Missing Link: Die kosmische Inflation – der Knall des Urknalls

Wie kann aus einem dimensionslosen Punkt das gesamte Universum entstanden sein? Eine schöne Erklärung ist die kosmische Inflation, aber stimmt sie auch?

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Die kleine Sternenwolke Messier 24 im Schützen ist ein Ausschnitt des inneren Teils unserer Milchstraße, auf das wir durch ein Fenster in den Staubwolken der Milchstraßenscheibe blicken, welche 90% der Sterne unserer Spiralgalaxie verhüllen. Auch hier sieht man dunkle, sternenarme Zonen und solche, die durch Staub im Vordergrund rötlich verfärbt sind. Messier 24 vermittelt einen kleinen Eindruck von der Sternenfülle, die in der Milchstraße enthalten ist – eine von mehr als 100 Milliarden Welteninseln im beobachtbaren Universum.

(Bild: Roberto Colombari, CC BY-SA 4.0)

Lesezeit: 47 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Wie groß ist das Universum? Woraus besteht es? Wie ist es entstanden und wie wurde es so, wie wir es heute kennen? Mit diesen Themen beschäftigt sich die Kosmologie, die Lehre von der Entstehung und Entwicklung des Universums. Sie ist derzeit eine der spannendsten Disziplinen der Naturwissenschaft, und sie spannt einen Bogen von der Physik des Allerkleinsten zu den größten Strukturen, die wir kennen. Die neue Artikelreihe skizziert den derzeitigen Stand des Wissens und legt dar, warum die große Mehrheit der Kosmologen scheinbar so absurden Ideen anhängt wie von leerem Raum mit abstoßender Gravitation, der Entstehung des Universums aus dem Nichts und dem unsichtbaren Stoff, aus dem 95 Prozent des Universums bestehen. Im Teil 5 geht es darum, warum es eigentlich etwas gibt - und nicht nichts.

"Sieh dir die Sterne an! Es muss Dutzende von ihnen geben", lässt Regisseur Tom Mankiewicz im Film Dragnet die Freundin des Detektivs Joe Friday (gespielt von Dan Aykroyd) in einer romantischen Szene im Cabrio unter dem Sternenhimmel von Los Angeles sagen – nicht nur in der 13-Millionen-Metropole sieht der nächtliche Himmel heutzutage leider so aus. Bei klarem Himmel in einer mondlosen Nacht im Gebirge scheint uns die Zahl der Sterne hingegen geradezu zu erschlagen. Dabei sind gerade einmal 6000 Sterne hell genug, um mit bloßem Auge gesehen zu werden, und zu jeder Zeit befindet sich nur die Hälfte von ihnen über dem Horizont. Das schimmernde Band der Milchstraße, das man nur fernab der Stadt bei guten Bedingungen sehen kann, besteht hingegen aus dem Summenlicht von Milliarden Sternen. Da wir uns innerhalb der Milchstraßenscheibe befinden, die von vielen Generationen von Sternen mit interstellarem Staub angereichert wurde, sehen wir von der Erde aus nur rund 10 Prozent der Galaxis.

Insgesamt kreisen ein paar hundert Milliarden Sterne mit der Sonne zusammen um das Zentrum der Milchstraße, die eine von mehreren hundert Milliarden Galaxien im beobachtbaren Universum ist – jenem Volumen des gesamten Universums, von dem uns bis zu seinem heutigen Alter von 13,8 Milliarden Jahren Licht erreichen konnte. Das ist in der Größenordnung von 1022 Sternen. Weiter können wir nicht schauen, aber nichts deutet darauf hin, dass es dort eine Grenze gäbe, hinter der nur noch sternenloser Raum folgen würde. Niemand kann sagen, wie viele Sterne es im Universum insgesamt gibt, aber schon ihre Zahl im beobachtbaren Universum ist unvorstellbar groß. Und dazu kommt höchstwahrscheinlich noch einmal das Fünffache ihrer Masse an Dunkler Materie, wie wir in den ersten Teilen der Serie erfahren haben.

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Woher aber stammt diese gewaltige Materiemenge? Wieso gibt es dies alles – und nicht einfach nichts? Vor dem Urknall-Modell erschienen diese Fragen einfach falsch gestellt, das Universum sei einfach schon immer da gewesen und habe ewig existiert. Das kann in einem expandierenden Universum aber nicht mehr stimmen. Es gab unvermeidlicherweise einen Anfang und Einsteins Gleichungen spucken als Ursprung einen Punkt mit unendlicher Dichte aus, wenn man die Expansion rückwärts in der Zeit extrapoliert. Aber das muss doch Unsinn sein – wie können aus einem dimensionslosen Punkt Trilliarden von Sonnenmassen hervorgegangen sein? Die Urknalltheorie kann doch schon aus diesem Grund keinesfalls richtig sein. Oder? ODER?

Auf die Spur einer möglichen Antwort auf diese Fragen kam Ende der 1970er der Physiker Alan Guth. Er hatte zu dieser Zeit allerdings mit Kosmologie überhaupt nichts am Hut – sein Interesse galt vielmehr der Teilchenphysik. 1979 hatten Sheldon Glashow, der erst im Juli 2021 verstorbene Steven Weinberg und Abdus Salam den Nobelpreis für die in den 1970ern experimentell bestätigte Erkenntnis erhalten, dass die elektromagnetische Kraft und die Schwache Wechselwirkung bei sehr hohen Temperaturen (das heißt Teilchenenergien) in einer einzigen Kraft aufgehen, der "elektroschwachen Kraft". Viele Physiker gingen (und gehen heute noch) davon aus, dass sich auch die starke Kernkraft, die dritte Grundkraft des Standardmodells der Quantenphysik, bei noch höheren Temperaturen mit der elektroschwachen Kraft zu einer einzigen Einheitskraft verbinden würde. Diese Theorien laufen unter dem Begriff "Große Vereinheitlichte Theorien" (Grand Unification Theories, GUTs).

Argumente für die Attraktivität dieser Theorien sind beispielsweise, dass sie begründen können, warum das Elektron bis auf das Vorzeichen exakt dieselbe Ladung wie das Proton besitzt, obwohl es als Elementarteilchen von vollkommen anderer Natur ist als das Proton, welches aus drei Quarks mit 2× +2/3 und 1× -1/3 Elementarladungen zusammengesetzt ist, denn sie stellen eine fundamentale Symmetrie zwischen dem Elektron und den Quarks her. Zum anderen scheinen die bei geringen Teilchenenergien sehr verschieden starken drei Grundkräfte des Standardmodells sich bei zunehmenden Energien immer mehr in ihre Stärken anzugleichen und diese sich bei sehr hohen Energien um 1016 GeV (oder Temperaturen von 1029 K) zu schneiden, wofür es im Standardmodell keine Erklärung gibt. Die GUTs liefern diese Erklärung, den Übergang in eine vereinheitlichte Grundkraft. Aus dieser Gesetzmäßigkeit lässt sich aus der Messung der Stärke zweier der Grundkräfte bei einer beliebigen Energie die Stärke der dritten voraussagen, und diese Vorhersagen stimmen mit einem Fehler von nur 0,25 Prozent mit der gemessenen Stärke der dritten Kraft überein.

"Missing Link"

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Viele dieser GU-Theorien sagen die Existenz von Teilchen voraus, die ein Magnetfeld haben, aber kein gewöhnliches mit Feldlinien, die wie beim Stabmagneten in Bögen vom magnetischen Nordpol zum Südpol des Teilchens (der, weil er zwei Pole hat, Dipol genannt wird) verlaufen, sondern vielmehr radial in alle Richtungen vom Teilchen weg, analog zum elektrischen Feld von Proton oder Elektron, die isolierte elektrische Pole bilden: folglich wären solche Teilchen isolierte einzelne magnetische Pole, sogenannte "magnetische Monopole" – etwas, das bei gewöhnlichen Magneten niemals vorkommt, denn wenn man einen Stabmagneten teilt, erhält man zwei Stabmagneten mit jeweils Nord- und Südpolen. Der Nachweis magnetischer Monopole wäre ein starker Hinweis auf die Korrektheit der GUTs. Die Monopole sollten im Augenblick der Symmetriebrechung beim Abspalten der starken Kernkraft bei 1016 GeV entstehen und dieser Energie entsprechende Massen haben.

Es wäre damit allerdings illusorisch, solche Teilchen unter den Kollisionsprodukten in einem Teilchenbeschleuniger zu suchen. Ein Linearbeschleuniger müsste, um solche Teilchenenergien zu erzeugen, eine Länge von rund 670 Billionen Kilometern – 70 Lichtjahren – haben! So suchte Alan Guth nach einer anderen, natürlichen Quelle zur Erzeugung der magnetischen Monopole: dem Urknall.

In den frühesten Bruchteilen der ersten Sekunde, ca. 10-37 s nach dem Beginn des Urknalls, herrschten Temperaturen von 1029 K, und zu dieser Zeit sollten Monopole entstanden sein. Nach seinen Berechnungen, die er zusammen mit Henry Tye durchführte, kam er auf rund 10.000 Monopole je Proton oder Neutron im Universum. Das konnte schon deshalb nicht stimmen, weil Proton und Neutron je nur ungefähr 1 GeV/c² auf die Waage bringen, das heißt die Gesamtmasse aller Monopole wäre bei Monopolmassen um 1016 GeV um den Faktor 1020 höher als die der gewöhnlichen Materie. Nach einer Analyse des Physikers John Preskill hätte das Universum bei diesem Materieanteil zu Beginn erheblich schneller expandieren müssen, um auf die heutigen Distanzen zwischen den Galaxien zu kommen. So schnell, dass es erst 1200 Jahre alt sein dürfte!

Guth und Tye fanden in einer GUT von Howard Georgi und Sheldon Glashow, dass dort zwei Phasenübergänge stattfinden sollten, der erste bei 1016 GeV, der zweite erst bei niedrigeren Energien, und erst der zweite Übergang würde dann mit viel geringerer Häufigkeit Monopole erzeugen. Um auf eine plausible Zahl zu kommen, musste der zweite Übergang jedoch bei einer noch niedrigeren Temperatur stattfinden, als die Theorie eigentlich vorhersagte. Ein solcher Zustandsübergang lässt sich in gewisser Weise mit einem Phasenübergang in einer Flüssigkeit vergleichen, etwa beim Gefrieren von Wasser. Man kann Wasser bekanntlich um einige Grade unter den Gefrierpunkt abkühlen, ohne dass es friert, wenn es frei von Verunreinigungen ist und langsam abgekühlt wird. Man nennt dies "unterkühltes Wasser".