Missing Link: Joe Weizenbaum und die vergifteten Früchte des Wahnsinns

Seite 3: "Grabenkämpfer gegen den Imperialismus der instrumentellen Vernunft"

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Auch nach seiner Emeritierung im Jahre 1988 blieb Weizenbaum seinem Thema treu und bereiste vor allem Europa als "Grabenkämpfer gegen den Imperialismus der instrumentellen Vernunft", wie er es einmal formulierte. Nach dem Fall der Mauer zog Weizenbaum aus den USA in seine Geburtsstadt Berlin um. Mit dem Internet oder dem von ihm so genannten World-Wide-Net fand er eine weitere Bestätigung seiner Gedanken, was Menschen da verwechseln. Das Netz ist nicht schlau, aber auch in einem Misthaufen kann man gelegentlich Perlen finden, wenn man weiß, wie eine Suche funktioniert.

Ausgeführt findet sich das in einem Vortrag, den Weizenbaum 1996 an der Sommeruniversität Osnabrück zum Thema "Datenautobahnen, die Informationsgesellschaft und die Arbeitswelt der Zukunft" hielt. "Es ist sehr wichtig zu wissen, dass der Computer oder das Netzwerk und diese ganze Maschinerie, in dem die Elektronen oder Lichtsignale so rumsausen, sich nicht um das, was ich unter Informationen verstehe, kümmert. Die kümmern sich, wenn überhaupt, die kümmern sich um Daten, die sie rumschieben müssen. Das System selber weiß nicht, um was es dabei geht. Erst der Mensch interpretiert die Daten und Fakten und zieht daraus seine Folgerungen."

Joe Weizenbaum auf einer Veranstaltung auf der Sommeruniversiät Osnabrück, September 1996

(Bild: Detlef Borchers)

In zahllosen Vorträgen, die er vor allem in Deutschland hielt, zeigte sich Weizenbaum als Gesellschaftskritiker auch abseits der Informationstechnologie. "Nehmen wir das Beispiel Umweltverschmutzung. Da ist absolut nicht der Fall, dass wir nicht wüssten, was wir tun müssten. Wir wissen es ganz genau. Aber ob wir den Willen haben, uns politisch so zu organisieren, dass sich tatsächlich etwas ändert, ist eine andere Frage."

Nach der Jahrhundertwende dachte er verstärkt darüber nach, wie die Zukunft aussehen könnte. "Die dringendste Aufgabe, die wir im neuen Jahrhundert beantworten müssen, ist, welches Menschenbild mit seiner grundlegenden Metaphorik unser Denken, Empfinden, unsere Schöpfung usw. in der nahen und fernen Zukunft formen wird. Zwei wissenschaftliche Strömungen des Denkens und Handelns werden nach meiner Auffassung die Antwort bestimmen: Generell die Weiterentwicklung von Computern sowie die Entwicklung der Biologie, speziell der Gentechnik. Diese zwei Strömungen haben bereits mit der Verschmelzung begonnen und sie werden weiter zusammenwachsen, so wie zum Beispiel Rechner und Kommunikation es schon gemacht haben."

Sein letztes Programm entwickelte Weizenbaum im Jahre 2006 und nannte es "New Eliza". Es war der Versuch, mittels Skype und einem digitalen Anrufbeantworter einen "simulierten Joe" für Diskussionen über künstliche Intelligenz zur Verfügung zu stellen. Wer ihn anrief, konnte mit diesem Joe diskutieren. Gelegentlich mischte sich der echte Joe ein und nahm den Hörer ab.

Erschöpft vom Kampf gegen eine Krebserkrankung schrieb Weizenbaum an seinen Bekanntenkreis eine Art Fazit "Was ich am Ende meines Lebens glaube": "Würde die weltweite Gesellschaft bloß vernünftig sein, könnte das schon erreichte Wissen der Menschheit ein Paradies aus dieser Erde machen." Seinen eigenen Tod vor Augen, formulierte er diesen als einen letzten Dienst an die Menschheit. "Unser Tod ist der letzte Service, den wir der Welt leisten können: würden wir nicht aus dem Weg gehen, würden die uns folgenden Generationen die menschliche Kultur nicht wieder frisch erstellen müssen. Sie würde starr, unveränderlich werden, also sterben. Und mit dem Tod der Kultur würde alles Menschliche auch untergehen."

Joseph Weizenbaum starb kurz nach seinem 85. Geburtstag am 5. März 2008 nach einem Schlaganfall im Kreise der Familie in Gröben. Zum Geburtstag konnte er noch sein politisches Credo veröffentlichen. Es erschien unter dem Titel "Wir gegen die Gier" in der Süddeutschen Zeitung und beginnt pessimistisch: "Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen. Dafür müsste die weltweite Gesellschaft allerdings zur Vernunft kommen." Doch der alte, zornige Grabenkämpfer gegen die instrumentalisierte Vernunft, gegen das Streben nach Reichtum und Macht, der Informatikern schon mal zurief "hört auf, euch mit den vergifteten Früchten des Wahnsinns vollzufressen", brach auch in diesem letzten Text durch: "Der Glaube, dass Wissenschaft und Technologie die Erde vor den Folgen des Klimawandels bewahren wird, ist irreführend. Nichts wird unsere Kinder und Kindeskinder vor einer irdischen Hölle retten. Es sei denn: Wir organisieren den Widerstand gegen die Gier des globalen Kapitalismus."

Zur Feier des 100. Geburtstages von Joe Weizenbaum gibt es am 10. Januar im Berliner Weizenbaum-Institut einen Festakt, der gestreamt werden soll. Auch das Paderborner Heinz-Nixdorf Museum erinnert an den Gesellschaftskritiker.

(bme)