei der IETF war sehr zäh. Zwischendurch war der das Dokument betreuende 'Maintainer' verschollen. Dann hatte er Nachfragen, mit denen wir nichts anfangen konnten. Wir waren ja keine IETF Experten. Also mussten wir wieder rückfragen und so zog sich das ewig. Wir haben es aber durchgezogen. Bloß, als der RFC draußen war, war Usenet schon auf dem absteigenden Ast. Wir haben zwar noch eine Beispielimplementierung gemacht und es gab auch Leute, die das interessant fanden…

Aber die Zeit des Usenet war schon vorbei….

Ja, dann kamen die Yahoo Gruppen und parallel wurden Mailinglisten mehr und mehr nicht nur für Ankündigungen, sondern auch für Gruppendiskussionen genutzt. Die waren offensichtlich leichter zu moderieren als Newsgruppen. Als es mit dem Clicki-Bunti losging, da konnte das gute alte Usenet auch nicht mehr so richtig mithalten.

Wie schnell haben sich eigentlich die Nutzerzahlen bei der Uni entwickelt?

Die hohen Zahlen, das waren natürlich die Studierenden. Weil das Rechenzentrum anfangs noch in der anderen Protokollwelt war, haben wir die Studierenden, wie schon gesagt, direkt an die Mailbox-Provider weitergeschickt. Davon gab es eine Menge und die waren nicht teuer. In Berlin gab es ja den Zeittakt. Man konnte da für 20 Pfennig eine Standleitung aufbauen. Das war eine Besonderheit des armen Berlins. Als damit nach der Wende Schluss war, gaben einige der privaten Mailboxen auf. Denn für Privatbetreiber wurden die Standleitungen einfach zu teuer. Bis dahin war es so, dass sie sich alle drei Tage mal bei unserem Uniknoten eingewählt haben, für 20 Pfennig. Manche haben dann die teuren Anschlussgebühren auf die Nutzer umgelegt, aber das funktionierte nicht bei allen. Nachdem Heiko seine erste Teilzeitstelle beim Rechenzentrum bekommen hat, begann er dann dort, einen zentralen Server des Rechenzentrums für Mail aufzusetzen, und da gingen die Nutzerzahlen natürlich kontinuierlich hoch.

Damit war die Revolution dann perfekt…

(lacht). Wir sagten damals, wir unterwandern jetzt das Rechenzentrum. Das meine ich ganz freundlich. Die Kollegen waren gar nicht grundsätzlich gegen TCP/IP, sie kamen eben von ihrer Ausbildung her nur aus der anderen Welt.

Sie haben auch ein Verzeichnis für WWW-Seiten aufgebaut, was war da der Hintergrund?

1996 wollte das DFN gerne einen sogenannten „Kommunikationseinstiegspunkt“ schaffen, in erster Linie für die Mitglieder, aber solche Sachen waren dann ja auch offen. Unsere Aufgabe war es, eine Art Tor zum deutschen Web zu kreieren, unter www.entry.de. Sobald die Zahl der Webserver explodierte, war das natürlich nicht mehr gefragt. Aber zu Anfang war das ganz übersichtlich. Wir selbst waren mit der FU zum Beispiel erst der dritte Webserver in Deutschland.

Welches waren die ersten beiden?

Ich bin nicht sicher, aber das Belwü war früh dran und auch die TU München.

Wie funktionierte das Indivdiual Network (IN), wie hing es mit den Berliner Mailboxen zusammen?

Das hing alles zusammen. Die Leute, die die Berliner Mailboxen betrieben haben, wollten natürlich mehr als Mail und News, sie wollten Internet und das war für Private schwer zu organisieren. Es gab zunächst einen losen Vorläufer des späteren INBerlin.de Vereins, und es gab ähnliche Gruppierungen im Norden von Deutschland, in Oldenburg und Kiel. Ziel war überall, die Studierenden zu vernetzen, es waren alles Uni-Standorte. Zugleich wollte man das Angebot für normale Menschen offen halten. Denn für die gab es damals nichts, kommerzielle Angebote für private User waren nicht in Sicht.

Die konnten nicht bei Eunet, bei Xlink oder gar der Telekom anklopfen...

Nein, Privatleuten boten die nichts an. Aber wir sahen den Bedarf. Es gab Leute, die das haben wollten. Wir haben also mit Eunet gesprochen, die fanden die Idee vom Internet für private Nutzer sehr gut. Sie haben aber auch darauf bestanden, dass wir als juristische Person auftreten können. Das war die Initialzündung für den Individual Network Verein als Dach. Die ganzen lokalen Gruppen wurden Mitglieder. Es war ganz lustig. Bei einem der vorangegangenen Berliner Treffen waren die lokalen Gruppen aus dem Norden einfach mal gemeinsam einmarschiert, völlig unangemeldet, man kannte sich auch nur vor Mails. Sie haben gesagt, sollen wir uns nicht zusammen tun, um Leitungen zu teilen und ähnliches. Und so kam es 1991 zum ersten Abkommen.

Wie war das Verhältnis zwischen den beiden frühen Internetstandorten Dortmund und Karlsruhe und dem Norden so?

Die Uni Dortmund und Uni Karlsruhe haben sich schon als die Macher, als die Pioniere verstanden. Wir, die Berliner und auch die Nord-Kollegen waren erst mal die Underdogs. Wir hatten eben noch nicht so die Erfahrungen mit Internet, also abgesehen von den Mailboxen, und waren ganz heiß darauf und redeten uns die Köpfe heiß, wie machen wir das jetzt. Die haben das schon professioneller aufsetzen können, einfach weil sie Leute speziell für Internet eingestellt und bezahlt haben. Hier im Norden war es insgesamt stärker von privaten Akteuren getrieben, es gab da auch noch das MausNetz. Deren Mailboxen waren miteinander verknüpft, hatten aber vielfach keine zuverlässige Anbindung in die UUCP-Netze und das Internet. Und die waren auch interessiert, genau solche Gateways zu schaffen.

Können Sie sich erinnern, was IN-Berlin.de als erste Server hatte?

IN-Berlin hat sich ja aus den Mailboxen heraus gegründet und da gab es Privatleute, die privat finanziert schon diese Server hatten. Der Ralf Moritz hatte beruflich mit Hardware zu tun und hat hobbymäßig eine Mailbox betrieben und gesponsert. Er hatte übrigens als einziger Berliner auch privat eine Fernleitung. Später hat man über die Vereinsumlage Hardware angeschafft. Als der Verein gegründet wurde, habe ich mich mehr auf mein Engagement beim Individual Network konzentriert.

Der Dachverband wurde 2000 aufgelöst, aber die lokalen Gruppen bestehen teils noch.
Bei INBerlin.de kann man ja sogar noch heute eine Internetverbindung für fünf Euro kaufen. Ist das nicht ein Anachronismus oder wird das noch genutzt?

Es wird tatsächlich noch benutzt. Fünf-Euro Internet-Mitglieder dürfte es zwar nicht mehr viele geben. Die Leute haben heute andere Internetzugänge, viele über ihre Arbeitgeber. Was IN-Berlin.de aber für manche interessant macht, ist, dass man als Mitglied in den Vereinsräumen mit Rechnern rumbasteln und mal ein Netzwerk aufsetzen kann. Es gibt auch heute noch junge Leute, die das gerne mal ausprobieren – und nicht mehr so viele Administratoren, die einen so einfach an ihr Netzwerk lassen.

Was waren die größten Hürden für das IN? Geld, Maschinen, Konnektivität?

Wir hatten keine einheitlichen Maschinen. Was genutzt wurde, hing in den jeweiligen Regionalgruppen davon ab, wer bereit war, Arbeit reinzustecken. Der hat entschieden, was da angeschafft würde. Man wollte ja niemandem zumuten, sich nur aus Prinzip in ein System einzuarbeiten, das er nicht kannte. Die Server waren praktisch alles Linux Maschinen. Zu Anfang war die größte Hürde, den Providern zu vermitteln, was wir wollten. Es war nicht so, dass sie dagegen waren. Aber das Konzept privater Internetverbindungen war für sie neu. Ein heikler Punkt war, dass wir einerseits Uni-Mittel nutzten, andererseits aber eben auch normale User versorgen wollten. Die Uni Dortmund-Leute fanden das super, hatten aber ursprünglich eben auch in erster Linie Firmen versorgt. Die saubere rechtliche Konstruktion war der Knackpunkt.

Wie sahen das die anderen Provider?

Spannend war der Anschluss übers DFN. Natürlich kannten wir das DFN zunächst nur als X400 Verein. Aber es gab eine Reihe junger Mitarbeiter, die ganz wild auf die neue Technik waren, Karsten Leipold oder Jürgen Rauschenbach. Da wir alle in Berlin waren, war es einfach sich zu treffen. Gemeinsam haben wir nach Möglichkeiten gesucht, wie man vielleicht über den DFN formal korrekt eine Anbindung schaffen könnte. Hinbekommen haben wir es über die sogenannten 'Mitnutzer Verträge'. Die waren gedacht für kleinere Forschungseinrichtungen, die sich an die großen Unis anschließen wollten. Beim DFN ging natürlich alles über eine Mitgliedschaft und weil wir den Individual Network Verein ja schon hatten, fragten wir, ob wir nicht einfach Mitglied werden könnten. Vor der Frage war man beim DFN noch nicht gestanden, aber am Ende hat das geklappt. Für die DFN Anbindung mussten die jeweiligen regionalen Vereine dann allerdings noch ihre jeweilige Uni ins Boot bekommen. Darauf gab es keinen Anspruch, auch wenn die Graswurzelvereine legal waren. Der große Vorteil der DFN Anbindung waren die kurzen Wege, wenn man in einer Unistadt saß. Das war deutlich billiger als sich via Telekomleitung den Anschluss zum Eunet zu kaufen. Die Standleitungen kosteten ja pro Kilometer.

Individual Network hatte bei allen damaligen Internet Providern Zugänge, richtig?

Wir hatten Verträge mit dem BelWü in Stuttgart, dem DFN und mit EUNet und Xlink. Die lokalen Gruppen haben dann jeweils ausgewählt, was für sie günstig war. Die Anschlusskosten wurden meist lokal umgelegt, und es gab noch so eine Art Basisbeitrag für IN. Manche IN-Mitglieder hatten auch Sponsoren. Man war lokal sehr unterschiedlich aufgestellt, und sehr unterschiedlich aktiv. Wir als IN Dach bemühten uns nur drum, dass alles einigermaßen korrekt ablief.

Wie war die Verbindung zum BelWü?

Die haben als Erste sehr konsequent das Konzept eines landesweiten Wissenschaftsnetzes durchgezogen. Das bedeutete, die Universitäten konnten vieles nicht selbst entscheiden. Das machte es für private Nutzer und Betreiber noch viel schwieriger, sich da einzuklinken. Für uns war das BelWü als regionaler Provider im Süden interessant. Es hat eine Reihe von Diensten nicht über das DFN gebucht, sondern selbst angeboten. Daher haben wir mit ihnen einen Minimalvertrag für den Zugang von IN-Mitgliedern im Süden gemacht. Das war insofern recht unproblematisch, als wir einfach auf unsere DFN-Mitgliedschaft verweisen konnten. Frank Scholz hat für IN die Verhandlungen geführt, damit wir unsere Mitglieder im Süden dort anbinden konnten.

Als Alternative zum Individual Network gab es noch das Subnetz – und dazu gab es auch einen Knoten in Berlin. War das Konkurrenz?

Subnetz war tatsächlich noch ein bisschen älter. Anfangs stand beim Subnetz für einige Leute immer ein wenig die Frage im Raum, ob das legal ist. Das Ganze war komplett über die Uni Karlsruhe angebunden. Natürlich wusste die Uni davon, also es war kein gekaperter Anschluss (lacht).

Professor Zorn hat es gewusst?

Genau. Die Frage war einfach, darf man Uni-Dienste ohne Absprachen und formale Regelungen so nutzen. Heiko und ich wurden nicht zuletzt deshalb angesprochen, weil manchen Berlinern das zu heiß war. Wir wurden also gefragt, ob wir nicht in Berlin 'was Legales' aufsetzen könnten, beziehungsweise etwas, das von Anfang an mit regelrechten Verträgen aufgezogen wird. Subnetz hat damit bald nachgezogen. Das Subnetz war ursprünglich wohl, wie der Name schon sagt, etwas subversiver, gegen das Establishment. Der Ansatz war also so ein bisschen anders. Ich hab es als sportliche Rivalität gesehen, man spielte in verschiedenen Mannschaften, haute sich aber auf dem Spielfeld nicht die Köpfe ein.

Wohin ging man als Lena-Normaluserin denn, zu IN Berlin.de oder zu einem Subnetz Anbieter?

Also normale User gingen einfach zu dem, von dem sie gehört hatten. Ob IN-Berlin.de oder Subnetz, das war denen schnuppe. Mail hat man überall bekommen, News hat man überall bekommen. Subnetz hatte eine Zeitlang, soweit ich das sagen kann, auch Probleme mit Ausfällen. Manche hätten also gerne ein Backup gehabt. Für die meisten normalen Nutzer, die sich das mal anschauen, vor allem Mails verschicken, News lesen und Public Domain Software herunterladen wollten, war es wurscht in welchem Netz sie waren. Hauptsache die Mail kam an (lacht), das war ja so eine Sache. Mails haben damals manchmal Tage gebraucht und ganz sicher war es nicht, dass sie ankamen.

Lag das am Store-and-Forward-System?

Ja. Außerdem gab es, auch in den USA, viele private Betreiber. Wenn dann am ersten Urlaubstag von einem die Maschine aufgegeben hat, dann gab’s eben mal zwei Wochen keine Mail. Natürlich hat das die Leute aufgeregt. Aber mit heute kann man es nicht vergleichen, wo man gleich einen Anruf bekommt nach dem Motto "hey, ich hab dir gerade eine Mail geschickt, schau doch mal". Eigentlich ist Mail kein Echtzeitmedium. Aber heutzutage wird das erwartet.

Sie sind die erste deutsche Netzpionierin, mit der ich spreche. Gab es tatsächlich nur wenige Pionierinnen, oder sind’s gar nicht so wenige?

Es waren zu Beginn der Internetzeitrechnung schon wenige. So wenige, dass Heiko sich öfter mal fragen lassen musste, ob ich denn wirklich eine Frau sei.

Warum denn das?

Naja, man konnte damals schon per Pseudonym im Netz unterwegs sein. Vera hätte also ein Pseudonym sein können. Heiko fand das immer total lustig. Im Ernst, zu Anfang war das einfach noch super technisch. Auch für Männer, die nicht den Draht dazu hatten, war der Einstieg nicht leicht; man konnte nirgends etwas zu Mailboxen nachlesen. In den einschlägigen Zeitschriften ging es vorrangig noch um Textverarbeitungsprogramme oder Ähnliches. Das heißt, alle, die sich interessiert haben, mussten tiefer bohren. Google gab’s ja noch nicht (lacht).

Das Netz war noch im Entstehen…

Genau. Später haben sich auch mehr Frauen engagiert. Aber, und das ist mein ganz persönlicher Eindruck, die treten häufig nicht so in die Öffentlichkeit. Auch in den Netzvereinen fand man sie eher in der zweiten Reihe, wo es das weniger schillernde Amt des Kassierers oder Ähnliches zu besetzen gab.

Irgendwie hat sich das bis heute nicht nachhaltig geändert…

Nicht wirklich. Die Prozentpunkte haben sich etwas angeglichen. Aber nach wie vor ist das sehr unausgeglichen zwischen Männern und Frauen. Ich bin Frauenbeauftragte an der Zentraleinrichtung für Datenverarbeitung (ZEDAT) und da diskutieren wir das immer mal wieder. Das ist wohl etwas, was im Elternhaus oder in der Schule anfängt, wenn suggeriert wird, dass ein Mädchen Mathe doch eigentlich nicht braucht. Mädchen können das ohnehin nicht richtig. Vielleicht sind auch in der Informatik viele Bereiche sehr abstrakt. Die Frauen, die ich so kenne, gestalten Sites, programmieren Applikationen oder Spiele. Aber an der Netzwerkbasis sind Frauen selten zu treffen. Auch bei unseren Stellenausschreibungen passiert es uns immer wieder, dass sich nicht eine einzige Frau bewirbt. Meine Theorie ist dabei inzwischen auch, wenn die Frauen gut sind, und nur dann wagen sie sich in dieses Männerfeld, dann sind sie gleich so gut, dass sie nicht in den öffentlichen Dienst gehen.

Würden Sie heute selbst Informatik studieren?

Ich würde das natürlich auf alle Fälle nochmal machen. Ich bin jetzt 40 Jahre dabei und mir macht es immer noch Spaß. Ich traure allenfalls den Zeiten nach, wo ich noch mehr in der Technik und weniger Verwaltung machen konnte.

Fast Forward, was würden Sie sagen, ist aus dem Internet geworden? Ist das heutige Internet Neuland für die Pioniere? Wer hat sich mehr verändert, das Netz oder seiner frühen Macher?

Na, auf jeden Fall das Netz. Als Mensch ist man mit einem gewissen Style aufgewachsen und den legt man nicht so einfach ab. Aufgefallen ist mir, man ist heute viel, viel vorsichtiger. Ich hatte früher null Probleme, mich mit meinem Realnamen in den News zu bewegen, Mails zu verschicken oder den auch mal auf eine Webseite zu setzen. Heute überlege ich immer zweimal. Natürlich kann ich nicht mehr rauskratzen, was ich in den Jahren hinterlassen habe. Aber für mich persönlich habe ich entschieden: kein Facebook, kein Whatsapp, kein Instagram, kein Twitter oder wie sie alle heißen. Das hat auch ein wenig damit zu tun, dass ich meine Kommunikationskanäle nicht wechseln wollte. Irgendwann muss man sich entscheiden, wo man sich herumtreibt, schon allein deshalb, weil man gar nicht alle Kommunikationskanäle auf einmal bedienen kann, zumindest nicht, wenn man noch ein Leben haben möchte.

Sie nutzen weiter E-Mail...

Ich nutze nach wie vor E-Mail und Mailinglisten, News natürlich weniger. Informationen stelle ich selbst auf Webseiten und nicht auf YouTube zur Verfügung. Für mich persönlich – und bitte, nur für mich – habe ich auch entschieden, dass die alten Kanäle effizienter sind. Ich habe lieber eine klassische Textmail als eine Tofu-Nachricht, die dann noch mit Bildchen, Smilies und Links garniert ist, bis dann kommt, ok, dann treffen wir uns morgen. Bei vielen Webseiten geht es mir ähnlich. Die sehen toll aus, sind grafisch aufgemotzt, aber oft wird der Blick auf die wesentliche Information, nach der ich suche, verstellt. Und schließlich, auch das ist eine sehr persönliche Einschätzung: mir ist in den vergangenen Jahren der Sumpf einfach zu groß geworden. Wenn man einen Kanal aufmacht oder auch verfolgt, muss man das auch konsequent machen. Die ganze, ich will nun gar nicht sagen, Hetze, aber die ganzen technisch völlig unqualifizierten Dinge, die da verbreitet werden, das muss man sich doch eigentlich nicht antun. Natürlich kann ich meine Kollegen verstehen, die sagen, aber meine ganze Familie benutzt WhatsApp, was soll ich machen. Meine Familie benutzt für persönliche Chats teils Telegram – auch nicht besser. Aber sie weiß, dass sie mich so nicht erreicht. Wer mich erreichen will, schickt mir eine Mail oder ruft an.

Sie sind viel vorsichtiger, sagen Sie. Sind sie schon vorsichtiger in den Äußerungen, im Usenet hat man ja doch eine klare Sprache gepflegt…

...nett ausgedrückt.

Was bringt so ein Urteil wie das, das Renate Künast erstritten hat, nachdem "gehirnamputiert" schon zur Preisgabe von persönlichen Daten für eine zivilrechtliche Verfolgung berechtigt? Müssen Sie da auch vorsichtiger werden?

Kein Problem für mich. Ich halte eh nichts davon, sich so auszudrücken, weder im professionellen noch im privaten Bereich. Bei aller Höflichkeit sage ich aber durchaus, was ich meine. Wenn man aber manche Reaktionen sieht, überlegt man sich natürlich, ob man mit vollem Namen kommentieren will. Ich würde das im Usenet durchaus tun. An vielen Stellen muss ich mich aber fragen: soll ich mir nur wegen meines weiblichen Vornamens bescheuerte Kommentare anhören, die mit den Sachfragen, um die es geht, wirklich nichts zu tun haben?

Was würden Sie sagen, wie sich die wachsende Komplexität in den Netzen auswirkt auf die Arbeit von Providern, ist es heute nicht viel schwieriger, einen Mailprovider zu betreiben?

Ja und nein. Man muss mehr auf der Höhe sein, um neue Trends zu erkennen. Zugleich hat man heute mehr Möglichkeiten, Technik extern einzukaufen. Man kann in die Cloud gehen, kann sich einen Server bei Hetzner kaufen, nur als Beispiel. Klassische Provider brauchen ein Rechenzentrum, Monitoring. Wenn man das nicht will, kann man den Provider Betrieb auslagern. Schwieriger ist es aus meiner Sicht, weil die Kundschaft schwieriger ist. Ich kann nicht so für den Firmenbereich sprechen. Nutzervereinbarungen, FAQs, Hotlines zur Fehlerbewältigung – man muss einen ganz schönen Aufwand betreiben. Früher haben Nutzer akzeptiert, dass sie sich auch selbst kümmern mussten. Einerseits ist es gut, wie verbreitet das Netz heute ist. Andererseits sind die Ansprüche ganz schön gewachsen. Ich betreue die technische Hotline hier an der ZEDAT teils mit. Da gibt es öfter Unverständnis, wenn ein technisches Problem einmal nicht sofort gelöst wird. Wir haben in der Regel drei Leute, die sich um Trouble-Tickets kümmern, bei rund 35.000 Studierende und 6000 Beschäftigte. Mit wenigen Leuten einen Provider starten, ist heute kaum noch möglich.

Es ist also technisch einfacher, aber...

Es ist technisch einfacher, insbesondere Hardware-technisch. Man muss sich mehr um neue Trends kümmern…

Da wollte ich einhaken. Bei E-Mail sprechen manche von einer Krise wegen vieler neuer Standards, sind also die Anforderungen so groß, dass nur noch die Hyperscaler das schaffen?

Zumindest können nur die Einfluss nehmen. Die Hyperscaler setzen immer mehr die Regeln. Das sieht man beim CA/Browser Forum. Die entscheiden mal schnell, Zertifikate dürfen nur noch so und so alt sein, und schon müssen alle nachziehen, auch das DFN.

Was ist mit immer neuen Standards?

Wir haben eigentlich wenig Probleme mit den experimentellen neuen Standards, weil wir sie derzeit nicht einsetzen. Trotzdem nehmen uns die meisten noch unsere Mails ab. Google will wohl auf unsere Mails auch nicht verzichten. Bei E-Mail kommt hinzu, man versucht ein altes Protokoll gegen die Wirrungen der neuen Zeit abzusichern. Als Mail erfunden wurde, waren das alles Freunde, mit denen man sich ausgetauscht hat. Die haben einen nicht zugespammt. Klar muss man sich als Provider um die neue Technik kümmern, muss Ressourcen dafür einplanen. Dabei braucht man aber auch ein Händchen, um jeweils zu entscheiden, was ist ein Hype und was könnte sich tatsächlich langfristig durchsetzen.

Was, wenn ausgerechnet die Großen sich nicht an Standards halten, und die verbliebenen kleinen Anbieter blocken?

Ich habe es noch nicht direkt erlebt, dass kleine Provider wirklich geblockt wurden. Wir nehmen selbst seit einiger Zeit zum Beispiel keine Mails mehr, die alte Microsoft Dokumentformate im Anhang haben. Wir haben das schon lang hinausgezögert, denn an einer Uni halten sich alte Formulare hartnäckig. Letztlich denke ich, so wie wir sehr kleinteilig auf unsere Nutzer reagieren, können das kleine Provider auch tun. Provider wie das Individual Network können ihre eigenen Filterregeln noch selbst konfigurieren. Sie wollen noch mehr verstehen, was passiert. Klar, das ist ein Kostenfaktor, während wir an der Uni für diesen Dienst bezahlt werden.

Sind die Nutzer zu wenig mit gewachsen? Hat man ihnen in den ersten 40 Jahren Internet zu wenig Basiswissen mitgegeben, damit sie in etwa verstehen, was passiert und warum etwas schiefgeht?

Das stimmt in gewisser Weise. Noch schlimmer finde ich aber, wenn Unternehmen, wie etwa Microsoft werben: Hier ist dieses neue Paket, alles ganz easy, nur klicken. Man muss nichts verstehen. Da kann gar nichts schiefgehen. Das im vollen Bewusstsein, dass so ein riesiges neues Office-Programm von niemandem mehr überblickt wird und man im Grund nur auf die Rückmeldungen der Nutzerschaft wartet, um alle möglichen Scharten auszuwetzen. Aber den Nutzern wird Fehlerlosigkeit suggeriert, nicht work-in-progress. FAQs, die es hier und da immerhin gibt, sind dabei oft nicht allgemeinverständlich genug. Vielleicht ist das aber auch der Zug der Zeit. Ich fahre lange Auto und habe natürlich früher meinen Ölwechsel selbst gemacht, den Keilriemen getauscht und auch die Elektrik repariert. Heute kann ich das nicht mehr. Wenn mein Auto heute ein Problem hat, fahr ich in die Werkstatt. Ich bin ein reiner User geworden. Immerhin ist es gut, dass es dafür genügend Werkstattbetriebe gibt.

Fehlt die Internetwerkstatt?

Ja, ein bisschen fehlt das für Rechner, Gadgets und ganze Netzwerke. Vielleicht müsste es Rentner-Minijobs für Rechnerreparaturwerkstätten geben, die Computerfreaks kommen ja auch langsam ins Rentenalter (lacht).

Wie beurteilen Sie den Streit um die Regulierung der Plattformen?

Bei Facebook könnte ich mir vorstellen, dass es Konkurrenz geben kann. Bei Google mit seinen Suchalgorithmen bin ich skeptisch. Was ich für heikel halte, ist die anonyme Nutzung. Ich sehe das Problem in autoritären Staaten. Die Gesellschaft muss sich auch was einfallen lassen, wie sie mit Verbrechen in dem Umfeld umgehen will. Mit Blick auf die Marktmacht, das wird schwierig. Ich mag globale Unternehmen, denn das Netz ist global, zugleich sind sie dann eben zu mächtig. Sinnvoll wäre gewesen, wenn die EU vor 10 Jahren gesagt hätte, wir machen eigene Programme. Es ist ein bisschen scheinheilig, dass alle Microsoft einsetzen, aber zugleich beklagen, dass Microsoft ihre Daten verarbeitet.

Was würde Interoperabilität im Digital Market Act bringen? Standardschnittstellen, die Portabilität und auch den Austausch etwa von Messages oder Ähnliches erzwingt? Ist Interoperabilität ein gutes Tool gegen Marktkonzentration?

Ich denke schon, das wäre eine sinnvolle Lösung, weil der Umzug von einer Plattform zur alternativen dann einfacher wäre. Die DSGVO geht ja ein wenig diesen Weg. Offengelegte Schnittstellen wären auch gut, dann könnte man notfalls auch etwas eigenes programmieren. Wie erfolgversprechend das sein kann, da bin ich allerdings nicht ganz sicher.

Wenn man das Internet gestern und heute vergleicht, was ist der größte Unterschied?

Ich finde super toll, dass es in unseren Gesellschaften für jeden zur Verfügung steht. Man redet zwar immer so viel von den Hasstiraden, aber die allermeisten benutzen das Netz ja friedlich. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit meinen über 80-jährigen Eltern über E-Mail kommuniziere oder per Skype pandemische Weihnachten feiere. Das ist sehr viel wert. Was ich vermisse, ist die Kollegialität. Klar, je größer das wird, desto weniger kennt man sich. Was mich auch nervt, sind die vielen Sicherheitsmaßnahmen, die man heute als Provider treffen muss. Das hält von der eigentlichen Arbeit ab und man hinkt den Angreifern einfach immer hinterher. Ich betreibe also einen Riesenaufwand zur Absicherung, aber der eigentliche Nutzeffekt bleibt der gleiche, denn ich verschicke anschließend immer noch E-Mail. Früher hat man sich zu wenig Gedanken gemacht. Dass die Sicherheit heute immer der erste Gedanke ist, das ist schade und trifft uns als Provider. Eine Sache geht mir heute auch ab im Vergleich zu früher. Man konnte früher die Leute mit dem Herstellen von Konnektivität echt glücklich machen. Nach der Wende haben wir eine Modemverbindung von der FU nach Magdeburg aufgebaut. Der DAAD hat das Modem gespendet – und die in Magdeburg waren so happy, dass sie endlich eine Verbindung in den Westen hatten. Die Mails, die wir da bekommen haben! Wir haben uns über Jahre getroffen. Man hatte menschliche Erfolgserlebnisse, nicht nur technische.

Frau Heinau, vielen Dank für das Gespräch.

(bme)