Missing Link: Ist das Universum ein Donut?

Mit verschiedenen Herangehensweisen wird versucht, die Form unseres Universums herauszufinden. Die Antwort ist noch offen, die Zwischenergebnisse faszinierend.

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(Bild: NASA Images/Shutterstock.com)

Lesezeit: 45 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Wie groß ist das Universum? Woraus besteht es? Wie ist es entstanden und wie wurde es so, wie wir es heute kennen? Mit diesen Themen beschäftigt sich die Kosmologie, die Lehre von der Entstehung und Entwicklung des Universums. Sie ist derzeit eine der spannendsten Disziplinen der Naturwissenschaft und sie spannt einen Bogen von der Physik des Allerkleinsten zu den größten Strukturen, die wir kennen. Die neue Artikelreihe skizziert den derzeitigen Stand des Wissens und legt dar, warum die große Mehrheit der Kosmologen scheinbar so absurden Ideen anhängt wie von leerem Raum mit abstoßender Gravitation, der Entstehung des Universums aus dem Nichts und dem unsichtbaren Stoff, aus dem 95 Prozent des Universums bestehen. In der heutigen Folge geht es um Form und Größe des Universums.

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"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Dass die Erde eine Kugel ist, wussten die alten Griechen schon seit dem 6. Jahrhundert vor der Zeitenwende – diese Erkenntnis wird (unter anderem) keinem geringerem als Pythagoras von Samos zugeschrieben (dem mit den rechtwinkligen Dreiecken). Entgegen der weitverbreiteten Meinung, die Gelehrten hätten zu Lebzeiten Galileos noch an eine flache Erde geglaubt, hatten schon die alten Griechen erkannt, dass die dunkle Fläche, die den Mond bei einer Mondfinsternis verdunkelt, der Schatten der Erde sein muss, denn Mondfinsternisse ereignen sich stets exakt bei Vollmond, wenn der Mond der Sonne am Himmel gegenübersteht. Und dass dieser Schatten stets kreisrund ist, egal ob die Finsternis bei Mondaufgang, -kulmination oder ‑untergang stattfindet. Außerdem wussten sie, dass die Sternbilder im Süden höher über dem Horizont stehen, je weiter man sich nach Süden bewegt (beziehungsweise umgekehrt steht der Polarstern höher über dem Horizont, je weiter man nach Norden zieht). Und dass bei heimkehrenden Schiffen am Horizont zuerst die Segel auftauchen, bevor der Rumpf über den Horizont kommt.

Aber erst Ende des dritten Jahrhunderts v.u.Z. gelang es Eratosthenes von Kyrene, den Erdumfang mit für damalige Verhältnisse hervorragender Präzision zu messen. Er musste dafür nicht um die Welt reisen. Eratosthenes lebte in der ägyptischen Stadt Alexandria, die an der Mittelmeerküste liegt. Von Landvermessern wusste er, dass die Stadt Syene (heute Assuan) 5000 Stadien (das sind knapp 790 km) entfernt im Süden und ungefähr auf demselben Längengrad lag. Zur Sommersonnenwende stand die Sonne dort fast senkrecht am Himmel. In Alexandria warf ein Obelisk oder ein Gnomon (senkrechter Stab zur Messung der Sonnenhöhe) zur selben Zeit hingegen einen Schatten. Die Messung der Schattenlänge ergab, dass die Sonne dort gute 7° vom Zenit entfernt war.

Das heißt, dass der Erdboden dort aufgrund der Erdkrümmung um 7° gegenüber demjenigen in Syene geneigt war. 7° ist ein knappes Fünfzigstel des Vollkreises von 360°. So folgerte Eratosthenes, dass der Erdumfang 50-mal der Entfernung von Alexandria nach Syene entsprach: 250.000 Stadien oder 39.425 km. Verglichen mit dem heutigen Wert von 40.008 km ein beeindruckendes Ergebnis. Und dies zu einer Zeit, in der sich die ihm bekannte Welt auf den Mittelmeerraum und den Mittleren Osten beschränkte. Sein damals beobachtbarer Teil der Welt war somit viel kleiner als die Abmessungen der Erde insgesamt.

Heute stellt sich der Kosmologie ein ähnliches Problem wie Eratosthenes. Wenn unsere Teleskope Objekte in der Tiefe des Raumes beobachten, geht der Blick unvermeidbar auch zurück in die Vergangenheit, da das Licht für wachsende Entfernungen zunehmend mehr Zeit bis zur Ankunft bei uns benötigt. Dies gilt umso mehr in einem beschleunigt wachsenden Universum. Daher ist unser Blick in die Ferne begrenzt: Wir können nicht weiter zurückschauen als bis zum Urknall (oder genauer gesagt, bis zu dem den gesamten Raum erfüllenden, leuchtenden Plasma 380.000 Jahre nach dem Urknall, der Quelle der kosmischen Hintergrundstrahlung). Der Blick ans Ende der Welt endet ironischerweise am Anfang derselben – Licht ist im Urknall-Universum kurzsichtig.

Dieses Volumen bezeichnen wir als das "beobachtbare Universum". Seine Abmessungen (ein Radius von ca. 46,2 Milliarden Lichtjahren in Eigendistanz) sind bekannt, aber wie geht es dahinter weiter? Ist das Universum auch eine Art Kugel mit einem begrenzten Volumen? Oder hat es kein Ende? Können wir darüber überhaupt eine Aussage machen?

Soweit der Blick reicht, ist das Universum großräumig homogen und isotrop – wir haben das kosmologische Prinzip in dieser Reihe bereits kennengelernt. Anders ausgedrückt sieht das Universum, soweit wir blicken können, überall gleich aus, wenn man seine zeitliche Fortentwicklung mitberücksichtigt. Dies gilt insbesondere für die räumliche Struktur der Materieverteilung, die sich aus den Baryonischen Akustischen Oszillationen bis zu den heutigen Filamenten und Leerräumen (Voids) weiterentwickelt hat. Außerdem ist es im Rahmen der Messgenauigkeit flach, wie wir mit Hilfe der Feinstruktur der kosmischen Hintergrundstrahlung ermitteln konnten, die als Standardlineal verwendet werden kann, also als Struktur mit bekannten (errechenbaren) Abmessungen.

Die Homogenität und Isotropie ist eine Voraussetzung dafür, dass wir mit den Friedmannschen Gleichungen, die eine Lösung der Allgemeinen Relativitätstheorie für ein solches Universum sind, Aussagen über seine Entwicklung machen können. Allerdings geben sie nur die lokale Krümmung in Abhängigkeit von Dichte und Expansionsrate an. Die Gleichungen verraten uns nichts über die großräumige Topologie des Universums.

Großräumig ist das Universum homogen und isotrop, wie diese im Juli 2020 veröffentlichte Karte der eBOSS-Galaxiendurchmusterung des Sloane Sky Digital Survey (SDSS) zeigt. Die Karte zeigt einen Querschnitt durch das beobachtbare Universum auf der Basis von 30 Millionen gemessenen Galaxienpositionen. Die Daten verschiedener Suchprogramme sind unterschiedlich eingefärbt, mit jeweils einem Beispielobjekt und einer Graphik der dort gefundenen Abmessungen großräumiger Strukturen in den eingefügten Kästchen. Die dreieckigen dunklen Aussparungen ohne Galaxien in Richtung 10 und 16 Uhr sind Bereiche des Himmels, die von der Milchstraße ganz oder teilweise verdeckt werden. Die Skalierung auf der radialen Achse ist nicht linear und übertreibt die Größe der äußeren Zone, die aufgrund der starken Rotverschiebung und Lichtschwäche der Objekte nicht mehr großräumig erfasst werden kann. Ganz außen am Rand liegt die Quelle der kosmischen Hintergrundstrahlung und damit die Grenze des beobachtbaren Universums.

(Bild: Anand Raichoor (EPFL), Ashley Ross (Ohio State University) and SDSS)

Die Topologie ist eine Disziplin der Mathematik, die sich mit den Eigenschaften geometrischer Objekte im Raum – und dem Raum selbst – beschäftigt. Topologen reden bei der "Form" eines Raums, das heißt einer Menge von Orten, die lokal der euklidischen (=Schul-)Geometrie genügt, von einer "Mannigfaltigkeit". Mannigfaltigkeiten gibt es in beliebigen Dimensionen – ein unendlich langer Strich oder ein endlich langer Kreisumfang sind ebenso welche, wie die genannte Kugeloberfläche, der dreidimensionale euklidische Raum, oder die Strukturen der String- und M-Theorien mit 10 oder mehr Dimensionen. In der Topologie unterscheidet man grundsätzlich geschlossene und offene Mannigfaltigkeiten: Eine offene Mannigfaltigkeit hat eine unendliche Ausdehnung (Länge, Fläche, Volumen, …), wie etwa der unendlich lange Strich oder der euklidische Raum; eine geschlossene Mannigfaltigkeit hat hingegen eine endliche Ausdehnung, wie der Kreisumfang oder die Kugeloberfläche.

Mathematisch betrachtet ist die Ausdehnung einer Mannigfaltigkeit genau dann unendlich, wenn zwei Punkte in ihr beliebig große Entfernungen haben können. In einer geschlossenen Mannigfaltigkeit gibt es hingegen einen maximal möglichen Abstand zweier Punkte, etwa bei der Kugel den zweier Antipoden (zum Beispiel Nord- und Südpol). Diesen Abstand nennt man den Durchmesser der Mannigfaltigkeit.

"Offen" und "geschlossen" sind uns in der Kosmologie-Reihe schon begegnet. Ein offenes Universum hat eine Krümmung kleiner oder gleich 0 und expandiert ewig, während ein geschlossenes Universum mit einer Krümmung größer als 0 nach Erreichen eines maximalen Volumens wieder schrumpft und kollabiert. Leider verwenden Topologen und Kosmologen die Wörter "geschlossen" und "offen" in abweichender Bedeutung, was leicht zu Verwirrung führt. Bei den Kosmologen dreht es sich hierbei um die zeitliche Entwicklung (Kollaps vs. ewige Expansion), während es bei den Topologen ausschließlich um die räumliche Ausdehnung zu einem festen Zeitpunkt geht (endlich vs. unendlich)

Ein geschlossenes Universum, welches aus einer Singularität entsteht und wieder als Singularität endet, hat einen endlichen Rauminhalt und ist damit stets eine geschlossene Mannigfaltigkeit. Ein offenes Universum kann hingegen entweder eine geschlossene oder eine offene Mannigfaltigkeit sein, also entweder mit endlicher räumlicher Ausdehnung (aber ewig expandierend) oder unendlich ausgedehnt (sowohl räumlich als auch zeitlich). Daher sprechen Kosmologen anstatt von geschlossenen lieber von "kompakten" Mannigfaltigkeiten, wenn sie sich allein auf den räumlichen Aspekt beziehen.

Setzt man dem kosmologischen Prinzip folgend voraus, dass die Geometrie im Weltall überall dieselbe sein soll und Objekte, dadurch nicht verzerrt werden, dass man sie durch die Gegend schiebt, dann muss die Krümmung im Universum überall gleich sein. In dem Fall gibt es nur genau drei mögliche Varianten: eine sphärische Form, eine flache und eine hyperbolische Form.

Die flache Form ist einfach der uns gewohnte euklidische Raum mit drei Dimensionen, in denen die Gesetze der Schulgeometrie gelten: Die Winkelsumme im Dreieck ist 180°, der Kreisumfang 2πr. Wie jetzt, gilt das denn nicht überall? Nein…!

Aus der Allgemeinen Relativitätstheorie folgt, dass es ein überall gleich gekrümmtes Universum nur in drei geometrischen Varianten gibt: eine positiv gekrümmte sphärische Form, eine negativ gekrümmte hyperbolische Form oder eine flache euklidische Form. Die Dichte Ω0 bestimmt, welche Form das Universum annimmt: ist sie größer als die kritische Dichte (hier zu 1 normiert), so ist die Krümmung positiv. Ist sie kleiner, so ist die Krümmung negativ und bei exakt kritischer Dichte ist das Weltall flach. In gekrümmten Universen gelten andere Regeln als in der euklidischen Geometrie. So haben Dreiecke auf positiv gekrümmten Flächen eine Winkelsumme größer als 180°, auf negativ gekrümmten eine solche kleiner als 180°.

(Bild: NASA / WMAP Science Team)

Im dreidimensionalen Raum kennen wir die Entsprechung der sphärischen Form als Kugel. Auf der Kugel gelten die Formeln der sphärischen Trigonometrie: Dreiecke haben eine Winkelsumme stets größer als 180°. Kleine Dreiecke liegen noch nahe bei 180°, weil der Raum im kleinen Maßstab annähernd flach ist, aber ein Dreieck vom Nordpol entlang eines Längengrads zum Äquator, diesem eine Vierteldrehung entlang nach Osten und dann wieder dem dortigen Längengrad folgend zum Nordpol hat drei rechte Winkel - 270° Winkelsumme! Betrachtet man die Breitengrade als konzentrische Kreise um den Nordpol, so ist ihr Radius r vom Pol entlang eines Längengrads auf der Kugeloberfläche gemessen deutlich länger als der Radius R als dreidimensionaler Abstand des Breitengrades zur Erdachse, durch die Erde hindurch gemessen. Daher ist der Umfang des Breitengrades 2πR (mit R durch die Erde hindurch gemessen) kleiner als 2πr (r entlang der Längengrade auf der Oberfläche gemessen).

Die hyperbolische Form ist als Sattelfläche bekannt; man findet sie aber auch als Grundform von Kartoffelchips. Man erhält sie, wenn man eine Ebene entlang einer Hauptrichtung nach oben krümmt und entlang der dazu rechtwinkligen zweiten Hauptrichtung nach unten. Auf der Sattelfläche haben Dreiecke eine Winkelsumme, die stets kleiner als 180° ist und Kreise einen Umfang von mehr als 2πr (der Beweis sei dem Leser zur Übung überlassen).

Heben wir uns die kompakte Sphäre für später auf. Betrachten wir zunächst den Fall, dass das Universum flach und unendlich ausgedehnt sei. Tatsächlich ist das die Standardannahme der Kosmologie. Für die hyperbolische Form gilt Folgendes jedoch analog.

Dass ein flaches Universum ohne Krümmung unendlich groß sein kann, leuchtet ein. Ein solches Universum kann keinem Punkt entsprungen, sondern muss schon bei der Entstehung unendlich groß gewesen sein. Jeder Ausschnitt des Universums wuchs danach zwar mit der Hubble-Lemaître-Expansion, was alle Entfernungen vergrößerte, aber das Universum insgesamt trotzdem nicht größer machte. Unendlich mal Faktor x > 0 ist immer noch unendlich.

Ein Beispiel für so ein Universum ist das Ekpyrotische Universum, das wir schon als Alternative der Inflationstheorie kennengelernt haben: zwei unendlich große, parallele dreidimensionale Membranen sollen demnach durch eine höhere Dimension voneinander getrennt sein und regelmäßig miteinander kollidieren, was jedes Mal einen Urknall auslöst.

Aber auch die konkurrierende Inflation kann ein unendliches Universum hervorbringen. Wir erinnern uns daran, dass beim Modell der "Ewigen Inflation" Blasen mit normaler Hubble-Lemaître-Expansion aus einem inflationär wachsenden Raum auskondensieren und wie Dampfblasen am Boden eines Kessels mit kochendem Wasser wachsen. Jede Blase entspricht einem Universum wie dem unsrigen.

Die Blasen sind ganz offensichtlich endlich – allerdings nur, wenn man in drei Dimensionen verhaftet ist, denn die Blase expandiert in der Außenansicht ewig – da wäre schon einmal ein Potenzial für Unendlichkeit. Die Idee dabei ist (ausführlicher bei Anthony Aguirre - Next Step Infinity erläutert), dass der Zeitpfeil innerhalb der Blase ein anderer ist als außerhalb und damit Raum und Zeit ihre Bedeutung ändern. Um die folgende Argumentation nachvollziehen zu können, denken wir uns die Blase reduziert auf zwei Raumdimensionen, als wachsenden Ring, wobei der Ringumfang für die Blasenwand steht. Die dritte Dimension, senkrecht zur Ebene des Rings, ist die Zeit aus externer Sicht. Der Ring beginnt also als Punkt und wächst dann entlang des Pfeils in Richtung Zukunft.

Ein auf zwei Raumdimensionen x und y reduzierter Schnitt durch eine mit Hubble-Lemaître-Expansion wachsende Raumzeitblase (innerhalb eines nicht dargestellten, inflationär expandierenden Raums). Die Blase wächst entlang der Zeitachse in allen Raumrichtungen. Nach dem einfachsten Ansatz würde man Ebenen gleicher Zeit (t1, t2 etc.) als waagerechte Querschnitte im Diagramm einzeichnen.

(Bild: Autor, gemeinfrei)

Wenn wir das Ganze von der Seite her betrachten, dann zeichnet der wachsende Ring einen Kegel in die Raumzeit. Naiverweise würde man annehmen, dass gleichzeitige Ereignisse im Kegel in waagerechten Ebenen liegen. Das muss aber nicht so sein: Aus der Sicht bewegter Beobachter können Ereignisse gleichzeitig erscheinen, die es für ruhende Beobachter nicht sind.

Das ist eine Folge der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit c in allen Bezugssystemen, der Grundlage der Speziellen Relativitätstheorie. Sie folgt sogar komplett aus dieser Annahme, die experimentell erwiesen ist. Egal, ob ich den Lichtstrahl einer Lichtquelle im Stillstand, im schnellen Lauf oder aus einem auf die Quelle zufliegenden Jet betrachte, das Licht kommt immer genau mit der gleichen Geschwindigkeit bei mir an. Anders als bei einem mir entgegen geworfenen Ball addiert sich meine Geschwindigkeit nicht zu der des Lichts. Die Geometrie des Raums und das Vergehen der Zeit verändern sich aus Sicht eines bewegten Beobachters derart, dass das Licht immer gleich schnell erscheint, ganz gleich, wie der Beobachter oder die Lichtquelle sich relativ zueinander bewegen.

Auch wenn man mit 99,999% c einem Lichtstrahl hinterhereilen könnte, sähe man ihn mit c Reißaus nehmen (wenn man das könnte). Dies möge man sacken lassen und als gegeben hinnehmen – es widerspricht jeglicher Alltagserfahrung, aber genau so funktioniert die Raumzeit. Deswegen kann man durch kein Experiment feststellen, wie schnell man sich "wirklich" bewegt. Es gibt keine absolute Bewegung, jeder kann sein (gleichförmig bewegtes, das heißt unbeschleunigtes) Bezugssystem als ruhend betrachten und jeden Beobachter mit anderer Geschwindigkeit als bewegt. Und umgekehrt. Daher der Name "Relativitätstheorie".

Wenn man in einem fahrenden Zug messen würde, wie lange zwei Photonen von einer Lichtquelle genau auf der Hälfte der Länge des Waggons zum vorderen beziehungsweise hinteren Ende unterwegs sind, würde man für beide Photonen dieselbe Laufzeit messen, da ja die Entfernung der Waggonenden von der Lichtquelle in der Mitte gleich groß ist. Dabei spielte es keine Rolle, wie schnell der Zug fährt, siehe oben. Man kann den Zug als ruhendes Bezugssystem betrachten, unter dessen Rädern die Erde wegrollt.

Eine ruhende und eine bewegte Person werden verschiedener Ansicht darüber sein, ob zwei Ereignisse gleichzeitig stattgefunden haben oder nicht. Links im Bild ist das untere rote Bezugssystem (z.B. der Waggon eines fahrenden Zugs) als ruhend betrachtet und der Bahnsteig (oberes, blaues System) bewegt sich nach rechts. Zum Zeitpunkt (1) seien die Uhren an den Enden des Waggons mit zweien im gleichen Abstand auf dem Bahnsteig synchronisiert und sie messen die Zeitpunkte (2-5), wann eine in der Mitte des Waggons ausgelöste Lichtwelle die jeweilige Uhr erreicht. Offensichtlich erreicht das Licht beide Enden des Waggons gleichzeitig (4), aber nicht die beiden Uhren im blauen Bezugssystem: (3) und (5).
Nach der speziellen Relativitätstheorie erscheint der in (b) ruhenden Person die Ausbreitung der Lichtwellen jedoch mit derselben Geschwindigkeit c, so als ob die Quelle in ihrem System ruhte. Daher würden ihre Uhren das Eintreffen des Lichts an den Standorten der Uhren als gleichzeitig messen (4), nicht jedoch das Eintreffen bei den Uhren an den Enden des Waggons (3) und (5).
Anmerkung: die Uhren zeigen hier in (a) und (b) am Ende verschiedene Zeiten, weil sie in (1) niemals so synchronisiert werden können. Hier wurden nämlich zur Vereinfachung die Längenverkürzung und die Zeitdilatation nicht berücksichtigt.

(Bild: MikeRun, CC BY-SA 4.0)

Eine Person am Bahnsteig würde hingegen verschiedene Laufzeiten messen, denn das Licht würde sich aus ihrer Sicht nicht mit dem Zug bewegen, wie es ein im Zug geworfener Ball täte. Vielmehr würde es sich relativ zu ihr anstelle des Zuges mit Lichtgeschwindigkeit in beide Raumrichtungen ausbreiten. Das hintere Ende des Waggons käme dem Licht entgegen, was die Laufzeit dorthin verkürzte, während das vordere Ende vor ihm weichen und die Laufzeit verlängern würde. Die Person würde also keinesfalls ein gleichzeitiges Ankommen des Lichts bei den Waggonenden beobachten, selbst dann nicht, wenn sie die Laufzeit des Lichts der Beobachtung bis zu ihren Augen (oder Messgeräten) herausrechnete.

Raum-Zeit-Diagramm für eine ruhende Person (links) und eine bewegte Person aus Sicht der ruhenden Person (rechts). Die waagerechten x-y-Achsen bilden zwei Raumrichtungen ab, die senkrechte ct die Zeitrichtung (der Faktor c=Lichtgeschwindigkeit stellt sicher, dass die Einheit der Zeitachse eine Strecke ist, die mit den Raumachsen gleich skaliert ist).
Links: Die im Ursprung des Koordinatensystems ruhende Person kann nur Kenntnis über Ereignisse innerhalb ihres Lichtkegels erhalten (hellblauer Bereich): Das ist die Zone, aus der sie Information von entfernten Orten erreichen kann (unterer Kegel), oder an die sie Information zukünftig senden kann (oberer Kegel), gekennzeichnet durch eine Neigung der Kegelaußenfläche, die der Lichtgeschwindigkeit im Diagramm entspricht. Von Ereignissen außerhalb des Lichtkegels kann sie erst zukünftig erfahren, wenn der Lichtkegel deren Position in Raum (x-y-Koordinate) und Zeit (senkrechte Achse) schneidet. Man stelle sich dabei den Lichtkegel als entlang der ct-Achse nach oben wandernd vor, während die Zeit vergeht.
Die gelbe Ebene markiert die Zone der Gleichzeitigkeit mit dem aktuellen Raumzeitpunkt der Person im Ursprung: Ereignisse, die sich dort abspielen, wird sie später nach dem Herausrechnen der Lichtlaufzeit als gleichzeitig geschehen ermitteln. Die beiden farbigen Kreuze markieren hingegen Punkte in der Raumzeit, welche die ruhende Person als früher oder später relativ zur gelben Gleichzeitigkeitsebene bestimmen wird.
Rechts: Die bewegte Person im Zentrum des Koordinatensystems rast mit hoher Geschwindigkeit entlang der Achse x' durch die Raumzeit. Der Lichtkegel ist für sie grundsätzlich identisch zum ruhenden Fall, denn die Lichtgeschwindigkeit ist in allen gleichförmig bewegten Bezugssystemen dieselbe. Jedoch erreicht sie die Information von einem Ort in Richtung ihrer Bewegung voraus früher (rotes Kreuz rechts) als die von einem Ort in Richtung der Bewegung hinter ihr (grünes Kreuz rechts), sodass sie diese als gleichzeitig ermitteln wird. Damit ist ihre Ebene der Gleichzeitigkeit in Bewegungsrichtung geneigt. Entsprechend ist auch der Lichtkegel oben und unten in der Grafik angeschnitten. Auch die Zeitrichtung ct' erscheint verkippt: auf dieser Achse treffen sich die von Ereignissen ausgehenden Lichtkegel, die in der gelben Ebene liegen und gleich weit vom Ursprung entfernt sind, also gleiche Lichtlaufzeit haben und gleichzeitig beobachtet werden.

(Bild: Autor, gemeinfrei)

Nun ist die Situation in einem expandierenden Raum ganz ähnlich: entfernte Galaxien bewegen sich scheinbar relativ zueinander – scheinbar, weil ja nur der Raum zwischen ihnen wächst. Die Rotverschiebung kann man aber auch als Zeitdilatationseffekt interpretieren, wie er bei zueinander bewegten Beobachtern (wechselseitig) auftritt, so wie das bei einer hohen Relativgeschwindigkeit der Fall ist. Das heißt, dass Aliens in diesen Galaxien, je weiter entfernt sie von uns sind, Ereignisse als gleichzeitig betrachten werden, die aus unserer Sicht mehr und mehr zeitlich getrennt sind. Das folgende Schaubild erläutert, wie sich auf diese Weise die Ebene der Gleichzeitigkeit in der Raumzeit krümmt.

Mit zunehmender Geschwindigkeit nimmt die Verkippung zu und nähert sich 45°, der Neigung der Kegelwand. So ergibt sich eine über den Radius nach oben gewölbte, hyperbolische Fläche. Der Zeitpfeil (roter, durchgezogener, gebogener Pfeil) kreuzt die hyperbolischen Flächen an jedem Ort im schiefen Winkel. Er hat seinen Ursprung an der Außenwand des Kegels, das heißt heißt an der Blasenwand. Denn dort läuft gerade der Phasenübergang von der inflationären zur normalen Expansion ab, vom falschen zum echten Vakuum, bei dem Vakuumenergie als Strahlung frei wird (Re-Heating), aus der schließlich Materie entsteht – der Urknall. Der Urknall findet hier also nicht in einem Punkt, sondern überall an der unendlichen Innenfläche eines nach oben offenen Kegels statt – und damit haben wir ein unendlich ausgedehntes Universum schon beim Urknall!

In einem beschleunigt wachsenden Universum öffnet sich der Kegel nach oben wie eine Trompete, aber das Prinzip bleibt dasselbe. Da die Relativitätstheorie besagt, dass alle Effekte wechselseitig gelten, würde sich jeder andere Ort ebenso auf der Mittelachse eines Kegels wähnen dürfen. Somit ist die Isotropie und Homogenität des Universums gewährleistet.

Betrachtet man im Modell der expandierenden Blase Flächen gleicher Zeit gemäß der Speziellen Relativitätstheorie, so haben diese einen hyperbelförmigen Querschnitt. Raum und Zeit sind am Blasenrand anders orientiert als in der Mitte der Blase, wo sich der Beobachter in Ruhe befindet. Die so gebildeten Flächen gleicher Zeit dehnen sich innerhalb der expandierenden Blase unendlich weit aus. Dies gilt auch für die Blasenwand, die den Übergang von inflationärer Expansion zur Hubble-Lemaître-Expansion bildet und bei der die Materie und Strahlung des Universums aus freigesetzter Vakuumenergie entstehen.

(Bild: Autor, gemeinfrei)

Die Blase denke man sich zum Schluss wieder als dreidimensional. Dann wird aus dem zweidimensionalen Urknall-Kegelrand der dreidimensionale Rand eines vierdimensionalen Kegels mit der Zeitachse des ruhenden Beobachters als Mittelachse und der Blick trifft in jeder Raumrichtung die Kegelwand, also den Urknall.

Es würden sich interessante Konsequenzen ergeben, wenn das Universum wirklich unendlich groß sein sollte. Angenommen, wir ziehen um unseren Aufenthaltsort im Universum eine gedachte Kugel mit dem Radius des Partikelhorizonts – wir erinnern uns, dass der Partikelhorizont die Entfernung ist, in der sich Teilchen heute höchstens befinden können, die jemals mit uns in Kontakt gewesen sind (welche jedoch durch die Expansion des Universums mittlerweile aus dem Radius noch möglicher Interaktionen hinausbefördert wurden).

Eine Interaktion mit Orten oder Objekten jenseits des Partikelhorizonts war für uns niemals möglich und wird es auch niemals sein. Objekte am Partikelhorizont können selbst noch einmal mit Teilchen einen Partikelhorizont weiter entfernt interagiert haben, aber damit ist dann auch endgültig Schluss. Kugeln mit dem Radius eines Partikelhorizonts, räumlich voneinander getrennt durch einen weiteren Partikelhorizont, sind aus Sicht möglicher Interaktionen und kausaler Zusammenhänge vollständig voneinander entkoppelt. Sie sind, kausal gesehen, separate Universen (Max Tegmark spricht hier von einem Multiversum erster Art).

Dieser Radius ist endlich und enthält eine endliche Menge von Galaxien, Sternen, Gas und Staub, Atomen und Elementarteilchen. Auf wie viele Weisen lassen sich diese Teilchen arrangieren? Man könnte argumentieren, der Raum sei ja nicht (zumindest nicht erwiesenermaßen) gequantelt und damit gebe es für jedes Teilchen auch in einem endlichen Radius unendlich viele Orte, an denen es sich aufhalten kann. So, wie es zwischen den Zahlen 0 und 1 unendlich viele Zahlen gibt. Allerdings sind für praktische Zwecke die möglichen Orte schon allein durch die minimal messbare Unterscheidbarkeit begrenzt. Wenn zwei Linien näher beisammen sind als die Wellenlänge des Lichts, können wir sie mit Licht nicht mehr auflösen und sie verschmelzen zu einer einzelnen Linie.

Mit Röntgenlicht oder Elektronenstrahlen (Röntgen- bzw. Elektronenmikroskop) kann man feinere Strukturen trennen, braucht aber mehr Energie, die zum Beispiel lebendes Gewebe schädigt. Mit Beschleunigern ballert man schließlich geladene Teilchen mit ungeheuren Energien auf die Bestandteile der Materie, um bis in die Kernteilchen hineinschauen zu können. Eine beliebig feine Auflösung, die nötig wäre, um den Ort unendlich genau zu bestimmen, benötigte unendlich viel Energie, und die ist nicht verfügbar. Deswegen gibt es nicht unendliche viele unterscheidbare Orte, an denen sich ein Teilchen befinden kann. Folglich gibt es auch für eine sehr große, aber endliche Zahl von Teilchen nicht unendlich viele, messbar verschiedene Anordnungen in einem kausal abgeschlossenen Universum.

Ähnliches gilt für die Energien, die die Teilchen annehmen können. Kein Quantenzustand kann beliebig genau gemessen werden, weil die Unschärferelation von Werner Heisenberg stets zwei Größen in Beziehung setzt, von denen wir nur eine mit hoher Genauigkeit messen können, auf Kosten der anderen. Energie und Ort, Ort und Geschwindigkeit (Impuls), Energie und Zeit oder der Drehimpuls in verschiedenen Achsen bilden solche Paare.

Die Quintessenz ist: für praktische Zwecke können endlich viele Teilchen nur endlich viele unterscheidbare Zustände annehmen. Wenn man nun aber in einem unendlichen, homogenen und isotropen Universum unendlich viele, durch einen Partikelhorizont getrennte Partikelhorizonte einzeichnen kann, die jeweils nur endlich viele Teilchen in endlich vielen Zuständen enthalten, dann muss es unausweichlich Dopplungen geben. Wenn ich einen Würfel siebenmal werfe, dann muss mindestens einmal eine Augenzahl zweimal vorgekommen sein. Die endlich vielen Zustände der Teilchen in einem Partikelhorizont sind gewissermaßen die Seiten eines "Würfels" mit einer gigantischen Zahl von Seiten, aber die Zahl ist gleichwohl begrenzt und wenn man mehr Partikelhorizonte betrachtet als die Anzahl dieser Seiten, dann gibt es notwendigerweise Dopplungen. Würfle ich den Würfel oft genug, dann wird sich auch jede mögliche Augenzahl wiederholen.

Ein Würfel, der nach dem Werfen einer 6 alle anderen Augenzahlen, aber nie wieder eine 6 produziert, wäre pathologisch – für gewöhnliche Würfel gilt, dass jede Augenzahl immer wieder vorkommt (Mathematiker nennen so etwas "positiv rekurrent" - rekurrent heißt wiederkehrend und positiv heißt, dass die Wahrscheinlichkeit für die Wiederkehr nicht Null ist). Im Universum mag nicht jeder denkbare Zustand der Teilchen physikalisch möglich sein, aber jeder, der es ist, muss positiv rekurrent sein (unter der Voraussetzung, dass die physikalischen Gesetze universell gelten und das kosmologische Prinzip gilt, was für die Blasen-Konstruktion aus dem vorangegangenen Kapitel gegeben ist).

Das bedeutet schlussendlich, dass es irgendwo weit entfernt eine Galaxie geben muss, die genauso aussieht wie die Milchstraße. In welcher ein Stern mit 8 Planeten kreist, von denen der dritte bewohnt ist. Und eine Bewohnerin oder ein Bewohner sieht genauso aus, wie Sie und liest gerade exakt diesen Text. Neben jenem Ort gibt es unzählige andere, wo Ihr Double noch den vorigen Artikel liest. Oder den der folgenden Woche. Oder auch ganz andere Dinge. In denen die Geschichte anders abgelaufen ist und Nazi-Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat. Oder in denen das Römische Reich bis heute besteht. Oder ganz andere Reiche. Oder die Dinosaurier nicht ausgestorben sind. Und so weiter.

In einem unendlichen Universum passiert alles, was passieren kann. Und zwar unendlich oft. Man würde aber auch unendlich viele identische Kopien seiner selbst vorfinden, in identischen mentalen Zuständen. Diese wären alle ontologisch gleichberechtigt und ununterscheidbar. Man könnte nicht sagen, welche davon genau "man selbst" ist.

Der bekannte schwedische Physiker und Kosmologe Max Tegmark spekulierte 2003 in einem Artikel im Scientific American, wie weit es wohl bis zum nächsten Replikat sein mag. Nimmt man eine Gleichverteilung der Teilchenzustände an (was eine Obergrenze für die Entfernung liefert), so findet man sie oder ihn in einer Entfernung von 1010²⁸ Metern. Das sind auch ungefähr 1010²⁸ Lichtjahre, denn ein Faktor 10 Billiarden (1016) Meter pro Lichtjahr geht bei dieser Schreibweise als Rundungsfehler unter, so groß ist die Zahl (1010²⁸ ÷ 1016 = 1010²⁸-16 = 1010.000.000.000.000.000.000.000.000.000-16 = 109.999.999.999.999.999.999.999.999.984 ≈ 1010²⁸). Ein Replikat der Sonnenumgebung mit einem Radius von 100 Lichtjahren findet man in1010⁹² Metern/Lichtjahren Entfernung, und den gesamten Hubble-Radius von 14,5 Milliarden Lichtjahren nach erwarteten 1010¹¹⁸. Man kann solche Zahlen hinschreiben, wenn auch nur in Exponentialschreibweise – 10118 Nullen kann man schon deshalb nicht ausschreiben, weil das beobachtbare Universum nur 1080 Teilchen enthält. Der Versuch, sie sich anhand irgendwelcher skalierbarer Beispiele greifbar zu machen, muss kläglich scheitern. Und trotzdem sind sie gegenüber der Unendlichkeit buchstäblich ein Nichts. Wir halten nur fest: Ein unendliches Universum ist verdammt groß.

Wenn man sich in der realen Welt umschaut, wird man nur wenig Unendliches finden, daher ist die Vorstellung eines unendlichen Universums nicht unbedingt die naheliegendste. Ein "Ende" der Welt im buchstäblichen Sinne ist indes schwer vorstellbar und physikalisch pathologisch – warum sollte irgendwo eine Grenze existieren, jenseits der es nicht mehr weiter geht, wo sich nicht einmal mehr leerer Raum anschließt? Die Grundannahme des kosmologischen Prinzips ist, dass es keine räumlichen Diskontinuitäten gibt, wie etwa einen Rand.

Die einfachste Topologie eines kompakten Universums hatten wir oben bereits angesprochen, die sphärische Form. In diesem Fall wäre das Universum so etwas wie die Oberfläche einer Kugel: diese ist endlich groß und hat offensichtlich keinen Rand. Unser Weltraum ist allerdings dreidimensional. Wir müssen also zu den zwei Dimensionen auf der Kugeloberfläche eine dritte Raumdimension hinzunehmen und uns die Krümmung in einer höheren Dimension vorstellen. (Anmerkung: Tatsächlich benötigt die Allgemeine Relativitätstheorie keine 4. "Krümmungsdimension", sie bekommt die Krümmung ganz allein über eine verzerrte Geometrie der Raumzeit hin, die zwar selbst vierdimensional ist, aber nur drei Raumdimensionen plus einer Zeitdimension hat. Die Analogie der positiven Krümmung des Universums zum Kugelmodell ist jedoch (wenn überhaupt) leichter nachvollziehbar, wenn man sich eine vierte Raumdimension hinzudenkt – am Ende sind das alles natürlich nur Modellvorstellungen.)

Eine vierdimensionale Hypersphäre, die sogenannte "3-Sphäre", kann man sich anschaulich nicht vorstellen, aber man kann Analogien zur dreidimensionalen Kugel (der "2-Sphäre") ziehen. Deren Oberfläche ist eine Fläche, ihr Querschnitt ist stets ein Kreis. Der größtmögliche Querschnitt ist ein Großkreis (das ist ein Kreis, der den Mittelpunkt der Kugel im Zentrum hat, zum Beispiel der Äquator oder die Längengrade eines Gradnetzes auf der Kugel). Ein Großkreis hat denselben Umfang und denselben Radius wie die Kugel. Wenn ich auf der Kugeloberfläche geradlinig in einer Richtung marschiere, folge ich dem Umfang eines Großkreises und lande am Ende wieder am Ausgangspunkt (Achtung, folgt man einem Breitenkreis, der kein Großkreis ist, dann bewegt man sich nicht geradlinig auf der Kugeloberfläche, sondern folgt einer gekrümmten Bahn; das wird auf Weltkarten oft nicht ersichtlich, aber wenn man sich vorstellt, dem 89,9999. Breitengrad zu folgen, der den Nordpol in 11,11 m Radius umringt, dann sollte es klar werden). Die kürzeste Verbindung ("Geodäte") zwischen zwei Punkten ist das zwischen den Punkten liegende Segment entlang eines Großkreises, der durch die beiden Punkte geht, und den es für zwei beliebige Punkte stets gibt.

Eine 3-Sphäre hat dementsprechend als Ober"fläche" ein Volumen. Der größtmögliche Querschnitt ist eine Kugel (auch "Großkugel" genannt) mit demselben Umfang und Radius wie die 3-Sphäre. Wenn ich mich im Oberflächenvolumen geradlinig in irgendeiner Richtung bewege, bewege ich mich auf dem Umfang einer Großkugel (der ein Großkreis dieser Kugel ist) und komme schließlich wieder am Ausgangspunkt an. Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist das zwischen den Punkten liegende Segment eines Großkreises auf einer Großkugel, auf dem beide Punkte liegen.

Was nützt uns dieses Wissen jetzt für die Bestimmung der Größe des Universums?

In einem flachen Universum ist die Gesamtdichte Ω0, bestehend aus den Anteilen von Materie (Dunkle und baryonische Materie) ΩM und der Dichte der Dunklen Energie ΩΛ, gleich der kritischen Dichte, die im Allgemeinen zu 1 normiert wird: Ω0 = ΩM + ΩΛ = 1. Ist die Dichte größer als 1, so haben wir es mit einem positiv gekrümmten, geschlossenen Universum zu tun, also der sphärischen Form; ist sie kleiner als 1, entsprechend mit einem negativ gekrümmten, offenen Universum, also der hyperbolischen Form. Nur bei exakt 1 ist das Universum flach. Die Kosmologen fassen den Überschuss (oder Unterschuss) der Dichte gerne in einer weiteren, fiktiven "Krümmungsdichte" Ωk zusammen, sodass sie die Dichte wieder als Summengleichung mit dem Wert 1 schreiben können: ΩM + Ωk + ΩΛ = 1. Wir merken uns also: wenn ΩM + ΩΛ größer als 1 ist, dann ist Ωk = 1 - ( ΩM + ΩΛ) kleiner als 0: im positiv gekrümmten Universum ist die Krümmungsdichte kleiner als 0. Umgekehrt ist Ωk größer als 0, wenn ΩM + ΩΛ kleiner als 1 sind: im negativ gekrümmten Universum ist die Krümmungsdichte größer als 0.

Zwar deuten alle Messungen auf ein flaches Universum hin, aber der Nachweis perfekter Flachheit würde eine perfekt genaue Messung erfordern; jede Messung hat jedoch eine begrenzte Genauigkeit und somit einen unvermeidlichen Messfehler. Und der lässt bezüglich der Krümmung des Universums Abweichungen zu, sowohl nach oben (hyperbolische Geometrie) wie auch nach unten (sphärische Geometrie).

Aus dem Messfehler nach unten kann nun eine Untergrenze für einen Krümmungsradius des Universums und damit eine Mindestgröße abgeschätzt werden. Das ist so ähnlich wie die Methode von Eratosthenes, nur ist der Schatten in Alexandria wegen der Bewölkung so diffus, dass nur eine Obergrenze seiner Länge angegeben werden kann, aber vielleicht steht die Sonne ja doch senkrecht über dem Obelisken…

Die vom Weltraumteleskop PLANCK aus dem Power-Spektrum der Hintergrundstrahlung herausgelesene Krümmungsdichte beträgt Ωk = 0,001±0,002, das ist konsistent mit 0, einem flachen Universum. Man geht (nicht zu Unrecht) davon aus, dass Messfehler einer Normalverteilung unterliegen, die angibt, wie wahrscheinlich eine Abweichung des gemessenen Werts um einen bestimmten Betrag vom wahren Wert ist. Der ± Wert bedeutet dabei in der Regel (und tut es auch hier) eine Wahrscheinlichkeit von 68,3% (eine Standardabweichung σ), dass der tatsächliche Wert zwischen den angegebenen Grenzen (also hier -0,001 und +0,003) liegt. Der Mittelwert von 0,001 und erst recht die obere Fehlergrenze 0,003 würden ein hyperbolisches Universum implizieren, das unendlich groß ist. Die untere Fehlergrenze ist hingegen negativ: Sie würde ein endliches, geschlossenes Universum noch zulassen.

Die übrigen 100% - 68,3% = 31,7% verteilen sich hälftig (15,85%) auf Werte größer als 0,003 bzw. kleiner als -0,001. Wir können also sagen, die Krümmungsdichte könnte mit etwa 16% Wahrscheinlichkeit noch kleiner als -0,001 sein, d.h. das Universum wäre entsprechend kleiner. 16% ist nicht besonders unwahrscheinlich, etwa so wahrscheinlich, wie mit einem Würfel auf Anhieb eine 6 zu werfen. Das ist keine besonders verlässliche Untergrenze.

Will man eine halbwegs glaubwürdige Untergrenze für die Größe des Universums abschätzen, sollte man daher lieber 2σ ansetzen, das entspräche einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 2,275%. Das ist die Wahrscheinlichkeit, aus einem Stapel mit 44 verschiedenen, gut gemischten Karten auf Anhieb eine bestimmte Karte zu ziehen. Setzen wir also Ωk,min = 0,001 - 2·0,002 = -0,003.

Aus den Friedmannschen Gleichungen kann man folgende, nicht allzu komplizierte Formel herleiten: H02 Ωk = - kc2/R02, wobei H0 die Hubble-Konstante in km s-1 Mpc-1 ist, c die Lichtgeschwindigkeit in km/s, R0 der Krümmungsradius des Universums in Mpc und k die Krümmung (k = 0: flaches Universum, k = -1: negativ gekrümmtes offenes Universum, k = 1: positiv gekrümmtes, geschlossenes Universum). Für k=1 kann man also den Krümmungsradius zu R0 = - c/(H0·√-Ωk) berechnen.

Mit Ωk,min = -0,003 und H0 = 70 km s-1 Mpc-1 ergibt sich dann ein minimaler Krümmungsradius R0 von etwa 78250 Mpc = 78,25 Gpc = 255 Milliarden Lichtjahre.

Eine 3-Sphäre mit dem Radius r hat einen Umfang von 2πr, siehe oben. Man würde also, wenn man die Raumexpansion anhielte, nach (frühestens) 1,6 Billionen zurückgelegten Lichtjahren wieder am Ausgangsort ankommen, egal in welcher Richtung man startete. Das ist 17-mal so groß wie der aktuelle Durchmesser des beobachtbaren Universums. Der Rauminhalt des Universums wäre ein "Oberflächenvolumen" von 2π²r³ und würde etwa 3,28·1035 Kubiklichtjahren entsprechen, gut 780-mal das Volumen des beobachtbaren Universums. Das wäre mit 97,7% Konfidenz die Mindestgröße des Universums, welche die Messgenauigkeit von PLANCK noch zulassen würde – was natürlich keinerlei Beleg dafür ist, dass es überhaupt endlich groß ist. Es ist aber mit 3,2% Irrtumswahrscheinlichkeit aufgrund der vorliegenden Messungen nicht kleiner.

Oder vielleicht doch?

Im November 2019 überraschten Eleonora di Valentino (Universität Manchester), Alessandro Melchiorri (Sapienzi-Universität Rom) und Joseph Silk (Universität Oxford) mit ihrer Arbeit "PLANCK Evidence for a closed Universe and a possible crisis for cosmology", welche also gleich mal eine neue Krise der Kosmologie beschwor. Die Arbeit bezog sich auf eine andere Messung von PLANCK, mit der die Krümmungsdichte noch auf eine alternative Weise für kleine Winkelabstände bestimmt worden war.

Durch den Gravitationslinseneffekt der von der Hintergrundstrahlung auf dem Weg zu uns passierten Materieansammlungen werden nämlich örtliche Vergrößerungen der Strukturen in der Hintergrundstrahlung bewirkt. Aus der Statistik der Amplituden dieser Vergrößerungen kann man auf die Materiedichte (inklusive Dunkler Materie) ΩM schließen und in Kombination mit der Dichte der Dunklen Energie nach der oben genannten Formel ΩM + Ωk + ΩΛ = 1 auch auf die Krümmungsdichte. Die 2018 veröffentlichten PLANCK-Ergebnisse waren dabei mit Messungen anderer Programme (BICEP2 am Südpol und BOSS, einer Durchmusterung der Galaxien-Verteilung auf der Basis des Sloane Digital Sky Survey) kombiniert worden. Das Ergebnis: -0,095 < Ωk < -0,007 mit 99% Konfidenz (2,5σ). Die Abweichung vom Wert 0 für ein flaches Universum beträgt gar 3,4σ und wäre somit mit 99,93% Konfidenz auszuschließen. Demnach wäre das Weltall positiv gekrümmt und endlich groß mit einem Krümmungsradius um die 20 Gpc ≈ 65 Milliarden Lichtjahre und einem Umfang von nur ca. 400 Milliarden Lichtjahren.

Das Team um di Valentino weist darauf hin, dass Modelle der Inflation leicht zu erzeugen seien, aus denen ein Universum mit positiver Krümmung folgt. Allerdings würde eine positive Krümmung (unter anderem) die bereits bestehende 3σ-Diskrepanz zwischen dem aus der Hintergrundstrahlung abgeleiteten Wert der Hubble-Konstante (PLANCK 2018: 67,36±0,54 km s-1 Mpc-1) und demjenigen aus Supernovae-Helligkeitsmessungen (aktuelle SH0ES- Messung: 73,04±1,04 km s-1 Mpc-1) noch verstärken, und das sei dann eine Krise für das ΛCDM.

Das sieht die PLANCK-Kollaboration, eine internationale Gruppe von über 200 Forscherinnen und Forschern der Institute, die am PLANCK-Projekt beteiligt waren, und auf deren Arbeit sich di Valentino et al. beziehen, allerdings schon in derselben Arbeit ganz anders: Die Daten beruhten auf Messungen der Polarisation der Hintergrundstrahlung, und in dieser und in früheren Arbeiten sei bereits festgestellt worden, dass die Kalibrierung der Polarimeter von PLANCK bei bestimmten Winkelabständen die Ergebnisse mal in die eine, bei anderen mal in die andere Richtung verfälsche, sodass der gemessene Linseneffekt im fraglichen Winkelbereich zu hoch eingeschätzt sein könnte. Es geht dabei insbesondere um einen "Konsistenzparameter" AL für die Amplitude des Linseneffekts, welcher 0 wäre, wenn es keinen Linseneffekt gäbe und der auf den Wert 1 für den Fall normiert ist, dass der Linseneffekt genau dem erwarteten Wert aus der Theorie für ein flaches Universum entspricht. Die PLANCK-Messung kommt hier auf AL = 1,180±0,065, obwohl die weiter oben zitierte Messung des Leistungsspektrums über größere Winkelbereiche (Ωk = 0,001±0,002) im Rahmen der Messgenauigkeit mit dem Wert 1 verträglich ist.

Wenn der Wert größer als 1 für AL wirklich ein Messfehler ist, dann gäbe es tatsächlich weniger Linseneffekt und weniger linsende Masse, was die vermeintliche Krümmung wieder geradebiegen könnte. Die PLANCK-Kollaboration zweifelt also das Ergebnis für Ωk noch in derselben Arbeit an, in der sie es veröffentlicht hat. Wenn die positive Krümmung hingegen real wäre, ergäbe sich eine Massendichte von ΩM = 0,5 und eine Hubble-Konstante von 50 km s-1 Mpc-1, das hätte man bemerkt. Es verwundert schon ein wenig, dass di Valentino et al. daraus so weitreichende Folgerungen wie eine Krise der Kosmologie ableiten – wo es sich doch eher um eine Krise ihrer Interpretation der Daten handeln dürfte.

Eine jüngere Arbeit vom Juli 2020 über eine Messung mit dem Atacama Cosmology Telescope in Chile zitiert hingegen Werte von AL = 1,01±0,11 und daraus folgernd Ωk = ‑0,003+0,022/-0,014 was mit einem flachen Universum und den Weitwinkel-PLANCK-Messungen verträglich ist. Also leben wir wohl doch nicht in einem Mini-Universum.

Es sei denn, es wäre ein Donut. Oder eine Bretzel.

Das Universum kann also nicht flach und trotzdem kompakt sein? Doch, auch das ist denkbar: wenn es mehrfach mit sich selbst verbunden ist. Als Beispiel in zwei Dimensionen betrachte man ein Blatt Papier, das trivialerweise eine endliche Fläche hat und flach ist. Was passiert nun, wenn wir eine Topologie definieren, die jedem Punkt am rechten Rand den gegenüberliegenden Punkt am linken Rand zuordnet? Und jedem Punkt am oberen Rand den gegenüberliegenden am unteren? An der Geometrie haben wir nichts verändert, das Papier ist immer noch flach, aber es hat nun keine Begrenzung mehr. Würden wir eine Linie über den rechten Rand hinaus zeichnen, käme die Linie am linken Rand wieder ins Blatt hinein. Wie bei manchen Computerspielen, bei denen eine Spielfigur, die den Bildschirm an einem Rand verlässt, am gegenüberliegenden Rand wieder in das Bild hineinkommt. Im Prinzip könnte man diese Geometrie erreichen, wenn man das Papier zu einer Rolle aufwickelte (dann wäre die Winkelsumme eines Dreiecks immer noch 180°, da das Papier nicht verzerrt wird) und die Enden der Rolle dann zu einem Ring zusammen böge, einem Torus, der Form eines Donuts (wenn man die Enden gegeneinander verdreht, kann man auch ein Bretzel daraus formen, das ist topologisch dasselbe).

Das Zusammenbiegen geht allerdings im dreidimensionalen Raum nicht ohne Verzerrung und das Papier büßte dabei seine geometrische Flachheit ein: man denke sich zwei parallele Striche um den Röhrenumfang, die beim Zusammenbiegen des Torus in seinem Inneren näher nebeneinander verlaufen als am äußeren Umfang. Das ist aber nicht der Fall, wenn man das Papier nicht wirklich, sondern nur mathematisch in beiden Achsen aufrollt, indem man eben nur die Nachbarschaften der Randpunkte definiert. Trotzdem nennt man eine solche Mannigfaltigkeit einen flachen 2-Torus (2 wegen der zwei Dimensionen der Papieroberfläche – die Dicke des Papiers ignorieren wir). Den gibt es zwar nicht im euklidischen Raum, aber mathematisch ist er wohldefiniert.

Das Universum als Torus, hier reduziert auf drei Dimensionen (2-Torus) mit der in euklidischer Geometrie unvermeidlichen Krümmung entlang der Waagerechten, die bei einem flachen 2- oder 3-Torus nicht gegeben ist. Das Universum wird nur von der Außenfläche des Torus gebildet und ist daher hier zweidimensional.

(Bild: Bryan Brandenburg, CC BY-SA 3.0)

Unser Universum ist kein Blatt Papier, sondern räumlich dreidimensional. Es gibt aber auch für diesen Fall eine passende Mannigfaltigkeit, den flachen 3-Torus, auch 4-dimensionaler Hypertorus genannt. Hier denke man sich einen Würfel oder Quader, bei dem gegenüberliegende Seiten jeweils benachbart sind. Man kann also nicht nur beim Überschreiten des rechten Rands nach links gelangen oder beim Passieren des oberen Rands nach unten, sondern auch beim Queren des hinteren Rands nach vorne. Diese Eigenschaft kann man sich gut verbildlichen, aber nicht, wie so eine Mannigfaltigkeit von außen besehen aussähe, das vierdimensionale Pendant des dreidimensionalen 2-Torus. Aber sich das Volumen des flachen 3-Torus vorzustellen, reicht uns fürs Weitere.

Eine der Eigenschaften des flachen 3-Torus ist, dass es drei Achsen gibt, entlang derer ein Lichtstrahl nach einer Umrundung des Torus wieder am Ausgangspunkt endet, nämlich entlang von Linien, die die Außenflächen des Quaders senkrecht schneiden (im Zentrum des Quaders, und nur da, kommen noch die 4 Raumdiagonalen hinzu). Dies bedeutet, dass eine Person im Inneren des flachen 3-Torus entlang dieser Sichtlinien ihren Hinterkopf sähe. Entlang anderer Achsen, entlang derer das Licht 2 oder mehr Umläufe benötigte, um zum Ursprungsort zurückzukehren, sähe man sich weiter entfernt. Eine Art Spiegelkabinett, nur ohne Spiegelungen. Und ohne Spiegel.

Neben dem 3-Torus gibt es übrigens nur 5 andere (orientierbare) kompakte Mannigfaltigkeiten, darunter zwei Varianten der Würfelgrundform, bei denen zwei gegenüberliegende Seiten um 90° oder 180° gegeneinander verdreht verbunden sind, sowie zwei Versionen einer Säule mit sechseckiger Grundfläche (Prisma), deren Boden und Deckfläche um ein oder zwei Sechstel (ein oder zwei Sechseck-Kanten) gegeneinander verdreht verbunden sind und ansonsten sind jeweils gegenüberliegende Seiten der Säule miteinander verknüpft.

Oben: Ein hexagonales Prisma, dessen vorderes Ende (dunkelgrau) mit seinem hinteren Ende (hellgrau) unter einer Verdrehung von 1/6 verbunden ist, wie auch gegenüberliegende Seitenflächen miteinander. Wenn das Universum diese Topologie hätte, mit einem halben Durchmesser des sichtbaren Universums in der x-y-Ebene und 1/10 davon in der verdrehten Längendimension, dann sollte die Struktur der kosmischen Hintergrundstrahlung Muster zeigen wie die im unteren Bild gezeigte Simulation.

(Bild:  Levin, Scannapieco, Silk)

Wäre unser Universum eine kompakte Mannigfaltigkeit mit einer Kantenlänge kleiner als der Durchmesser des durch das Weltalter gegebenen Horizonts, so bestünde die theoretische Möglichkeit, unsere Milchstraße und ihre Nachbargalaxien, wie zum Beispiel die Andromedagalaxie, an anderen Orten des Himmels wiederzufinden. Aufgrund der Milliarden Jahre langen Lichtlaufzeit dann mutmaßlich wesentlich jünger und schwierig wiederzuerkennen, wenn sie denn überhaupt über die große Distanz aufgelöst werden könnten. Eine Suche danach wäre wohl aussichtslos. Anders sieht es aus, wenn man nach Ähnlichkeiten in der Hintergrundstrahlung sucht, die sich an verschiedenen Stellen des Himmels wiederholen sollten.

2015 hat die PLANCK-Kollaboration unter anderem nach solchen sich wiederholenden Mustern am Himmel gesucht und zwar für zwei mögliche Topologien: derjenigen eines 3-Torus sowie der einer "Platte" mit unendlicher Oberfläche und endlicher Dicke, bei der die Außenflächen miteinander verbunden sind, sodass man nach dem Durchqueren der einen Außenfläche aus der gegenüberliegenden Fläche wieder in die Platte hinein käme (quasi das 3-dimensionale Pendant eines zu einer Rolle aufgerollten, unendlich langen Blatt Papiers). Die Suche nach Mustern dieser Modelle sollte aber auch andere Topologien erkennen, schreiben die Autorinnen und Autoren.

Gefunden haben sie – nichts. Weder in den Temperatur- noch in den Polarisationsmustern fanden sie mit einer Konfidenz von 99% irgendwelche Strukturen mit mehr als 15° Ausdehnung, die einander zuzuordnen wären. Somit schließen sie mit 99% Konfidenz aus, dass das Universum eine kompakte Mannigfaltigkeit mit einer Kantenlänge von weniger als 97% des Durchmessers des beobachtbaren Universums – oder 88,7 Milliarden Lichtjahre in mitbewegter Entfernung – ist. Das schließt natürlich nicht aus, dass der kosmische Donut um ein Mehrfaches größer sein kann – das lässt sich leider nicht falsifizieren.

In einer neueren (November 2021) Arbeit von Ralf Aurich et al. argumentieren die Autoren hingegen, dass die kosmische Hintergrundstrahlung eigentlich Abhängigkeiten bei jedem Winkelabstand zeigen müsse. Dies folge aus simulierten Karten der Hintergrundstrahlung für ein unendliches Universum. Deren generierten die Autoren 100.000 Stück. Tatsächlich geht in den PLANCK-Daten jedoch die durchschnittliche Korrelation zwischen Orten der Hintergrundstrahlung, die mehr als 70° voneinander am Himmel entfernt sind, auf nahezu 0 zurück (folgendes Bild).

Das Diagramm stellt die laut Simulationen erwartete und die von PLANCK beobachtete Korrelation der Temperaturunterschiede in der Hintergrundstrahlung über große Winkel einander gegenüber. Werte nahe 0 (gepunktete waagerechte Linie) bedeuten keine Korrelation, positive Werte bedeuten Korrelation (gleichgerichtetes Verhalten), negative Werte Antikorrelation (gegenläufiges Verhalten), die auch eine Form der Korrelation ist. Die schwarze gestrichelte Kurve markiert den erwarteten Verlauf. Die dunklen und hellen Zonen, die sie umgeben, sind die 1σ- und 2σ-Fehlerintervalle. Außer bei 40° und 120° zeigt die Simulation Korrelationen über den gesamten Winkelbereich bis zum maximalen Abstand von 180°.
Die von PLANCK gemessene Winkelabhängigkeit, dargestellt durch die blaue durchgezogene Linie, bleibt jedoch zwischen 70° und 150° nahe bei 0 (unkorreliert) und hält sich für große Teile des Graphen nur in der 2σ-Umgebung des erwarteten Graphen auf, das heißt die Wahrscheinlichkeit, dass die Messung lediglich durch zufällige Messfehler vom erwarteten Graphen abweicht, liegt nur zwischen 5% und 32%.

(Bild:  Aurich, Buchert, France, Steiner)

Ein 3-Torus könne aber genau solche Korrelationen unterdrücken. Die Autoren simulierten 3-Tori von 0,5 und 3 Hubble-Radien Kantenlänge (wir erinnern uns, dass der Hubble-Radius derjenige Abstand ist, in welchem die aktuelle Expansionsgeschwindigkeit des Universums die Lichtgeschwindigkeit erreicht, das sind rund 14,5 Milliarden Lichtjahre) und ermittelten die mittlere Punkt-zu-Punkt-Korrelation über Winkel von 0 bis 180°. Und siehe da, die grau gepunktete Kurve für einen Torus mit drei Hubble-Radien liegt näher an der von PLANCK gemessenen Kurve als diejenige für das unendliche Universum.

Hier ist als weiterer Graph die Simulation der winkelabhängigen Korrelationen für einen 3-Torus mit einer Seitenlänge von 3 Hubble-Radien (3·14,5=43,5 Milliarden LJ) dargestellt, gepunktete Linie umgeben von 1σ- und 2σ-Fehlerintervallen. Die PLANCK-Messungen werden hiervon wesentlich besser angenähert, sie bleibt überwiegend in der 1σ-Umgebung und der Bereich mit geringer Korrelation wird gleichfalls besser approximiert. Nur bei Winkeln von 40° - 60°, 90° - 110° und über 150° wird der 2σ-Bereich betreten und bei 50° kurz verlassen. Das Diagramm spricht also eher für einen 3-Torus als Topologie des Universums als für ein unendlich ausgedehntes Universum.

(Bild:  Aurich, Buchert, France, Steiner)

Demnach könnte das Universum ein 3-Torus mit einer Kantenlänge von 43,5 Milliarden Lichtjahren sein. Das negative Ergebnis der PLANCK-Kollaboration erklären die Autoren damit, dass die von dieser Gruppe gesuchten Strukturen beim Durchlaufen durch die ungleichmäßig in Filamenten und Voids verteilte Materie bis zur Unkenntlichkeit verwischt werden könnten (Sachs-Wolfe-Effekt). Ihre Ergebnisse seien hingegen statistischer Natur und somit robuster.

Ist das Universum also ein Donut? Vielleicht, aber man hat schon bessere approximierte Kurven gesehen und wünscht sich eine oder besser mehrere unabhängige Bestätigungen sowie eine Auseinandersetzung mit möglichen Alternativerklärungen. Außergewöhnliche Behauptungen bedürfen nun einmal außergewöhnlicher Evidenz.

Leider sind wir also noch lange nicht so weit wie der alte Eratosthenes bei der Vermessung der Welt und die Chance steht nicht schlecht, dass wir ihre Größe und Form nie werden ermitteln können. Aber wenigstens unternehmen ein paar kluge Köpfe den Versuch. Vielleicht warten sie ja irgendwann mit einer Überraschung auf.

Quellen:

(mho)